Droht jetzt Inflation?
Die hohe Geldfreisetzung führt nicht zu steigenden Preisen, vielmehr droht eher das Gegenteil – Eine Analyse
GBERLIN - Notenbanken rund um den Globus setzen sehr viel Geld frei, um die Folgen der Pandemie-Krise abzufedern. Die Regierungen geben sich derweil alle Mühe, die Mittel so schnell wie möglich unter die Leute zu bringen. Sowohl die Europäische Zentralbank als auch die US-Notenbank Fed haben einen praktisch unbegrenzten Aufkauf von Wertpapieren begonnen. Sie schieben damit erneut dreistellige, bald vermutlich auch vierstellige Milliardenbeträge ins System. Auch in Asien sind die Geldschleusen weit offen. Doch bringt mehr Geld im Umlauf nicht hohe Inflation? Schließlich stehen den Waren und Dienstleistungen dann mehr Geldeinheiten gegenüber. Das sollte doch in Zeiten von Produktionsausfällen ganz besonders gelten.
Die Bürger in der Eurozone können hier jedoch grundsätzlich beruhigt sein. Tatsächlich droht keine nachhaltig gesteigerte Inflation. Möglicherweise kommt es sogar genau andersherum und die Preise sinken eine Weile. Das wäre zwar schlecht für die Wirtschaft, aus Sicht der Bürger aber erst einmal nicht weiter schlimm.
Die aktuelle Krise schlägt derzeit zwar unglaublich heftig zu, aber sie wird zeitlich begrenzt sein. Bis zum Frühjahr kommenden Jahres wird sich die Seuche in Deutschland auf jeden Fall totlaufen. Schon wenn die Fallkurve hinreichend gestreckt ist, vermutlich in diesem Sommer, ist eine teilweise Rückkehr zur Normalität möglich. Das Jahr 2020 wird also als ganz schlimmes Jahr in die Wirtschaftsgeschichte eingehen. Aber die Produktionsbasis ist unangetastet. Die Erholung wird entsprechend schnell gehen.
Auch jetzt sind alle wesentlichen Güter reichlich vorhanden. Leere Regale im Supermarkt sollten nicht täuschen: Die Leute essen nicht mehr als zuvor, und die Landwirtschaft stellt genauso viel her. Andere inflationsrelevante Güter sind infolge des Corona-Schocks sogar besonders günstig, vor allem Erdöl. Und, ja, es gibt auch genug Klopapier, es versteckt sich bloß gerade in den Haushalten der Hamsterkäufer.
Das gilt auch und besonders für die jetzt nicht mehr nachgefragten Güter wie Hotelzimmer, Reisen, Friseurbesuche oder Baumarktartikel. Hier ist keine Verknappung der Waren und abrufbaren Dienste auszumachen, sondern ein erzwungener Ausfall der Nachfrage. Unterm Strich herrscht also kein Mangel. Die Erfahrung mit extremer Lockerung der Geldpolitik, beginnend in Japan 2001, zeigt, dass viel Geldangebot bei hohem Warenangebot und Konkurrenz der Anbieter eben nicht zu steigenden Preisen führt. Dort sind die Preise sogar immer weiter gesunken, obwohl die Regierung sich nach etwas Inflation gesehnt hat. Auch die
Versuche von EZB und Fed seit 2009, massig Geld unter die Leute zu bringen, haben keinen allgemeinen Preisauftrieb bewirkt. Stattdessen war die Inflation in bestimmten Bereichen beschränkt, beispielsweise den Immobilienmarkt in den Städten oder die Börse.
Das Beispiel Japan hält dagegen eine andere Warnung bereit. In Japan neigen die Preise schon seit den 90er-Jahren zum Fallen, weil die Leute ihr Geld zusammenhalten. Das bremst die Wirtschaft jedoch nachhaltig aus. Der Zustand der Deflation erinnert schon eher an die derzeitige Situation: In Zeiten der abgesagten Aktivitäten und der Ausgangssperre geben die Bürger weniger Geld aus. Weil sie es gar nicht ausgeben können (die Kneipe hat zu) oder weil ihnen die Einnahmen wegbrechen (Eventagenturen, Friseure, Buchläden). Ein Einbruch der Nachfrage führt aber nicht zu steigenden, sondern zu sinkenden Preisen.
Die freigesetzten Mittel beispielsweise für Kurzarbeit, für Selbstständige oder für Überbrückungskredite für Firmen sind nicht wirklich ExtraKapital, sondern sie ersetzen Geld, das wegen der Vollbremsung der Wirtschaft zum Stillstand gekommen ist. Statt durch die Adern der Wirtschaft zu pumpen, hängt es fest. Doch Geld, das zum Stillstand kommt, funktioniert nicht mehr. Geld lebt, wie der Blutkreislauf, nur in der Bewegung. Deshalb injiziert der Staat jetzt gezielt frische Mittel an den notwendigsten Stellen. Doch grundsätzlich hängt das Geld weiter fest. Auch das ist das Gegenteil von Inflation, die auch von steigenden Löhnen und immer höheren Ausgaben gekennzeichnet ist.
Eine Phase hochschießender Preise ist in einigen Volkswirtschaften
dennoch nicht ausgeschlossen. Der US-Ökonom Nouriel Roubini, ein Experte für Krisen, warnt für die USA und einige aufstrebende Volkswirtschaften bereits vor so einem Szenario: Die „Mehrausgaben der Regierung könnten an die Wand fahren, wenn die gigantischen Defizite hohe Inflation erzeugen, besonders wenn es zu virusbedingten Nachschubengpässen kommt.“
Auch Roubini sieht jedoch grundsätzlich eher Deflation als typische Folge einer Phase hoher Schulden plus eines Schocks wie jetzt Corona. Eine „Hyperinflation“, vor der einige Finanzwebseiten jetzt warnen, halten seriöse Experten dagegen für ausgeschlossen. Wir schreiben nicht 1923, Deutschland hat keinen Krieg verloren, sondern wurde in einer starken Ausgangslage von einem Problem getroffen.