Hartmann fährt Produktion von Desinfektionsmitteln hoch
Heidenheimer Unternehmen kämpft mit explodierender Nachfrage – Umbauprogramm belastet Ertragslage
GHEIDENHEIM - Der Medizin- und Pflegeproduktehersteller Paul Hartmann hat auf Corona-Modus umgestellt. Im Dreischichtsystem an sieben Tagen der Woche produziert das Unternehmen zurzeit dringend benötigte Desinfektionsmittel, die von der Tochter Bode Chemie am Standort Hamburg hergestellt und unter der Marke Sterillium vertrieben werden. Die Nachfrage kann Hartmann damit aber nicht ansatzweise decken. „Der Bedarf ist explosionsartig gestiegen“, sagte Vorstandschefin Britta Fünfstück am Dienstag auf der Bilanzpressekonferenz, die wegen der Corona-Krise kurzfristig ins Internet verlegt werden musste.
Als Reaktion auf die Ausnahmesituation werden nun die Produktionskapazitäten der Tochter Kneipp, bekannt durch Bade- und Körperpflegeprodukte, umgestellt. Noch in dieser Woche, so Fünfstück, laufe die Produktion von Sterillium, das in Krankenhäusern und Arztpraxen zur Desinfektion der Hände zum Einsatz kommt, am Kneipp-Standort Würzburg/Ochsenfurt an.
Um eine möglichst flächendeckende Versorgung sicherzustellen, sei das Unternehmen, das mehrheitlich der Ulmer Unternehmerfamilie Schleicher gehört (Schwenk Zement) und weltweit mehr als 11 000 Mitarbeiter beschäftigt, in den vergangenen Tagen bereits auf einen Zuteilungsmodus übergegangen. Bevorzugt würden dabei die Kunden aus dem klinischen und ambulanten Gesundheitsbereich. „Die Versorgungslage spitzt sich dramatisch zu. Es ist ein täglicher Kampf um Kreativität“, beschrieb die Managerin, die seit Januar 2019 die Geschicke von Hartmann lenkt, die aktuelle Situation.
Corona sei das alles dominierende Thema.
Welche Auswirkungen die Krise auf Umsatz und Ergebnis des Unternehmens hat, vermochte Fünfstück nicht zu sagen. „Das ist ganz schwierig und nicht seriös abschätzbar“, erklärte die Hartmann-Chefin. Zwar gebe es eine aktuell hohe Nachfrage nach Desinfektionsmitteln. Doch dem stünden abgesagte Operationen seitens der Krankenhäuser gegenüber, was sich negativ auf den Bedarf anderer Hartmann-Produkte auswirke. Darüber hinaus drohten im schlimmsten
Fall Werksschließungen, sollten sich Mitarbeiter mit dem Coronavirus infizieren. Hartmann habe dahin gehend zwar die Sicherheitsmaßnahmen erhöht. So wird darauf geachtet, dass sich die Teams in den einzelnen Schichten nicht begegnen; es gebe separate Ein- und Ausgänge. Doch ausschließen könne man das nicht.
Mögliche Auswirkungen der Corona-Krise seien daher auch nicht in der Prognose für 2020 berücksichtigt, so Fünfstück. Die sieht ein „moderates Umsatzwachstum“(2019: 2,2 Milliarden Euro) und ein bereinigtes operatives Ergebnis (Ebitda) „von 159 Millionen bis 176 Millionen Euro“vor. Letzteres läge deutlich unter den 210 Millionen Euro des abgelaufenen Geschäftsjahres und ist mit dem Umbauprogramm zu erklären, das Hartmann 2019 gestartet hat und das auf fünf Jahre angelegt ist. Im Zuge dessen will sich die Gruppe künftig auf die drei Kernsegmente Wund-, Inkontinenzund Infektionsmanagement konzentrieren. Fünfstück kündigte an, „im Geschäftsjahr 2020 und darüber hinaus signifikante Zukunftsinvestitionen“vorzunehmen, „denen jedoch nach und nach immer sichtbarere positive Effekte gegenüberstehen werden“.