Mit Internet und Köpfchen
Wie Schule zu Hause funktioniert – Jetzt heißt es: Digitales Lernen lernen
GAALEN - Die Tochter sitzt am Vormittag vor dem Computer und liest vor: „Verfasse eine Rezension zu Wilhelm Tell. Mama, was ist eine Rezension?“Dann die andere: „Kann ich jetzt an den Rechner? Mann, wieso klappt das nicht. Mama, Web Untis reagiert nicht.“Es ist der Versuch von Schule zu Hause. Alle miteinander sind Schüler, Eltern und Lehrer vor rund einer Woche in dieses kalte Wasser geworfen worden. Seit Montag, 16. März, sind alle Bildungseinrichtungen geschlossen. Nun tut jeder sein Bestmögliches, um trotz Corona obenauf zu bleiben, und eins ist klar: Neben Schulstoff lernt man dabei noch eine ganze Menge anderer Dinge.
Zum Beispiel über Software und ihre Alternativen, wenn das Unterrichtsinformationssystem „WebUntis“, das die Aalener Gymnasien nutzen, vor dem Ansturm der Nutzer vorübergehend in die Knie geht. „Das hatten wir auch“, erzählt eine Mutter, deren beide Töchter in der Unterstufe sind und ein Aalener Gymnasium besuchen. „Der Lehrer schrieb: ‚Löse eine Aufgabe auf dem
Arbeitsblatt‘, und dann konnte man es nicht downloaden, die Schulplattform war überlastet. Aber der Lehrer hat schnell reagiert und das Arbeitsblatt per E-Mail gesendet.“
So sind die ersten Tage des Einigelns gewesen: neu, provisorisch und irgendwie spannend. „Meine Töchter waren anfangs eifrig dabei, sie wollten morgens wissen: ‚Ist was Neues da?‘“, erzählt die Mutter. Was kam, sei – nicht anders als in der Schule auch - sehr „lehrerabhängig“gewesen: Der eine schickte die Aufgaben tageweise und dazu die Lösungen zur Selbstkontrolle, der nächste alle Aufgaben für die kommenden drei Wochen bis zu den Osterferien auf einmal, ohne bis dahin nachfassen zu wollen. „Es gibt Lehrer, die sich viel Arbeit machen“, lobt die Mutter. Andere weniger. Der Clou: Ein junger Englisch-Referendar stellte offenbar zu Hause eine Tafel auf, nahm seinen Unterricht auf Video auf und lud ihn für seine Schüler auf Youtube hoch. „Dazu hat er auch Arbeitsblätter verschickt“, so die Mutter. Die Töchter waren begeistert.
Eine andere Mutter ist nachdenklich. „Es gibt selbstständige Kinder, die schaffen das“, sagt sie. „Das ist aber nicht bei allen so.“Auch nicht bei ihren Töchtern. Dann heiße es: „Mama, hilf!“Die erste Woche mit Schule zu Hause hat diese Mutter als sehr anstrengend erlebt: „Wir Eltern haben plötzlich so viele Aufgaben“, erzählt sie. „Wir kriegen die E-Mails der Lehrer, müssen sie alle ausdrucken, die Kinder zum Lernen motivieren, erklären, wenn sie Fragen haben, dann die Lösungen einscannen oder fotografieren und wieder verschicken. Und gleichzeitig sollen wir im Homeoffice auch noch unsere eigene Arbeit machen.“Die Mutter muss lachen: „Ich habe zu Beginn einen Tag Urlaub genommen, weil ich es sonst nicht geschafft hätte.“Eine andere schüttelt den Kopf: „Ich habe zwei Kinder in der Unterstufe. Beide kriegen Aufgaben in mindestens fünf Fächern, und das beinahe täglich. Das kann nicht alles ich kontrollieren. Das müssen die zwei einfach selbstständig machen.“
Digitales Lernen: Darauf waren weder die Familien noch die Schulen vorbereitet. Anders als in Ländern wie China gibt es keine Erfahrungen mit echtem Online-Unterricht. „Es ist schwierig und ich denke, dass die
Lehrer in dieser Situation jetzt auch allein gelassen sind“, urteilt eine dritte Mutter, deren beide Söhne auf eine Realschule in der Region gehen. Dort wird das Schulnetzwerk Filr genutzt. „Davon hatte ich bisher noch nie etwas mitbekommen“, so die Mutter. Nun rufen ihre Söhne über dieses Netzwerk ihre Aufgaben ab. „Es ist nicht so viel, dass es einen ganzen Schultag füllen würde“, urteilt sie und liegt in ihrer Einschätzung damit ähnlich wie die anderen. Die Menge reiche für zwei bis vier Stunden am Vormittag.
Solange der Stoff verstanden wird. Was, wenn nicht? „Meine Tochter sollte Mittelhochdeutsch und Neuhochdeutsch vergleichen, da war es vorbei mit der Begeisterung“, erzählt eine der GymnasialMütter. „Was ist mit schwächeren Kindern?“fragt eine weitere. „Wenn sie kein Elternhaus im Hintergrund haben, das ihnen helfen kann, wird es schwer.“Wenn selbst die Hardware fehlt, erst recht. „Ich kenne Familien, die nicht ausgestattet sind oder sich schnell noch einen Drucker gekauft haben, sich aber nicht damit auskennen“, erzählt eine Mutter. Was dann?
Auch neue Inhalte, die gelernt werden sollen, können zum Problem werden: „Wir sollen jetzt in Spanisch eine neue Vergangenheitsform lernen. Das ist richtig schwierig, und unser Buch ist alt und nicht gut“, erzählt eine 14-Jährige. Für einen Zwölfjährigen steht das Rechnen mit Dezimalzahlen neu im Lehrplan. Das soll er sich nun selbst beibringen. „Ja“, meint er gelassen, „hab’s kapiert.“Es gab da ein Erklärvideo auf Youtube. Eine 16-Jährige brach dagegen am Schreibtisch über ihren Matheaufgaben in Tränen aus: „Wie soll das gehen allein?“
Chance und Risiko ist das Lernen zu Hause für die Schüler. Eine Chance, findet eine der Mütter, sich neu zu organisieren, seine Blätter zusammenzuhalten, selbstständig zu werden ohne den ordnenden Lehrer. Und ein Risiko, es sich leicht zu machen. Die 14-Jährige macht sich darüber keine Illusionen: „Wenn die Lehrer die Lösungen hinterherschicken, schreiben manche Schüler das doch einfach ab.“Und man ahnt: Schule zu, das ist kein Grund „Hurra“zu schreien. Die meisten würden lieber wieder hingehen. Das ist auch eine Erkenntnis.