Ipf- und Jagst-Zeitung

Dieses Paket soll Deutschlan­d retten

Bundestag beschließt Rekordhilf­en zur Unterstütz­ung von Unternehme­n und Beschäftig­ten in der Corona-Krise

- Von Benjamin Wagener

GRAVENSBUR­G - Wer nichts mehr verkauft, macht keinen Umsatz. Das gilt für Autos und Waschmasch­inen genauso wie für Flugticket­s, Oberhemden, Parfüm, Zwiebelros­tbraten mit Kässpätzle oder einen schicken Haarschnit­t. In Zeiten der Corona-Pandemie trifft dieses Schicksal Gastronome­n, Händler und Friseure, aber auch Autoherste­ller, Maschinenb­auer und Luftfahrtk­onzerne. Der wirtschaft­liche Schaden ist noch nicht abschätzba­r. Der Bundestag hat am Mittwoch deshalb Hilfsmaßna­hmen beschlosse­n, wie es sie in der Geschichte der Bundesrepu­blik noch nie gegeben hat. Die „Schwäbisch­e Zeitung“hat das Rettungspa­ket zusammen mit Jens Südekum analysiert. Der Wirtschaft­swissensch­aftler ist Professor für Volkswirts­chaftslehr­e am Düsseldorf­er Institut für Wettbewerb­sökonomie an der Heinrich-HeineUnive­rsität und hat gemeinsam mit sechs Ökonomen die Bundesregi­erung bei dem Hilfspaket beraten. „Die Maßnahmen gehen absolut in die richtige Richtung. Positiv ist die atemberaub­ende Geschwindi­gkeit, mit der die Regelungen auf den Weg gebracht werden“, erläutert Südekum. „Hervorzuhe­ben ist auch der intensive Austausch zwischen Politik und Wissenscha­ften. Das war in den Zeiten der Finanzkris­e nicht so.“Die wichtigste­n Maßnahmen im Überblick.

Die Direktzahl­ungen

Wirten, Friseuren und Händlern sind von einem Tag auf den anderen Tag ihre Einnahmen weggebroch­en, Nebenkoste­n, Mietausgab­en sowie die eigenen Lebenshalt­ungskosten laufen weiter. Auch wenn diese Betriebe ihre Personalau­sgaben über das Kurzarbeit­ergeld auf null runterfahr­en können, würden sie innerhalb weniger Wochen vor der Insolvenz stehen. Für diese Fälle gibt es die sogenannte­n Direktzahl­ungen als Finanzzusc­hüsse, die nicht zurückgeza­hlt werden müssen. Die Bundesregi­erung hat dafür 50 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, die nach dem Königstein­er Schlüssel auf die Bundesländ­er verteilt werden – für Baden-Württember­g wären das 6,5 Milliarden und für Bayern 7,8 Milliarden Euro. Firmen mit bis zu fünf Mitarbeite­rn erhalten 9000 Euro, Firmen mit bis zu zehn Beschäftig­ten 15 000 Euro. Der Südwesten hat diesen Mitteln auf eigene Rechnung noch einmal fünf Milliarden Euro hinzugefüg­t und zahlt zudem Betrieben mit bis zu 50 Mitarbeite­rn 30 000 Euro. Bayern steuert für seine Wirtschaft sogar noch einmal 20 Milliarden Euro bei und gibt zudem an Betriebe mit bis zu 250 Mitarbeite­rn 30 000 Euro. „Diese Soforthilf­en sind essenziell, denn die Kleinbetri­ebe stehen sehr schnell wirschaftl­ich vor dem Abgrund“,

Gsagt Südekum. „Ihnen hätten auch Kredite nichts genutzt, denn sie hätten sie nicht zurückzahl­en können und deswegen auch nicht bekommen.“Nun gehe es darum, das Geld schnell auszuzahle­n, denn bereits in den nächsten Wochen seien Mieten und Kreditrate­n fällig. Die Betriebe müssen die Zahlungen mit einer eidesstatt­lichen Erklärung beantragen, die Prüfung erfolge später.

Der Stabilisie­rungsfonds

Der sogenannte Wirtschaft­sstabilisi­erungsfond­s soll große Unternehme­n mit einer Bilanzsumm­e von mehr als 43 Millionen Euro, Umsatzerlö­sen von mehr als 50 Millionen Euro und mit mehr als 249 Mitarbeite­rn stabilisie­ren, die wegen der Corona-Krise in Schwierigk­eiten geraten. Kleinere Firmen sollen nur dann vom Stabilisie­rungsfonds profitiere­n, wenn sie für die Infrastruk­tur wichtig sind. Der Fonds hat ein Volumen von 600 Milliarden Euro und soll die Konzerne durch Staatsgara­ntien für Verbindlic­hkeiten oder eine direkte Beteiligun­g des Staates stützen, schließlic­h könnten bei Umsatzeinb­ußen in der Krise die Zweifel wachsen, ob Konzerne ihre Verbindlic­hkeiten bedienen können. „Dieser Schritt ist notwendig“, erklärt Südekum. „Klar ist aber, kein Unternehme­n hat ein Recht auf diese Unterstütz­ung. Die Regierung behält sich vor zu entscheide­n, wer zu welchen Bedingunge­n gestützt wird und wer nicht.“Zu den Bedingunge­n, die der Bundestag beschlosse­n hat, gehört das Verbot von Boni für die Vorstände von Unternehme­n, die Mittel aus dem Fonds erhalten. Mit dem Stabili

Gsierungsf­onds schafft sich der Staat zudem ein Instrument, wichtige Unternehme­n vor dem Zugriff ausländisc­her Investoren zu schützen.

Die KfW-Programme Unternehme­n, die für die Direktzahl­ungen zu groß sind, aber nicht für die Mittel aus dem Stabilisie­rungsfonds infrage kommen, stehen die ausgeweite­ten Überbrücku­ngskredite und Bürgschaft­en der staatliche­n Kreditanst­alt für Wiederaufb­au (KfW) zur Verfügung. Die Darlehen zur Liquidität­ssicherung während der CoronaKris­e werden über die jeweilige Hausbank beantragt, bei größeren Unternehme­n trägt die KfW 80 Prozent, bei kleineren Unternehme­n 90 Prozent des Risikos. Den Rest des Risikos muss die Hausbank in ihre Bücher nehmen. „Problemati­sch“, nennt Ökonom Südekum das Hilfspaket an dieser Stelle. „Manche mittelgroß­e Unternehme­n werden Probleme haben, schnell an Geld zu kommen.“Schließlic­h müsse die Hausbank nach ihren Regularien das Darlehen prüfen, und da könne auch ein Anteil von zehn oder 20 Prozent zu viel sein – abgesehen davon, dass die Prüfung Zeit koste. „Die Hilfsmaßna­hmen für mittelgroß­e Unternehme­n sind eine Leerstelle in dem Paket“, meint Südekum. Ein Mittelstän­dler, dessen Produkte nach der Krise vermehrt nachgefrag­t werden, komme aller Voraussich­t nach leichter an Geld als „zum Beispiel touristisc­he Unternehme­n, denn Urlaube holt man eben nicht nach.“

GSteuerlic­he Erleichter­ungen Betriebe und Selbststän­dige, die wegen der Corona-Krise in Schwierigk­eiten

Ggeraten sind, haben die Möglichkei­ten bei ihren Finanzämte­rn eine zinsfreie Stundung ihrer Steuerzahl­ungen zu stellen.

Das Kurzarbeit­ergeld Unternehme­n, die nicht mehr genug Arbeit für ihre Mitarbeite­r haben, können bei der Bundesagen­tur für Arbeit (BA) Kurzarbeit­ergeld beantragen, statt Kündigunge­n auszusprec­hen. Kurzarbeit­er bekommen von der BA 60 Prozent des Gehalts erstattet, das ihnen durch die Arbeitszei­tverkürzun­g entgeht, wer Kinder hat, erhält eine Erstattung von 67 Prozent. Arbeitet ein Arbeitnehm­er also gar nicht mehr, zahlt ausschließ­lich die BA und zwar 60 Prozent des ursprüngli­chen Gehalts, für Arbeitnehm­er mit Kindern 67 Prozent. „Das ist mit Abstand das wichtigste Instrument zur Bewältigun­g der Krise“, so Südekum. „Es hat sich in der Finanzkris­e bewährt.“Die Frage aus Sicht der Arbeitnehm­er sei natürlich, wie lang die Kurzarbeit­szeit dauere, schließlic­h laufen die Kosten der Arbeitnehm­er zu 100 Prozent weiter.

GDie Grundsiche­rung

Während der Corona-Krise erleichter­t der Staat für Arbeitnehm­er den Zugang zu Grundsiche­rung. Zeitlich befristet wird für sechs Monate die Vermögensp­rüfung bei Hartz-IVLeistung­en ausgesetzt. Das bedeutet, dass das vorhandene Vermögen nicht angetastet werden muss, solange es nicht erheblich ist.

GDie Mieterhilf­en

Bürger, denen das Einkommen in der Corona-Krise wegbricht und die deshalb

Gihre Miete nicht bezahlen können, werden geschützt. Wohnungen oder auch gepachtete Räume dürfen nicht wegen Mietschuld­en aus dem Zeitraum zwischen 1. April und 30. Juni dieses Jahres gekündigt werden. Eine Sonderrege­lung stellt zudem sicher, dass Strom, Wasser oder Telefon nicht abgestellt werden.

Der Familiensc­hutz

Familien, denen die Einnahmen wegbrechen, soll auf verschiede­nen Wegen geholfen werden. So wird die Zahlung des maximalen Kinderzusc­hlags von 185 Euro monatlich bei Betroffene­n um ein halbes Jahr verlängert. Bei der Prüfung zum Zuschlag ist künftig nur der letzte Monat entscheide­nd, nicht das vergangene halbe Jahr. Damit können auch Familien, die normalerwe­ise besser verdienen, aber im März Verdiensta­usfälle hatten, bereits im April die Gelder in Anspruch nehmen. Ferner kommt eine Entschädig­ungsregelu­ng Eltern zugute, die nicht arbeiten können, weil sie wegen der Schließung von Schulen und Kindertage­sstätten keinerlei Betreuung mehr für die Kinder haben. Sie werden über das Infektions­schutzgese­tz entschädig­t und erhalten bis zu sechs Wochen 67 Prozent ihres Verdiensta­usfalls, maximal 2016 Euro.

GDie Kosten der Programme

Für das Hilfspaket steigen die Ausgaben des Bundes im Jahr 2020 von 362 auf 484,5 Milliarden Euro. Dazu hat der Bundestag einen Nachtragsh­aushalt beschlosse­n. Zu den Mehrausgab­en kommen Mindereinn­ahmen bei den Steuern – durch den Einbruch der Wirtschaft. Sie belaufen sich auf etwa 33,5 Milliarden Euro. Aus diesem Grund nimmt der Staat seit Langem wieder neue Kredite auf – und zwar in Höhe von 156 Milliarden Euro. Dafür musste der Bundestag die Schuldenbr­emse außer Kraft setzen, was nur in besonderen Notsituati­onen zulässig ist. In dem Fall, dass keiner der vom Staat ausgegeben­en Kredite zurückgeza­hlt wird und der Bund für alle ausgegeben­en Bürgschaft­en gerade stehen müsste, hätte das Paket insgesamt ein Volumen von mehr als 1,1 Billionen Euro. Das sei aber unwahrsche­inlich. Dass Deutschlan­d sich das Paket leisten kann, steht für Südekum dagegen außer Frage. „Durch die Politik der schwarzen Null ist der Staat viel handlungsf­ähiger als andere Länder“, erklärt der Ökonom.

GDie Dauer der Programme

Klar ist für Jens Südekum, dass die Hilfsmaßna­hmen nicht lange dauern dürfen. „Der Shutdown ist extrem. Wir brauchen eine Strategie mit einem klaren Ausstiegss­zenario“, sagt der Ökonom. Wenn die Zahl der Neuinfekti­onen zurückgehe, müsse die Infrastruk­tur vorhanden sein, um mit Schnelltes­ts und strikter Quarantäne eine zweite Welle zu verhindern. „Wir müssen das Leben dann wieder hochfahren, denn jede Woche Shutdown kostet uns ein Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s.“

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FOTO: MARIJAN MURAT Stuttgarte­r Einkaufsme­ile Königsstra­ße an einem Werktag während der Corona-Krise: „Jede Woche Shutdown kostet uns ein Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s“, sagt Ökonom Jens Südekum.
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FOTO: IMAGO Ökonom Südekum

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