Die App ist kein Allheilmittel
Je länger die Corona-Pandemie dauert, desto tiefer graben sich die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Ausgangsbeschränkungen in die deutsche Gesellschaft. Und je gravierender die Verwerfungen werden, desto lauter werden die Rufe nach dem Ausstieg aus dem selbst verordneten Stillstand.
Auch wenn die Kanzlerin diese angesichts weiter steigender Infektionszahlen für viel zu früh hält und zu Geduld mahnt, lässt sich diese Diskussion auf Dauer nicht zurückhalten. Perspektivisch kann man sich darauf einstellen, dass die Gesellschaft zeitweise für verschiedene Menschen und Lebensbereiche unterschiedliche Regeln aufstellen wird. Der Umgang mit Alten und Jungen wird über Monate ebenso unterschiedlich sein wie mit Gesunden, Gesundeten und Kranken. Dabei wird es immer wieder Abwägungen geben müssen zwischen epidemiologischen Empfehlungen und gesellschaftlichen Bedürfnissen.
Eine freiwillige App kann helfen, die Ausbreitung des Virus zu bremsen, wenn sie von vielen genutzt wird. Sie kann Anwendern helfen, das Risikobewusstsein zu schärfen und Verantwortung zu übernehmen.
Doch die Politik sollte nicht der Verlockung vermeintlicher Totalüberwachbarkeit erliegen. Was in autokratischen Staaten anscheinend funktioniert, ist in Demokratien nur mit Preisgabe elementarer Freiheiten zu erkaufen. Ist der Datenschutz erst auf dem Altar des Seuchenschutzes geopfert, wird es schwer, diesen Verlust rückgängig zu machen. Dass ein solches Opfer gesundheitliche Sicherheit erkauft, ist dabei nicht gesagt. Nicht nur, dass nicht jeder ein Handy mit aktivierter BluetoothSchnittstelle mit sich herumträgt. Die gewaltigen Datensätze wollen zudem sicher gespeichert und ausgewertet werden – was viele Gesundheitsämter überfordern dürfte.
Die App kann ein Baustein sein in einer achtsamen Gesellschaft, die Risiken abwägt und in einem Mix gegenseitiger Rücksichtnahme und dosierter Einschränkung versucht, einen unsichtbaren Feind in die Schranken zu weisen. Ein Allheilmittel ist sie nicht.
k.wieschemeyer@schwaebische.de