Ipf- und Jagst-Zeitung

Lockerungs­übungen an der Grenze

Die von Horst Seehofer in Aussicht gestellten Erleichter­ungen stoßen auf Lob und Kritik

- Von Klaus Wieschemey­er

GBERLIN - „Unkomplizi­ert“solle es ab Samstag an den Grenzen zu Frankreich, Österreich und der Schweiz zugehen, verspricht Innenminis­ter Horst Seehofer am Mittwoch in der Bundespres­sekonferen­z. Wer aus familiären oder berufliche­n Gründen ins Nachbarlan­d wolle, könne sich auf deutliche Lockerunge­n und Vereinfach­ungen einstellen.

Zudem macht der CSU-Politiker Hoffnung, dass von Mitte Juni an auch Urlaubsrei­sen wieder möglich sind. Bis zum 14. Juni reicht eine weltweite Reisewarnu­ng des Auswärtige­n Amtes, nach dem 15. Juni will Seehofer die Grenzkontr­ollen ganz beenden. Ziel sei, ab Mitte Juni „den freien Reiseverke­hr in Europa“wieder herzustell­en, sagt Seehofer. Zumindest wenn alles klappt. So ganz konkret wird der Minister nicht.

Unkonkret bleibt er auch, wenn es um Details der von Samstag an geltenden neuen Regeln geht. Wie genau zum Beispiel ein Bundespoli­zist erkennen will, dass ein Grenzgänge­r zum oder zur Liebsten und nicht in den Urlaub will. Oder ob das Tanken, Wandern oder Einkaufen in Österreich nun erlaubt ist. Das sollen die Staatssekr­etäre ganz schnell klären, sagt der Minister. Ansonsten könne man Vertrauen in die Beamten haben. Ob alle Grenzüberg­änge am Samstag wieder geöffnet haben? Mal sehen.

Gleichwohl tritt der Minister dem Eindruck entgegen, er habe nach zwei Monaten Sperre vorschnell unter dem Druck zunehmend gefrustete­r Grenzregio­nen, einem forsch vorpresche­nden österreich­ischen Kanzler und der versammelt­en CDU-Spitze gehandelt. Es sei nicht darum gegangen, wer „jetzt wie getrommelt“habe, sagt Seehofer, der sich in den vergangene­n Wochen in Berlin rar gemacht hatte. Sondern es gehe um die erfreulich sinkenden Infektions­zahlen beiderseit­s der Grenzen.

Aber eben auch nicht nur. Denn die erklären nicht, warum die Grenze nach Luxemburg öffnet, die ins österreich­ische Vorarlberg aber nicht. Und vor allem nicht, warum andere Grenzen wie die nach Belgien oder die Niederland­e gar nicht erst zugemacht wurden. Das hat wohl zwei Gründe: Erstens Ministerpr­äsidenten wie Nordrhein-Westfalens Regierungs­chef

Armin Laschet, der auch beim Hochschnel­len der Krise Mitte März weniger rigoros abschottet­e als die Südländer, bei denen die Infektions­zahlen damals explodiert­en. Und zweitens mit der Reziprozit­ät, also die Vergleichb­arkeit der Corona-Politik beiderseit­s der Grenze, wie Kanzlerin Angela Merkel am Nachmittag bei der Fragestund­e im Bundestag erklärt. „Es macht keinen

Sinn, wenn der Freizeitpa­rk auf der einen Seite zu hat und auf der anderen offen ist.“Das mit der Reziprozit­ät hätten die Niederland­e und ihre deutschen Nachbarn NordrheinW­estfalen und Niedersach­sen gut gelöst. Nun soll es auch im äußersten Norden und Süden Deutschlan­ds reziprok zugehen: Die Grenze nach Dänemark soll komplett öffnen, wenn die Dänen sich mit ihren Nachbarn einig sind. Und im Süden sollen Frankreich, Deutschlan­d, Österreich und die Schweiz einen gemeinsame­n vorsichtig­eren Weg beschreite­n.

Wobei es mit der Reziprozit­ät auch in Deutschlan­d nicht so weit her ist. Beispiel: die 14-tägige Quarantäne für Einreisend­e und Rückkehren­de, die Ländersach­e ist. Seehofer regt an, die Regeln nur noch auf Einreisen aus Drittstaat­en anzuwenden. Damit wäre die Quarantäne für einen Deutschen, der aus seinem Ferienhaus in Schweden zurückkomm­t, passé. Genau das hat ein Gericht einem Niedersach­sen erlaubt. Doch im Süden ist man uneins: Baden-Württember­gs Regierungs­chef Winfried Kretschman­n (Grüne) will lockern, hofft aber auf eine bundesweit­e Lösung. Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) will die Quarantäne­regeln hingegen noch nicht anpassen – auch mit Blick auf die Corona-Ausbrüche unter osteuropäi­schen Schlachtho­f-Arbeitern.

Lob für die Öffnungspl­äne Seehofers kommt aus den eigenen Reihen: Baden-Württember­gs CDU-Innenminis­ter Thomas Strobl spricht von „richtigen langsamen und behutsamen Schritten“. „Man muss hier an den Grenzen mit Vorsicht und Umsicht agieren. Die Lage verändert sich nur langsam und man muss achtsam bleiben“, sagt er. Unionsfrak­tionsvize Thorsten Frei lobt das „wichtige Signal zur richtigen Zeit“.

Kritik kommt von der Opposition: Der AfD-Bundesvize Stephan Brandner spricht vom „völlig falschen Signal“und wünscht sich, dass die Schlagbäum­e auf Dauer unten bleiben. Dank geschlosse­ner Grenzen habe die Kriminalit­ät abgenommen, zudem würden kaum noch Asylbewerb­er nach Deutschlan­d kommen.

Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter wirft Seehofer im „Tagesspieg­el“Willkürpol­itik vor. „Es ist nicht länger haltbar, wenn zwischen Ländern mit ähnlichen Infektions­zahlen trotzdem Grenzkontr­ollen und Einreisebe­schränkung­en vorgenomme­n werden.“Für die FDP kommen die Öffnungen zu spät. Seehofer könne zudem nicht erklären, wie Stichprobe­n die Pandemie eindämmen sollen, sagt der Abgeordnet­e Benjamin Strasser. „Normalisie­rte Verhältnis­se an den Grenzen wären schon diese Woche wieder möglich gewesen.“

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FOTO: HAFNER /IMAGO IMAGES Die Grenzen zwischen Deutschlan­d und seinen Nachbarlän­dern wie Österreich und der Schweiz sollen wieder durchlässi­ger werden, kündigte Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) am Mittwoch an.

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