Ipf- und Jagst-Zeitung

Die private Schuldenwe­lle steht noch bevor

Vielen privaten Haushalten geht zurzeit finanziell die Puste aus – Schuldnerb­eratungsst­ellen registrier­en bereits eine steigende Nachfrage

- Von Wolfgang Mulke

GBERLIN - Während die Preise für Lebensmitt­el und Drogeriepr­odukte ansteigen, sinken in vielen privaten Haushalten die Einkommen. Bis zu zehn Millionen Arbeitnehm­er sind in Kurzarbeit. Selbst wenn es nun auf 80 Prozent angehoben wird, sind die Einbußen bei Beschäftig­ten mit niedrigen Löhnen schmerzhaf­t. Soloselbst­ständige haben häufig über Nacht alle Einnahmequ­ellen verloren. „Das spüren wir bei der Caritas schon jetzt“, sagt Roman Schlag, Sprecher der Arbeitsgem­einschaft der Schuldnerb­eratung der Verbände (ASV), „die Zahl der Erstanfrag­en in der Onlinebera­tung ist von 1777 im Februar auf 2677 im April gestiegen.“

Noch ist das Ausmaß der drohenden Überschuld­ung nicht überschaub­ar. Denn bis es zu Zwangsmaßn­ahmen wie einer Pfändung kommt, vergehen wenigstens zwei bis drei Monate. „Momentan sehen wir wachsende Nachfragen wegen Zwangsvoll­streckungs­maßnahmen wie Kontopfänd­ungen“, berichtet der Schuldenex­perte der Verbrauche­rzentrale Nordrhein-Westfalen (VZ), Christoph Zerhusen. Doch er glaubt, dass das die Ruhe vor dem Sturm ist.

Die große Welle komme noch. „Daran ändern auch die Regeln zur Stundung von Miete oder Strom wenig“, warnt Schlag. Denn die ausstehend­e Zahlung muss ja nachgeholt werden. Auch beklagen die VZ, dass einige Banken für gestundete Darlehen auch Zinsen verlangen. Die Initiative Finanzwend­e hat nun bei einer Auswertung

von rund 3400 Kontomodel­len der Geldinstit­ute festgestel­lt, dass vielfach überhöhte Dispozinse­n verlangt werden. „Fast bei der Hälfte betrug der Zinssatz zehn Prozent oder mehr“, kritisiert Finanzwend­e und fordert von der Branche, gesellscha­ftliche Verantwort­ung zu übernehmen.

Wie viele Verbrauche­r schon eine Stundung ihrer Ratenzahlu­ngen beantragt haben, ist nach Angaben der Deutschen Kreditwirt­schaft derzeit nicht bekannt. Auch die Wohnungswi­rtschaft weiß noch nicht, was an zeitweilig­en Zahlungsau­sfällen auf sie zukommt. Deren Gesamtverb­and berichtet, dass im April nur bei 15 000 Mietverhäl­tnissen ein Zahlungsau­sfall vorlag. Das entspricht gerade einmal 0,66 Prozent aller Verträge. Doch das werde sich im Mai ändern, fürchtet der Verband.

Für viele von der Krise betroffene Verbrauche­r ist eine finanziell prekäre Lage ungewohnt. Es gibt Möglichkei­ten, Pfändungen oder gar die Kündigung der Wohnung zu vermeiden. „Grundsätzl­ich ist Besonnenhe­it gefragt“, rät Schuldenex­perte Zerhusen. Zunächst sollte eine Bestandsau­fnahme aller Einnahmen und Ausgaben erfolgen, inklusive der nur einmal jährlich zu zahlenden Rechnungen. Daraus ergibt sich der monatliche Bedarf und eine mögliche Kluft zwischen Einnahmen und Ausgaben wird sichtbar.

Schuldnerb­erater Schlag würde im nächsten Schritt alle weniger wichtigen Verträge kündigen. So verfügen viele Haushalte zum Beispiel über mehrere Reisekrank­enversiche­rungen, weil diese in verschiede­nen anderen Verträgen mit enthalten sind. Auch beim Auto lässt sich sparen. Da in diesem Jahr die Fahrleistu­ng wegen der Beschränku­ngen geringer sein dürfte als die Haftpflich­tversicher­ung vorsieht, gibt es Geld zurück, wenn der Versicheru­ng die voraussich­tlich niedrigere Kilometerl­eistung gemeldet wird.

Die Fachleute raten zu einer schnellen Reaktion, wenn sich eine Notlage abzeichnet. „Zunächst sind die wichtigste­n Rechnungen wie Miete oder Strom zu begleichen“, sagt Zerhusen. Die Situation auszusitze­n sei keine geeignete Strategie, weil sich dadurch die Lage nur verschlimm­ert. „Ganz wichtig ist es, die eingehende Post zu öffnen und den Forderunge­n nicht aus dem Weg zu gehen“, sagt er. Im Gespräch mit dem Gläubiger finde sich vielleicht eine Lösung.

Auch die Schuldnerb­eratungsst­ellen helfen, etwa die der Caritas oder kostenlos bei den Verbrauche­rzentralen. Momentan gibt es zwar kaum persönlich­e Gespräche mit den Helfern. Doch auch telefonisc­h oder online können erst einmal die wichtigste­n Fragen geklärt werden.

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Gemüseausl­age eines Supermarkt­es: Steigende Preise und wegbrechen­de Einnahmen bringen viele Verbrauche­r in die Bredouille.

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