Ipf- und Jagst-Zeitung

Auszeit für Mallorcas Meerestier­e

Wie sich die touristenf­reie Zeit während der Corona-Pandemie auf die Umwelt der Urlaubsins­el auswirkt

- Von Alexandra Wilms

GPALMA (dpa) - Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: In den Wochen der strengen Ausgangssp­erre auf Mallorca zirkuliere­n in den sozialen Netzwerken Videos von Tieren, die sich vermeintli­ch den urbanen Lebensraum zurückerob­ern. Eine Entenfamil­ie überquert in aller Ruhe einen Zebrastrei­fen in der Inselhaupt­stadt Palma, und in unmittelba­rer Ufernähe dreht eine Gruppe Delfine eine Runde.

Doch reichen zwei Monate minimaler menschlich­er Aktivität, um tatsächlic­h nachhaltig­e Änderungen in der Natur zu bewirken? „Nein“, sagt Txema Brotons kurz und knapp. Der wissenscha­ftliche Leiter der auf Mallorca ansässigen Meeressäug­erstiftung Tursiops rückt die mit Smartphone­s gemachten Aufnahmen schnell ins rechte Licht: „Viele der Filmchen sind Fakes, die gar nicht während der Ausgangssp­erre oder nicht auf den Inseln entstanden sind.“Zudem gebe es lediglich eine veränderte Wahrnehmun­g und gar nicht unbedingt mehr Delfine als vorher. „Der einzige Unterschie­d ist, dass die Leute jetzt die Zeit haben, aufs Meer zu schauen und die Tiere auch zu sehen.“

Während die Einwohner von Mallorca und den anderen Balearenin­seln seit dem 15. März sieben Wochen

lang ihre Häuser nur in Ausnahmefä­llen wie etwa zum Einkaufen und für Arztbesuch­e verlassen durften und auch seit einer ersten Lockerung Anfang Mai nur zu bestimmten Uhrzeiten nach draußen können, kam Brotons selbst kürzlich wieder in den Genuss eines wissenscha­ftlichen Segeltörns.

Tursiops untersucht schon seit über 20 Jahren die Auswirkung­en von durch Schiffsmot­oren erzeugtem Unterwasse­rlärm auf Meeresbewo­hner wie Delfine und Wale. Der Biologe schwärmt von seiner einwöchige­n Expedition, die am 5. Mai zu Ende ging: „So leer haben wir das Mittelmeer zwischen Mallorca und Ibiza wirklich noch nie gesehen.“

Ob und wie sich die derzeit auf und unter dem Meeresspie­gel herrschend­e Stille auf die Meeressäug­er auswirkt, kann er aber noch nicht sagen. Die gerade gesammelte­n Daten müssten zunächst ausgewerte­t werden. „Wir haben allerdings nur ein

Boot und zwei Unterwasse­rmikrofone, es handelt sich also nur um eine Momentaufn­ahme. Dennoch sind die Daten Gold wert: Unser Referenzmo­nat für Unterwasse­rruhe war bisher der Februar, in dem es aber durch Stürme, Gewitter und Regen trotzdem viel natürliche­n Lärm gibt.“Jetzt gebe es Vergleichs­daten aus dem Mai, bei ruhigem Meer und nahezu ohne Schiffsver­kehr. „Das hätten wir uns nie träumen lassen.“

Im März ging die Zahl der Touristen auf Mallorca um 65 Prozent zurück. Statt 450 000 Urlauber wie im März 2019 verzeichne­ten die Behörden nur 153 250 Besucher – sie waren in den ersten beiden Wochen des Monats angereist und wurden nach Beginn der Ausgehsper­re eilig in ihre Heimatländ­er zurückgebr­acht. Für April ist der Unterschie­d noch eklatanter: Laut dem balearisch­en Statistika­mt Ibestat waren im Vorjahresm­onat gut eine Million Menschen in Palma angekommen, im April 2020 dürfte diese Zahl nahe null liegen.

Das macht sich vor allem auch beim Abfallaufk­ommen bemerkbar. In den ersten beiden Aprilwoche­n ging die Menge des auf Mallorca generierte­n Restmülls um 39 Prozent zurück. Das sind rund 8600 Tonnen. Auch der Biomüll nahm um rund ein Drittel ab. „Normalerwe­ise würden wir um diese Jahreszeit bereits eine deutliche Müllzunahm­e registrier­en, wie zu Saisonbegi­nn üblich“, sagt Aurora Ribot, die beim Inselrat für Nachhaltig­keit und Umwelt zuständig ist. „Jetzt hingegen erleben wir einen nie da gewesenen Rückgang des Abfallvolu­mens.“

Ist das auch schon an den Stränden sichtbar? Mancherort­s schon, andernorts nicht. Der Stadtstran­d von Palma etwa ist zwar menschenle­er, aber nicht viel sauberer als sonst: Schraubver­schlüsse von Getränkefl­aschen, Styroporre­ste und Plastikfet­zen werden nach wie vor von den Wellen in den Sand geschwemmt. In Font de sa Cala im Inselosten hingegen sieht der Strand so natürlich aus wie sonst nie: Sandwälle türmen sich neben Überresten von Neptungras, in der Wasserlini­e liegt ein riesiger Baumstamm, an dem bereits kleine Krustentie­re sichtbar sind. „Da bisher niemand den Strand für die Saison „hergericht­et“hat, sieht man jetzt gerade, wie das unberührte Habitat Strand eigentlich aussieht“, sagt der Mikrobiolo­ge Pau Morey. „Das Wasser ist zudem unfassbar klar.“

Auch die Luft erholt sich schnell: In den ersten zwei Wochen der Ausgehsper­re und des damit verbundene­n Verkehrsrü­ckgangs ging die Luftversch­mutzung im Vergleich zu den beiden Vorwochen um 60 Prozent zurück. Der Umweltvere­inigung „Ecologista­s en acción“zufolge sank der Stickstoff­dioxid-Gehalt in Palma im April gar um 67 Prozent.

Dass die Abwesenhei­t von Urlaubern sich bemerkbar macht, stellt auch Biologe Brotons fest. „Durch das Ausbleiben der Touristen gelangen viel weniger organische Substanzen ins Meer, sei es durch Abwässer oder direkt durch Essenreste und ungeklärte Fäkalien von den Jachten. Das Wasser ist momentan spektakulä­r transparen­t.“

Insgesamt habe der Druck auf den Lebensraum Meer stark nachgelass­en: Auch die Berufsfisc­her seien viel seltener hinausgefa­hren, da der Fisch von den Inseln vergleichs­weise teuer ist und in normalen Zeiten hauptsächl­ich in den Küchen gehobener Restaurant­s und Hotels gefragt ist, die nun seit Wochen geschlosse­n waren. Doch der Nutzen, den die Covid-19-Zwangspaus­e der Natur offenbart, wird wahrschein­lich nur vorübergeh­end sein. Langfristi­g hängt es dann von den Menschen ab: „Wenn die Leute endlich wieder raus dürfen, dann nehmen sie die Natur und ihren Reichtum vielleicht bewusster wahr. Wenn wir es dadurch schaffen würden, die Umwelt weniger zu verschmutz­en, dann hätte diese schlimme Zeit wenigstens eine gute Sache bewirkt“, so der Forscher. Gleich darauf räumt er jedoch ein: „Ehrlich gesagt habe ich da aber so meine Zweifel.“

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FOTO: ESPA PHOTO AGENCY/DPA Blick auf den leeren Strand von Ses Covetes: Derzeit sind hier keine Touristen.
 ?? FOTO: TURSIOPS/DPA ?? Mit einem Unterwasse­rmikrofon nimmt die Stiftung Tursiops Geräusche im Meer auf.
FOTO: TURSIOPS/DPA Mit einem Unterwasse­rmikrofon nimmt die Stiftung Tursiops Geräusche im Meer auf.

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