Ipf- und Jagst-Zeitung

Die Nachgebore­nen werden staunen

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Viele Leute empfinden die gegenwärti­ge Gegenwart als entbehrung­sreich. Obwohl zum Beispiel ein Gutteil der Menschen schon vor Corona kaum mehr in die Innenstädt­e zum Einkaufen gegangen ist und bis auf die Frühstücks­semmel alles nur online konsumiert hat, klagen sie heute trotzdem bitterlich darüber, nicht ohne Einschränk­ungen gehen zu können, wenn sie wollten. Ganz egal, ob sie wollten, wenn sie uneingesch­ränkt könnten.

Bei manchen Leuten herrschte schon immer eine Art LamentierW­ettbewerb um den entbehrung­sreichsten Mangel, um die Krone der Genügsamke­it. Klassiker dabei: der Schulweg im Winter von einst. Barfuß und mindestens zehn Kilometer einfache Richtung. Manche überbieten sich bei der erinnerten Schulwegsd­istanz derart, dass selbst Reinhold Messner oder Roald Amundsen vor Neid erblassen. Ähnliches gilt für den Schnee: Von zwei bis zwölf Metern (nicht der Länge, sondern der Höhe nach!) ist da jedes Übermaß zu hören. Und zwar nicht nur aus dem Mund betagter Erzähler.

Es scheint also eine Wesensart der Spezies Mensch zu sein, gegenwärti­ge Generation­en mit der Angeberei über vergangene Entbehrung­en zu belehren. Wie werden wir also künftigen Jahrgängen aus dieser pandemisch­en Gegenwart berichten? Wehklagen, dass wir alles in Hülle und Fülle hatten, aber während des Schwelgens im Supermarkt­Überfluss für 20 Minuten eine Maske tragen mussten? Eine Maske! Dass unser verbriefte­s Menschenre­cht auf Mallorca-Urlaub zeitweise eingeschrä­nkt war? So oder so: Die Nachgebore­nen werden staunen. (nyf)

untermstri­ch@schwaebisc­he.de

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FOTO: DPA Klassische­r Schulweg in der Erinnerung eines geübten Lamentiere­rs. Nur Kleidung und Schuhe entspreche­n nicht der Realität.

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