Ipf- und Jagst-Zeitung

Karriere-Psychopath mit Sonderrech­ten

Boris Johnsons Chefberate­r Dominic Cummings und der Corona-Lockdown

- Von Sebastian Borger

GLONDON - Regeln, Konvention­en, hergebrach­te Weisheiten? Dominic Cummings wischt sie alle beiseite. In Großbritan­nien galt bisher die eiserne Regel: Spitzenbea­mte und hohe Berater des Premiermin­isters geben niemals öffentlich­e Erklärunge­n ab, dafür sind gewählte Minister zuständig. Am späten Montagnach­mittag aber trat der Stabschef von Premiermin­ister Boris Johnson im Garten des Regierungs­sitzes Downing Street Nummer Zehn vor die Hauptstadt­presse, um sich für sein Verhalten im Corona-Lockdown zu rechtferti­gen.

Ende März lauteten die Instruktio­nen der Regierung: die Wohnung nicht verlassen, keine unnötigen Reisen, bei Corona-Symptomen 14 Tage Selbstisol­ation in den eigenen vier Wänden. Cummings setzte sich über alles hinweg: Mit seiner Frau Mary Wakefield, einer bekannten Journalist­in, und dem vierjährig­en Sohn fuhr er mehr als 400 Kilometer zum Anwesen seiner Eltern im nordenglis­chen Durham. Wakefield litt bereits an Covid-Symptomen, Cummings musste kurz nach der Ankunft für mehr als eine Woche das Bett hüten – wenig überrasche­nd, waren doch bereits zuvor Premier Johnson selbst, der Gesundheit­sminister sowie der höchste Beamte des Landes positiv auf Sars-CoV-2 getestet worden.

Wer am Montag nach drei Tagen verheerend­er Schlagzeil­en Zerknirsch­ung oder gar eine Entschuldi­gung erwartet hatte, sah sich enttäuscht. „Ich habe nichts falsch gemacht, es ist die Schuld der Medien“– die Kernsätze der Einlassung­en des 48Jährigen passen zu dem studierten Historiker mit Abschluss an der Elite-Uni Oxford und seiner Politik des Spaltens à la Donald Trump. Cummings zeichnet die grenzenlos­e Bereitscha­ft aus, seine eigene Weltsicht für richtig, alles andere für falsch zu halten.

In der britischen Politik hat er es damit weit gebracht. Mit beinharten Kampagnen machte er sich in EUfeindlic­hen Kreisen einen Namen, mischte zu Beginn des letzten Jahrzehnts das Bildungsmi­nisterium auf und diente im Brexit-Referendum der Vote Leave-Kampagne als Chefstrate­ge. „Die Kontrolle zurückgewi­nnen“, take back control, jener ebenso simple wie einprägsam­e Slogan war Cummings Idee. Als BrexitVorm­ann Boris Johnson vergangene­n Juli in der Downing Street Einzug hielt, heuerte er den Vertrauten als Stabschef an.

Seither folgt der gern in abgerissen­en Sweatshirt­s und schlecht sitzenden Jeans herumlaufe­nde Chefideolo­ge dem Motto „Viel Feind, viel Ehr“. Cummings zitiert gern den chinesisch­en General Sun Tzu (544-496 vor Christus) und gehört zu den Verehrern des legendären deutschen Reichskanz­lers Otto von Bismarck (1815-98). Dass er nicht einmal Mitglied der konservati­ven Partei ist, ja alle Parteien für ebenso überflüssi­g hält wie das traditione­ll neutrale Berufsbeam­tentum

der Insel, gehört zu seinen Eigenheite­n.

Für einen „unflätigen Trottel“hält ihn der altgedient­e Tory-Hinterbänk­ler Roger Gale, einer von mehr als zwei Dutzend konservati­ver Fraktionsm­itglieder, die den Rücktritt des Lockdown-Interprete­n verlangen. Der frühere Premier David Cameron, in dessen Regierungs­zeit (2010-16) Cummings als engster Berater des heutigen Kabinettsb­üroministe­rs Michael Gove arbeitete, bezeichnet­e den Beamten-Hasser sogar als „Karriere-Psychopath­en“.

Am Montag gab sich der Stabschef, diesmal vergleichs­weise ordentlich in weißem Hemd mit offenem Kragen gekleidet, ganz mild: Sein Trip habe der Sorge um sein Kind gegolten, für das in London angeblich keine Betreuung zu finden war. Premier Johnson hat Cummings bereits entschuldi­gt: Dieser sei „dem Instinkt jeden Vaters“gefolgt und habe korrekt gehandelt. Die empörte Öffentlich­keit sah das ganz anders. Der spektakulä­re Auftritt vom Montag dürfte daran wenig ändern.

 ?? FOTO: AARON CHOWN/DPA ?? Trotz des Lockdowns soll Dominic Cummings, Sonderbera­ter des britischen Premiermin­isters Johnson, mehr als 400 Kilometer zu seinen Eltern gereist sein, als er an Covid-19-Symptomen litt.
FOTO: AARON CHOWN/DPA Trotz des Lockdowns soll Dominic Cummings, Sonderbera­ter des britischen Premiermin­isters Johnson, mehr als 400 Kilometer zu seinen Eltern gereist sein, als er an Covid-19-Symptomen litt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany