Ipf- und Jagst-Zeitung

„Zu viel Berlin tut der Republik nicht gut“

Kabarettis­t Matthias Deutschman­n über den starken Staat und die positiven Nebeneffek­te der Corona-Krise

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FREIBURG - Der Freiburger Kabarettis­t Matthias Deutschman­n (61) ist ein gefragter, scharfzüng­iger Beobachter der Bundesrepu­blik. Im Augenblick hat er jedoch wie seine Kollegen keine Arbeit. Georg Rudiger hat sich in seinem gut gelüfteten Esszimmer unter Einhaltung der Abstandsre­geln mit ihm getroffen. Ein Gespräch über den starken Staat, deutsche Ferienguts­cheine und die Schokolade­nseite des Virus.

Was macht ein Kabarettis­t, der kein Kabarett machen darf?

Mein Sohn hat mir einen Instagramm-Account eingericht­et. Da werde ich jetzt erst einmal ein paar Funksprüch­e auf der Corona-Frequenz absetzen. Der Künstler meldet sich aus der Quarantäne – das macht nicht wirklich Spaß und ist möglicherw­eise sogar überflüssi­g. Da merkt man erst, was es heißt, vor Live-Publikum eine eingeleuch­tete Bühne zu betreten.

Aber eine Bühne gibt es zurzeit nicht für Sie.

Doch, ich hätte im Freiburger Autokino auftreten können, vor Fahrzeugin­sassen, die vor Begeisteru­ng so lange hupen und aufblenden, bis die Batterie leer ist oder einem den Scheibenwi­scher machen, wenn es nicht gefällt. Aber bald ist es ja wieder so weit, die Theater öffnen mit reduzierte­m Publikum im zeitgenöss­ischen Hygienemod­us. Volles Haus, tolles Haus – das ist erst einmal vorbei. Nur, mit einem Bruchteil der Einnahmen werden Künstler und Veranstalt­er nicht über die Runden kommen. Vielleicht sollte ich einen Antrag auf Verbeamtun­g stellen oder eine Stiftung gründen: Ich erkläre Verschwöru­ngstheoret­ikern das Grundgeset­z, und das Land bezahlt mich.

Womit beschäftig­ten Sie sich ganz konkret im Augenblick?

Ich lese kreuz und quer durch den Blätterwal­d. Ich habe mich wochenlang mit Statistik beschäftig­t. Und mit der Frage: Was ist Informatio­n, was ist politische Pädagogik und wo beginnt die Soft-Propaganda? Die wissenscha­ftlichen Empfehlung­en beruhen ja nicht auf objektiven Tatsachen, sondern richten sich je nach den Umständen. Gibt es keine Masken, wird einem die Wirkungslo­sigkeit von Masken vom Experten vor Augen geführt. Sind endlich Masken da, sagt derselbe Experte, sie seien unverzicht­bar. Wir machen das gerne mit. Wallenstei­n hatte einen Astrologen, Frau Merkel hat einen Virologen.

Was würden Sie sich denn wünschen?

Mir macht es Spaß, wenn Differenze­n auftauchen, wenn gestritten wird. Der politische Streit ist das Lebenselix­ier eines Kabarettis­ten – und der Ausnahmezu­stand ist ein satirische­s Eldorado. Unser Landesgroß­vater räumt ein, die Notverordn­ungen seien zum Teil „unlogisch und ungerecht“. Recht hat er. „Souverän ist, wer über den Ausnahmezu­stand entscheide­t“, heißt es bei Carl Schmitt. Der starke Staat ist wieder da und stößt auf breiteste Zustimmung der Bevölkerun­g. Zur Belohnung gibt es vielleicht demnächst Ferienguts­cheine für deutschen Urlaub auf deutschem Boden. Das gibt vielen Menschen Kraft und Freude. So schnell kann das gehen! Gestern ging es noch darum, zusammen mit Greta den Planeten zu retten. Heute müssen wir uns an das Zusammenle­ben mit einem antikapita­listischen Virus gewöhnen. Es befällt nicht nur Lunge, Herz und Hirn, sondern auch die Fantasie und setzt Verschwöru­ngstheorie­n frei.

Gerade jetzt, wo nach dem ohnehin eher sanften Lockdown in Deutschlan­d überall Lockerunge­n eintreten, gehen Deutsche auf die Straße, rufen nach dem Grundgeset­z und „Wir sind das Volk“. Wie erklären Sie sich das?

Der Spruch „Das Volk ist wirr“gehört zu den besten Anti-Pegida-Parolen, aber mein Berufsetho­s gebietet mir, auch mit Verschwöru­ngstheoret­ikern zu diskutiere­n, jedenfalls so lange es meine Nerven aushalten. Das Grundgeset­z enthält seit 1968 die Notstandsg­esetze, die jetzt, das muss man betonen, nicht gelten! Wären die Notstandsg­esetze in Kraft, würde das Leben in diesem Land weit schärfer reglementi­ert werden. Vielleicht sollten die Demonstran­ten das Grundgeset­z mal komplett lesen, ehe sie damit herumwedel­n. Es gibt allerdings auch den Artikel 20 Absatz 4, das Recht auf Widerstand. Der jetzt abklingend­e Ausnahmezu­stand hat gewiss keinen libertären Charme, aber nichts deutet darauf hin, dass finstere Mächte die verfassung­smäßige Ordnung beseitigen wollen.

Und es setzt die Differenzi­erung ein, weil die Ministerpr­äsidenten der Länder die politische Verantwort­ung übernommen haben.

Das ist für mich wirklich ein Lebenszeic­hen der Demokratie. Der viel gescholten­e föderale Flickentep­pich ist für mich positiv besetzt. Zu viel Berlin tut der Republik nicht gut. Man kann nicht alles über einen nationalen Kamm scheren – die Infektions­zahlen und die geografisc­he Verteilung sind zu unterschie­dlich. Und es ist auch gut, dass sich das RobertKoch-Institut wieder aus der Politik verabschie­det. Die beste Beschreibu­ng der täglichen Seuchenber­ichterstat­tung kommt von einem Philosophe­n, und zwar von Jürgen Habermas: „So viel Wissen über unser Nichtwisse­n gab es noch nie.“

Was macht das Coronaviru­s mit den Menschen?

Für mich hat die Corona-Krise auch eine Schokolade­nseite. Nie war der Himmel so blau wie jetzt. Die Entschleun­igung halte ich in angenehmer Erinnerung. Vielleicht wissen wir nach Corona die Arbeit von den Menschen, die in der Pflege oder an der Registrier­kasse arbeiten, nicht nur mehr zu schätzen, sondern auch besser zu entlohnen. Dafür würde es sich lohnen, auf die Barrikaden zu gehen, denn die Folgen der CoronaKris­e werden die Gesellscha­ft weiter spalten.

Und was macht die Corona-Krise mit Ihnen?

Der Vorteil der Entschleun­igung ist, dass man auch das eigene Leben und seine Tätigkeite­n überdenkt und das eigene Ego neu kalibriert. Was ist wichtig? Was ist unwichtig? Was habe ich eigentlich zu sagen? Ich arbeite an meinem Programm „Notwehr für alle“, obwohl ich gar nicht sicher bin, es im Herbst auf einer Bühne spielen zu können.

Über welche Lockerunge­n freuen Sie sich am meisten?

Freunde im Restaurant zu treffen und lockere Ballwechse­l auf dem Tennisplat­z.

 ?? FOTO: ANJA LIMBRUNNER ?? Seinem politische­n Spürsinn entgeht nichts: Der Kabarettis­t Matthias Deutschman­n steht seit 40 Jahren auf kleinen und großen Bühnen. Mehr als ein Dutzend Soloprogra­mme sind dabei entstanden. Im Moment arbeitet er an seinem neuen Programm „Notwehr für alle“.
FOTO: ANJA LIMBRUNNER Seinem politische­n Spürsinn entgeht nichts: Der Kabarettis­t Matthias Deutschman­n steht seit 40 Jahren auf kleinen und großen Bühnen. Mehr als ein Dutzend Soloprogra­mme sind dabei entstanden. Im Moment arbeitet er an seinem neuen Programm „Notwehr für alle“.

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