„Wir werden mit Spätfolgen länger befasst sein als mit der Frage nach dem Impfstoff“
Die Caritas versucht mit ihren Hilfs- und Beratungsangeboten Menschen in der Krise beizustehen – Die Nachfrage steigt
Die wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Folgen der Corona-Krise stürzen auch Menschen in Notlagen, die bisher noch nie Beratung benötigten: Um hier reagieren zu können, hat die Caritas ihr Beratungsangebot ausgebaut. Birgit Baumgärtner, Referentin im Bereich Soziale Arbeit, Allgemeine Sozialberatung und Caritasdienste in der Flüchtlingsarbeit, und Heiner Heizmann, Leitung Kompetenzzentrum Sozialpolitik beim Diözesancaritasverband Rottenburg-Stuttgart, erläutern im Gespräch mit Ludger Möllers die neuen Herausforderungen.
Wo liegen die Schwerpunkte der Arbeit der Caritas während der Herausforderungen durch Corona? Heizmann: Zu uns kommen jetzt auch Menschen, die es sich nie hätten träumen lassen, dass sie eine Beratung in Anspruch nehmen müssen. Menschen, die unverschuldet und ohne Vorwarnung in eine finanzielle oder soziale Schieflage geraten sind. Aber sie haben eine Perspektive, dass diese Situation nur von einer gewissen Dauer sein wird. Und es hat sich erfahrungsgemäß gezeigt: Wenn Unterstützung und Hilfe da sind, lässt sich so eine Krise besser überbrücken. Man kann sich gezielter Hilfe holen.
Wie arbeiten Sie in Zeiten erschwerter Bedingungen? Baumgärtner: Auch in der CoronaKrise beruht unsere Beratung generell auf dem unmittelbaren Kontakt zwischen Beratern und Klienten. Das wird natürlich durch den Infektionsschutz sehr erschwert. Daher haben wir sehr schnell unsere Dienste, soweit möglich, entweder auf Online-Beratung oder Telefonberatung umgestellt, damit wir für die Menschen trotz der vorgeschriebenen Distanzierung zur Verfügung stehen. Inzwischen nehmen wir wahr, dass sich die Zielgruppe erweitert hat.
Wohin hat sich diese Zielgruppe erweitert?
Heizmann: Durch die wirtschaftlichen Herausforderungen und die vielen Hilfemaßnahmen entsteht ein anderer Beratungsbedarf. Zum Beispiel erhalten Menschen, die normalerweise keine Sozialleistungen beziehen würden, nun schnell und unkompliziert staatliche Hilfen.
Diese Menschen haben üblicherweise keine existenziellen Schwierigkeiten.
Jetzt aber bekommen sie finanzielle Unterstützung über diese Systeme. Und wenn sie
Hilfe bekommen, müssen sie auch wissen, wie sie diese Hilfe erreichen, welche Anforderungen gestellt werden. Es geht oft um praktische Sachen. Zum Beispiel: Wie stelle ich einen Antrag?
Wie bereiten Sie sich auf die weitere Entwicklung vor? Baumgärtner: Wir gehen davon aus, dass wir mit den Spätfolgen der Krise deutlich länger befasst sein werden als mit der Frage nach dem Impfstoff. Wir müssen schon damit rechnen, dass mehr Menschen auf unsere Unterstützung angewiesen sein werden. Wir haben eine größere Anfrage eben gerade von Menschen, die kurzfristig Unterstützung bekommen, Stichwort „Soloselbstständige“. Ziel ist es natürlich, dass sie mit unserem Mitwirken möglichst schnell wieder raus aus dem Hilfesystem kommen.
Wir erwarten eine höhere Anfrage mit einer Perspektive von etwa zwei Jahren. Es wird sich ja zeigen, wie überhaupt die Wirtschaft wieder anspringt. Davon hängt auch unsere Arbeit ab. Es stellen sich Fragen der Kurzarbeit und so weiter.
Wie ist die Caritas aufgestellt? Heizmann: Wir sind in der Allgemeinen Sozialberatung in neun Caritas-Regionen mit 49 Mitarbeitenden auf 16,2 Stellen beratend tätig. An 54 Standorten werden Sprechstunden angeboten. Und die Stiftung Franziskusfonds des Bistums wird hauptsächlich von unseren Allgemeinen Sozialberatungen in Anspruch genommen und die Anträge werden dort gestellt. Im letzten Jahr wurden über 200 000 Euro an Beihilfe ausgegeben. Und für dieses Jahr erwarten wir ein bisschen weniger, da unser verfügbares Budget aus dem Fonds von der Zinsausschüttung abhängt.