Das dicke Ende steht den Banken noch bevor
Kreditanfragen überrollen die Institute im Südwesten – Doch mit jeder Zusage gehen sie auch ein Risiko ein
GSTUTTGART - Banken und Sparkassen im deutschen Südwesten sehen sich einer noch nie da gewesenen Kreditnachfrage von Unternehmenskunden ausgesetzt. Aufgrund von Liquiditätsengpässen durch die Corona-Krise werden Kreditlinien für Firmen auf breiter Basis erhöht, berichteten unisono Vertreter der drei Bankengruppen im Land auf einem digital organisierten Wirtschaftsgipfel des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg in Stuttgart. „Wir stellen, wo es auch immer geht, Liquidität zur Verfügung“, sagte Roman Glaser, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband, für die 168 Genossenschaftsbanken im Land.
Ähnlich stellt sich die Situation bei den 51 Sparkassen in BadenWürttemberg
dar. So registrierte die Institutsgruppe im laufenden Jahr ein Plus von 50 Prozent bei den Kreditzusagen, die ein Volumen von 2,9 Milliarden Euro ausmachen. „Wir geben Gas wie noch nie“, sagte dazu Peter Schneider, Präsident des Sparkassenverbands Baden-Württemberg. Hinzu kommen 50 000 Fälle von Tilgungsaussetzungen, die einen Umfang von rund einer Milliarde Euro ausmachen. Auch Glaser bezifferte für die Genossenschaftsbanken den Umfang der Stundungen auf einen hohen dreistelligen Millionenbetrag. Parallel dazu bewegt sich auch das Förderkreditgeschäft, das die Primärbanken an die Förderbanken vermitteln, auf Rekordniveau. So registrierten die Sparkassen im Land Förderkredite über 1,5 Milliarden Euro, während bei den Volks- und Raiffeisenbanken im Land rund 4000 Förderanträge über eine 1,4 Milliarde Euro eingingen.
Die Vertreter der Institutsgruppen machten darüber hinaus klar, dass es nun darum gehe, mithilfe von Krediten die aktuelle Durststrecke zu überbücken, um hernach den Wirtschaftsmotor wieder zum Laufen bringen zu können. „Die eigentliche Herausforderung wird erst Ende des Jahres auf uns zukommen, wenn wir beginnen müssen, Wertberichtigungen zu bilden“, sagte dazu Andreas Torner, Vorstand des Bankenverbands BadenWürttemberg. Wenn sich nämlich herausstellt, dass die Unternehmen durch die vergebenen Kredite nicht gerettet werden können, wandeln sich die Darlehen zu sogenannten notleidenden Krediten, für die die Banken hohe Rückstellungen zurücklegen müssen. Das dicke Ende kommt also noch – da sind sich die Banker einig. Spätestens 2021 steht ihnen ein gewaltiger Wertberichtigungsbedarf ins Haus.
Doch anders als bei der Finanzkrise 2008/2009 könnten die Banken diesmal Teil der Lösung und nicht das Problem selbst sein, so Torner. Dann wird sich zeigen, ob die aktuelle Krise die Finanzinstitute härter trifft als damals. „Wir haben heute ein größeres Krisenpotenzial“, ist sich Schneider sicher. Daher werde man im Zuge der Corona-Krise wahrscheinlich eine höhere Risikovorsorge vornehmen müssen als 2008/2009, als allein die Sparkassen im Südwesten rund 800 Millionen Euro wertberichtigt haben. Dennoch sieht Schneider eine gute Chance dafür, dass am Ende weniger Kredite tatsächlich abgeschrieben werden müssen als nach der Finanzkrise.
Seine Hoffnung begründete er mit dem entschlossenen Handeln der Politik auf Landes-, Bundes- und europäischer Ebene, die mit ihren Hilfsprogrammen eine starke Reaktion gezeigt habe.
Schneider, der als ausgesprochener Kritiker der EU-Bankenregulatorik gilt, forderte bei dieser Gelegenheit, dass die Aufsicht Lockerungen, die zu Beginn der Corona-Krise eingeführt wurden, gleich ganz streichen solle. „Wir brauchen jetzt Gewissheit, dass Erleichterungen langfristig gelten, und offensichtlich unnötige Vorschriften gar nicht mehr in Kraft treten“, sagte der Sparkassenpräsident. Beispielhaft nannte er ein umfangreiches Meldewesen sowie krisenverschärfende Mechanismen beim Rating im Falle von Kreditstundungen.