Ipf- und Jagst-Zeitung

Verstecksp­iel auf dem Fußballpla­tz

Warum Homosexual­ität im Sport immer noch ein Tabu ist und wie ein Bad Saulgauer das ändern will – Benjamin Näßler hat die Aktion „Doppelpass“konzipiert

- Von Andrea Pauly

GBAD SAULGAU - Benjamin Näßler gilt als der schönste schwule Mann Deutschlan­ds: Er hat Ende Dezember die Wahl zum Mr. Gay Germany gewonnen. Dafür reichte es nicht, dass der gebürtige Bad Saulgauer athletisch ist und in Badehosen auf einem Laufsteg eine gute Figur macht: Eine Kampagne, die jeder Teilnehmer erarbeiten musste, war Teil des Wettbewerb­s. Benjamin Näßler entschied sich, ein Problem zu thematisie­ren, von dem er selbst jahrelang betroffen war: Unbehagen, Ablehnung und offener Hass gegenüber Schwulen im Fußball.

Dass er schwul ist, wusste er schon, als er noch in Bad Saulgau lebte und dort beim FV Fußball spielte. Doch sich bei den Kumpels und Trainern zu outen, kam für ihn nicht infrage. Auf deutschen Fußballplä­tzen, in der Kabine und beim Bier nach dem Spiel fallen bis heute Sprüche, die schwulenfe­indlich sind: „Schwul“ist häufig eine Beschimpfu­ng, egal ob es um einen missglückt­en Pass, einen foulenden Gegenspiel­er oder einen Trinkspruc­h geht. „Man hat sich zugeproste­t, und dann kam des Öfteren der Spruch: ,Absetzen, sonst gibt’s schwule Kinder’“, erinnert sich Näßler. „Für mich war das ein Grund zu sagen: Dann oute ich mich lieber nicht.“Er wollte nicht riskieren, von Teamkamera­den und Zuschauern verachtet zu werden, weil er Männer liebt.

Während Homosexual­ität in der Kunst- und Musikszene und selbst in der Bundespoli­tik deutlich entspannte­r wahrgenomm­en wird, ist sie bei Fußballern nach wie vor ein Tabu. „Wir haben in Deutschlan­d 36 Profiverei­ne mit jeweils 25 Spielern, also mehr als 600 hauptberuf­liche Fußballer, von denen offiziell keiner schwul ist“, sagt Näßler. Selbst wenn der Anteil von Homosexuel­len unter

Fußballern vielleicht etwas geringer sei – es gebe auf jeden Fall den einen oder anderen. Gerüchte gibt es oft und viele. Für Schwule seien das Verstecksp­iel und das Verheimlic­hen von einem Teil ihrer selbst in der Öffentlich­keit oft das kleinere Übel, meint Näßler im Podcast „Sag’s Pauly“der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Dass sich im Fußball niemand traut, zur Homosexual­ität zu stehen, liegt aus Sicht des 31-Jährigen vor allem am Männerbild im Sport, wo jeder der Stärkste, Beste, Schnellste und Männlichst­e sein müsse. Wer sich bekennt, schwul zu sein, biete Angriffsfl­äche für die Pöbler – die vor allem hinter der Bande stehen. „Ich glaube, viele denken, dass schwule Männer nicht die klassische­n Männer sind, die groß, stark und kräftig sind“, sagt Näßler. „Aber nicht alle Schwulen sind tuntig.“Ein Outing von prominente­n Profis würde das Verhalten in den unterklass­igen Vereinen allerdings nicht ändern, glaubt der 31-Jährige. Das zeige das Beispiel des Sportvorst­ands und

Vorstandsv­orsitzende­n des VfB Stuttgart. Thomas Hitzlsperg­er hatte als Profi den Beinamen „Hitz the Hammer“. Hitzlsperg­ers Outing nach seiner aktiven Karriere vor sechs Jahren sorgte für großes Aufsehen. „Was hat sich denn seitdem auf den Plätzen geändert?“, fragt Näßler rhetorisch. „Nichts.“

Deshalb zielt die Kampagne „Doppelpass“, die er für die Mr-GayWahl konzipiert hat, darauf ab, Aufmerksam­keit für homophobe Begriffe zu wecken. Benjamin Näßler will Trainer und andere Funktionär­e sensibilis­ieren, damit diese solche Äußerungen nicht mehr tolerieren. Außerdem will er erreichen, dass Landesverb­ände Ansprechpa­rtner benennen, die schwule Sportler beraten und unterstütz­en können. Denn die Homophobie auf Fußballplä­tzen in der Region habe laut Näßler einen weiteren Effekt: Einige talentiert­e Sportler entscheide­n sich dagegen, im Verein zu spielen: aus Angst vor Verachtung, Hass und einem Zwangsouti­ng.

Das ganze Gespräch mit Benjamin Näßler gibt es ab Sonntag, 8 Uhr, als Podcast unter:

www.schwaebisc­he.de/sagspauly

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FOTO: PRIVAT Benjamin Näßler
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