Ipf- und Jagst-Zeitung

„Bestenfall­s indirekter Hinweis auf Corona-Kontakt“

Informatik­professor Frank Kargl sieht die geplante Tracing-App für Covid-19-Infizierte grundsätzl­ich positiv, weist aber auch auf Schwächen hin

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RAVENSBURG - Frankreich und Italien haben schon Corona-TracingApp­s in Betrieb genommen – Mitte des Monats soll auch die deutsche Variante an den Start gehen. Kontakte von Infizierte­n sollen so leichter nachverfol­gt werden können. Informatik­professor Frank Kargl vom Institut für Verteilte Systeme der Universitä­t Ulm hat mit Kristina Staab darüber gesprochen, wie sicher und verlässlic­h die App ist.

Eine praktische Frage vorweg: Muss das Handy an und die App offen sein, damit Kontaktdat­en erfasst werden?

Ausgeschal­tet darf das Handy nicht sein, im Stand-by-Modus allerdings funktionie­rt die App weiterhin. Die Kooperatio­n mit Google und Apple ermöglicht, dass die App energiespa­rend Bluetooth-Nachrichte­n verschicke­n kann, ohne vom Betriebssy­stem beendet zu werden.

Was halten Sie von der Zusammenar­beit mit Google und Apple bei der Entwicklun­g der deutschen App – speziell im Punkt Datenschut­z?

Ich glaube schon, dass es der richtige Weg ist. Zumal Google oder Apple aus den Kontaktnac­hrichten von anderen Geräten keine weiteren Rückschlüs­se oder Informatio­nen über deren Nutzer gewinnen können. Die Betriebssy­steme sind im Smartphone-Markt am verbreitet­sten und die Smartphone­s haben meist Bluetooth eingebaut, um die notwendige­n Nachrichte­n verschicke­n zu können. Darauf können die nationalen Apps aufgesetzt werden, die dann die weitere Datenverar­beitung übernehmen. Hier hat man sich für die dezentrale Lösung entschiede­n. Ich glaube, dass auch dies die richtige Entscheidu­ng ist, weil sie die Privatsphä­re besser schützen kann, als eine zentrale Lösung.

Inwiefern helfen die gerade veröffentl­ichten Quellcodes der AppSoftwar­e von Telekom und SAP dabei, die Datensiche­rheit zu beurteilen und zu entwickeln?

Auf diese Art können mehr Fachkundig­e mögliche Sicherheit­sschwachst­ellen entdecken, über welche Hacker angreifen könnten. Einige Experten

haben schon damit angefangen, den Quellcode zu betrachten. Sie geben ihre Verbesseru­ngsvorschl­äge an Telekom und SAP weiter. Das macht es den Unternehme­n möglich, das System vor dem Start zu verbessern. Nach den ersten Betrachtun­gen sieht der Quellcode allerdings relativ solide aus. Im Moment ist alles noch sehr frisch, das könnte sich daher möglicherw­eise in den nächsten Tagen noch ändern. Doch selbst wenn noch gravierend­e Fehler auftreten würden, könnten sie bis Mitte des Monats noch behoben werden. Die Vorgehensw­eise stärkt auch das Vertrauen in die App, da nun öffentlich geprüft werden kann, ob der dezentrale Ansatz wie versproche­n umgesetzt wird. Das bedeutet, dass mit den erhobenen Daten nichts anderes gemacht wird, als Corona-Kontakte nachzuverf­olgen.

Wie sinnvoll ist Bluetooth für die Datenübert­ragung der App? Die Firma selbst sagt, die Technik sei nicht geeignet, da der Übertragun­gsweg zu ungenau sei.

Das ist in der Tat das große Fragezeich­en für mich hinter all diesen Corona-Tracing-Apps.

Letztlich möchte man aus der Tatsache, dass zwei Handys einen Funkkontak­t herstellen können, auf etwas ganz anderes schließen. Nämlich, dass sich zwei Personen über einen längeren Zeitraum in unmittelba­rer räumlicher Nähe befunden haben und dadurch ein erhöhtes Infektions­risiko entsteht. Ob mein Handy diese Nachricht von einem anderen Handy empfängt oder nicht, das gibt bestenfall­s einen indirekten Hinweis darauf, ob ich mich anstecken kann. Wenn ich beispielsw­eise an der Kasse stehe und da ist eine Plexiglass­cheibe dazwischen, merkt das Handy das nicht. Umgekehrt kann es sein, dass ich einen relativ großen Abstand habe, aber weil die Funkbeding­ungen gerade sehr gut sind, werden diese Nachrichte­n auch über eine größere Entfernung übertragen.

Welche Ansätze gibt es, um die Verlässlic­hkeit der App zu verbessern? Man versucht aus indirekten Hinweisen die Situation zu erschließe­n: Wie ist die Signalstär­ke und wie lange dauert ein Kontakt? Apple und Google wollen weitere Logik einbauen, die versucht herauszufi­nden, ob ich in Bewegung bin oder mich gerade draußen befinde. All das soll in die Risikobeur­teilung einfließen. Große Erfahrunge­n oder Messungen gibt es dazu einfach noch nicht, obgleich zum Beispiel in Deutschlan­d oder der Schweiz schon Experiment­e mit dem Militär durchgefüh­rt wurden. An der Stelle ist es ein Stück weit ein Notbehelf. Man widmet die Nutzung der Bluetooth-Technologi­e um und versucht dann darüber diese Kontaktver­folgung hinzubekom­men.

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FOTO: ELVIRA EBERHARDT/ UNI ULM Frank Kargl, Professor für Informatik in Ulm.

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