Was mehr Ärzte aufs Land locken soll
Grün-Schwarz beschließt Landarztquote und Fokus auf Allgemeinmedizin im Studium
GSTUTTGART - Von A wie Atemproblem bis Z wie Zeckenbiss: Hausärzte sind die erste Anlaufstelle bei fast allen Gesundheitsfragen. Von ihnen gibt es jedoch immer weniger. Unter anderem mit einer Landarztquote für das Medizinstudium will die grün-schwarze Landesregierung nun gegensteuern – darauf haben sich die Minister am Dienstag final geeinigt. Was das konkret bedeutet:
Wie groß ist der Ärztemangel in Baden-Württemberg?
Laut Landesregierung leben 665 000 Menschen in einem Ort ohne Arztpraxis. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) geht von 600 unbesetzten Stellen für Allgemeinmediziner aus – Tendenz steigend. Denn jeder fünte Hausarzt ist über 65 Jahre. Gehen sie in Rente, müssten nach KV-Berechnung zwei vakante Stellen von drei Jungmedizinern übernommen werden. Denn: „Klar ist, das Modell des Landarztes, der 55 Stunden pro Woche in seiner abgelegenen Praxis Dienst tut, entspricht nicht mehr der Lebensrealität von heute“, sagt etwa Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne). „Die Mehrheit der Hausärzte auf dem Land wird in Zukunft jung, weiblich und in Teilzeit arbeitend sein.“
GWas soll die Landarztquote bewirken?
Mit der Quote sollen Mediziner aufs Land gelockt werden, denn dort ist der Mangel am größten. Die KV hat das Land in 103 Versorgungsgebiete unterteilt. In mehr als Dreiviertel der Gebiete kann sich ein Hausarzt sofort neu niederlassen, weil sie als unterversorgt gelten. Im Gebiet der „Schwäbischen Zeitung“liegen lediglich vier gesperrte Bereiche: Ulm, Biberach, Bad Waldsee und Wangen.
GWas ist die Landarztquote?
Sie ist ein alternativer Weg für junge Menschen, an einen begehrten Studienplatz für Medizin zu gelangen. Im Gegenzug verpflichten sie sich, nach ihrem Abschluss eine Zeit in einem unterversorgten Gebiet als Allgemeinmediziner zu arbeiten. Die Rede ist von zehn Jahren. Bislang gibt es an den fünf medizinischen Fakultäten im Land 1550 Studienplätze. 150 weitere werden nun geschaffen – die Hälfte davon reserviert für künftige Landärzte. Kostenpunkt im Endausbau: 30 Millionen Euro pro Jahr. Zum Wintersemester kommen die ersten 75 Plätze dazu. Im nächsten Jahr folgen die weiteren 75 Plätze. Für diese greift dann Landarztquote.
GWelche Bedingungen gelten für die Landarztquote?
Das ist noch sehr unklar. Erklärtes Ziel ist es, auch solchen Bewerbern
Geine Chance auf einen Studienplatz zu geben, die bei einer Vergabe über die Abiturnote nicht zum Zug kommen würden. Eine Ausbildung in einem Gesundheitsberuf könnte ein Kriterium sein. Es ist Aufgabe von Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne), dafür nun die gesetzlichen Regelungen zu erarbeiten. Deshalb sei auch noch unklar, welche Strafen auf Studierende zukommen, die ihr Studium abbrechen, im Anschluss doch nicht im ländlichen Raum arbeiten, oder eben nicht zehn Jahre dort praktizieren – und wer das überwachen soll, erklärt ein Sprecher Luchas. „Bereits geltende Ländergesetze für Landarztquoten können geeignete Quellen sein, wie die Regelungen in Baden-Württemberg zu formulieren sind“, sagt er.
Welche Vorbilder gibt es in anderen Ländern? Nordrhein-Westfalen hat zum Wintersemester 2019/20 bereits 145 Medizinstudienplätze an eine Landarztquote geknüpft. Bayern vergibt erstmals zum Wintersemester 110 Plätze auf diese Weise. In beiden Ländern sollen die Bewerber 250 000 Euro zahlen, wenn sie ihren Vertrag brechen und nicht zehn Jahre auf dem Land praktizieren. Zum Auswahlverfahren in den beiden Ländern gehören Gespräche, in denen die Bewerber ihre Motivation verdeutlichen
Gsollen. Bayern verzichtet aktuell jedoch wegen der Corona-Krise darauf.
Verspricht die Quote mehr Ärzte auf dem Land?
Eine Antwort darauf gibt es wohl erst in 12 bis 15 Jahren, sind sich Experten einig. Die Quote war ein Herzensprojekt der CDU. „Die Landarztquote ist uns ein wichtiges Anliegen, weil sie die einzige Möglichkeit ist, um verbindlich mehr Hausärzte für unterversorgte Gebiete zu gewinnen“, betont Fraktionschef Wolfgang Reinhart am Dienstag. Die Gegenwehr war immens. Die Fachschaften der Medizinischen Fakultäten in Baden-Württemberg und die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland erklären etwa: „Die Quote setzt am falschen Zeitpunkt an.“Das betonte auch Ministerin Bauer am Dienstag. „In jungen Jahren, mit 17, 18 Jahren, unterschreiben Menschen einen Vertrag, der sie auf viele Jahre bindet.“Frank-Dieter Braun, stellvertretender Landeschef des Hausärzteverbands, spricht zudem von einer Abwertung des Berufs. „Wenn Du sonst nichts wirst, wirst Du Landarzt“, so der Hausarzt aus Biberach. „Das ist eins der gefährlichsten Argumente, das Fach abzuwerten.“Etliche Wissenschaftler, etwa von der Universität in Tübingen, hatten ähnliche Sorgen geäußert. Die oppositionelle
GSPD lehnt die Landarztquote mit Verweis auf alle genannten Gründe ab und ergänzt: „Wir brauchen die Landärzte jetzt und nicht erst in 14 Jahren“, so SPD-Gesundheitsexperte Rainer Hinderer.
Was könnte den Ärztemangel schneller mindern?
Die Quote wird flankiert durch weitere Neuregelungen, die die beiden Grünen-Minister Bauer und Lucha besonders betonen. Länger schon setzt Bauer darauf, den Beruf des Allgemeinmediziners attraktiver zu machen. An allen fünf medizinischen Fakultäten im Land sind entsprechende Lehrstühle geschaffen worden – die in Heidelberg, Tübingen und Ulm sind bereits besetzt. An allen Standorten gibt es ab kommendem Wintersemester das Neigungsprofil Ländliche Hausarztmedizin. Medizinstudenten sollen dabei zu jeder Zeit im Studium Module wählen können, die ihnen die Arbeit als Allgemeinmediziner auf dem Land näher bringen sollen. Dabei sollen auch erste Bande in eine Region geknüpft werden. Um den Job als Hausarzt attraktiver zu machen, brauche es zudem neue Arten der Gesundheitsversorgung auf dem Land, so Minister Lucha. Gemeinschaftspraxen, Genossenschaftsmodelle und Versorgungszentren sollen dabei helfen.
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