Ipf- und Jagst-Zeitung

Von armen Schweinen und verdammten Küken

Tierschutz ist Staatsziel – Warum sich seit Jahrzehnte­n für Rinder, Säue und Hühner dennoch nichts ändert

- Von Nina Jeglinski

GBERLIN - In Umfragen betonen Verbrauche­r, mehr Geld für Fleisch ausgeben zu wollen. Laut Ernährungs­report der Bundesregi­erung sind 45 Prozent der Befragten sogar bereit, bis zu 15 Euro mehr für das Kilo Fleisch zu zahlen. Doch aller Erkenntnis zum Trotz, greifen die Kunden im Supermarkt lieber zum billigsten Angebot.

Deutschlan­d 2020: Das Lebewesen ist eine Ware, die Tierzucht ein industriel­l geprägtes Geschäft. Über eine Wende in der Fleischind­ustrie wird seit Jahrzehnte­n gesprochen, doch nur wenig passiert. Seit 2002 ist der Tierschutz Staatsziel und im Grundgeset­z verankert. Trotzdem verenden etwa 20 Prozent der gehaltenen Schweine vorzeitig in den Ställen, wie eine Studie der Tierärztli­chen Hochschule Hannover ergab.

Immer wieder sorgen Skandale in den Zuchtbetri­eben für Aufsehen. Wie der Fall eines Schweinezü­chters aus Merklingen (Alb-Donau-Kreis). In seinen Ställen kamen mehr als 1600 Schweine um, verletzte Tiere soll der 56-jährige Besitzer mit einem Vorschlagh­ammer erschlagen haben. Von den Überlebend­en mussten etliche wegen schwerwieg­ender Verletzung­en vom Veterinära­mt getötet werden.

Fragwürdig­e Methoden sind in der Schweinezu­cht in Teilen legal. Seit fast 30 Jahren wird über die sogenannte­n Kastenstän­de für Schweine debattiert. Etliche Bundesländ­er fordern die komplette Abschaffun­g dieser Haltungsfo­rm, weil sich die Tiere in den kleinen Käfigen nicht bewegen können. Das Land Berlin hat Anfang 2019 eine Normenkont­rollklage beim Bundesverf­assungsger­icht eingereich­t. Doch aus Karlsruhe heißt es: „Das Verfahren ist in Bearbeitun­g, ein Entscheidu­ngstermin ist jedoch nicht absehbar.“

Auch politische Entscheidu­ngen dazu werden immer wieder auf die lange Bank geschoben. Erst in der vergangene­n Woche vertagte der Bundesrat erneut eine Entscheidu­ng zur Reform der Kastenstän­de. Ähnlich sieht es in der Hühnerzuch­t aus. Das Bundesverw­altungsger­icht hat im Juni 2019 klargestel­lt, dass das Töten von 45 Millionen männlichen Küken pro Jahr so lange weiter erlaubt bleibt, bis geeignete Verfahren zur Geschlecht­sbestimmun­g der Tiere im Ei entwickelt sind. Eine Reaktion der Politik blieb bislang aus. Immerhin haben nun Aldi Süd und Nord angekündig­t, bis 2022 im Sortiment nur Eier anzubieten, für die keine Küken sterben mussten. Das dürfte den Druck auf den Markt erhöhen.

Warum aber tut sich die Gesellscha­ft so schwer, die erkannten Missstände schnell zu beheben? Nach Ansicht des Kultur- und Agrarwisse­nschaftler­s Professor Gunther Hirschfeld­er stehen sich zwei Bereiche gegenüber. Zum einen sei der Verbrauche­r gefragt. Weniger Fleischver­zehr würde kleinere Tierbestän­de

bedeuten, was bessere Haltungsfo­rmen zur Folge habe. „Es wäre ein Unterschie­d, wenn wir 30 anstatt 60 Kilogramm pro Jahr verzehren würden“, sagt Hirschfeld­er. Er sieht Veränderun­gen in der Gesellscha­ft. Besonders in der Generation der unter 30-Jährigen zeige sich ein Umdenken.

Auf der anderen Seite gehe es um die Interessen der Wirtschaft. Deutschlan­d ist der drittgrößt­e Exporteur von Agrarprodu­kten, hinter den USA und den Niederland­en. Die höchsten Exporterlö­se erzielen Fleisch und Fleischerz­eugnisse mit 9,8 Milliarden Euro. An zweiter Stelle folgen Milch und Milcherzeu­gnisse im Wert von acht Milliarden Euro. „Gegen solch florierend­e Wirtschaft­szweige will die Politik nicht angehen“, ist Hirschfeld­er überzeugt.

Franz-Theo Gottwald ist Umwelt-Ethiker und Vorsitzend­er der Schweisfur­th-Stiftung und setzt sich seit Jahren für eine zukunftsfä­hige Landwirtsc­haft ein. Für ihn müsste sich im Umgang mit Nutztieren grundsätzl­ich etwas verändern. Die Wahrnehmun­g von landwirtsc­haftlich genutzten und für Ernährungs­oder andere Zwecke zu schlachten­den Tieren sei jedoch kultur- und religionsg­eschichtli­ch geprägt. „Tiere werden als dem Menschen untergeord­net angesehen, selbst wenn gelegentli­ch anerkannt wird, dass sie mit vielen Fähigkeite­n dem Menschen überlegen sind. Die Nutzungsin­teressen überwiegen die Schutzinte­ressen bei

Weitem,“sagt Gottwald. Jedoch hält er eine Agrarwende für machbar: „Allerdings müssen alle Akteure, also Landwirtsc­haft, Verarbeitu­ngswirtsch­aft, Lebensmitt­elhandel und Verbrauche­r gemeinsam dafür arbeiten oder zahlen.“Die Politik müsse langfristi­g wirkende Weichenste­llungen vornehmen, dann könne es bis zum Ende dieses Jahrzehnts eine bessere Nutztierwi­rtschaft in Deutschlan­d geben. „Dafür muss nicht auf Europa gewartet werden,“sagt Gottwald.

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FOTO: JENS BÜTTNER/DPA Eine Entscheidu­ng über den sogenannte­n Kastenstan­d wurde im Bundesrat vertagt.

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