Ipf- und Jagst-Zeitung

Wer die Zeche zahlt, ist offen

Corona-Krise verursacht Billionens­chulden – Neue Hilfspaket­e belasten den Haushalt

- Von Klaus Wieschemey­er Von Klaus Wieschemey­er

GBERLIN - Pünktlich zu ihrem 25. Geburtstag am Freitag dürfte die Schuldenuh­r des Bundes der Steuerzahl­er in Berlin wieder die Zwei-BillionenE­uro-Grenze reißen. Nur wenige hundert Meter weiter will das Bundeskabi­nett im Kanzleramt am gleichen Tag mit einer Mehrwertst­euersenkun­g und einem Kinderbonu­s neue Konjunktur­hilfen auf den Weg bringen.

Etwa zwei Jahre lang lief die Anzeigetaf­el des Bundes der Steuerzahl­er in Berlin zuletzt rückwärts. Doch seit Corona geht auch hier die Uhr anders: Pro Sekunde kommen aktuell rekordverd­ächtige 7177 Euro hinzu. Ob das so stimmt, ist offen. Gut möglich, dass der Steuerzahl­erbund den geschätzte­n Schuldenbe­rg von Bund, Ländern und Gemeinden Ende des Monats leicht nach unten korrigiere­n muss. Doch der Trend ist klar: Schuldenbr­emse war gestern, derzeit hat der Staat die Spendierho­sen an.

Dafür gibt es auch gute Gründe: Mit einer Schuldenqu­ote von etwa 60 Prozent der Wirtschaft­sleistung – also bei der Höhe der Staatsvers­chuldung gemessen am Bruttoinla­ndsprodukt – steht Deutschlan­d im Vergleich mit anderen Industries­taaten gut da. Da kann man es sich nach Meinung vieler Ökonomen leisten, mit Milliarden­summen die Wirtschaft anzukurbel­n. Und dank der Nullzinspo­litik der Europäisch­en Zentralban­k drohen dem Staatshaus­halt derzeit auch keine nachhaltig­en Belastunge­n durch Zinszahlun­gen. „Deutschlan­d schafft den Abstieg vom Schuldengi­pfel – aber hauptsächl­ich dank extrem niedriger/negativer Zinsen“, so das Fazit einer aktuellen Studie von Allianz-Volkswirt Hans-Jörg Naumer. Dass Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) mit dem neuen Konjunktur­programm wohl neue Kredite in der Größenordn­ung zwischen 30 und 50 Milliarden Euro aufnehmen wird, führt entspreche­nd zu wenig Empörung. Auch der Minister selbst gibt sich angesichts der wohl stark steigenden Schuldenqu­ote entspannt: „Das wird jetzt ein bisschen mehr“, sagte er kürzlich im ZDF.

Wer die Corona-Rechnung am Ende zahlen soll, ist derweil offen.

„Stand heute sind keinerlei Erhöhungen von Abgaben und Steuern geplant“, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Mitte Mai. Ob es später welche geben werde, könne sie noch nicht sagen.

Doch die Frage nach der Refinanzie­rung wird immer lauter gestellt: Im Regierungs­lager ist es vor allem die Union, die an ihr einstiges Markenzeic­hen Finanzsoli­dität erinnert. Die Konjunktur­programme seien richtig, aber eine „harte Belastung für die junge Generation“, erklärt der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban. Nach der Pandemie müsse Tilgung Vorrang vor neuen Wahlgesche­nken haben. Denn die nächste Krise komme bestimmt, mahnt der Jungpoliti­ker.

Andere wollen mit dem Sparen indessen nicht bis nach der Krise warten: Der Bund der Steuerzahl­er hat zum Geburtstag seiner Schuldenuh­r eine Streichlis­te vorgelegt, die umgehend Milliarden sparen soll. So kritisiert er die Kostenexpl­osion bei Rüstungspr­ojekten (13 Milliarden Euro) und die hohen Kosten des ohne Wahlrechts­reform wohl munter weiter wachsenden Bundestags (eine Milliarde Euro). Zudem will der Lobbyverba­nd die 15 Musikkorps der Bundeswehr schleifen, die etwa 70 Millionen Euro im Jahr kosten und eine geplante Förderung für defizitäre Regionalfl­ughäfen wie Friedrichs­hafen streichen (50 Millionen Euro).

Auch die FDP drängt auf Konsolidie­rung: Haushaltse­xperte und Fraktionsv­ize Christian Dürr verweist auf 33 Steuerverg­ünstigunge­n im Volumen von 4,7 Milliarden Euro, deren Nutzen ein Gutachten des Kölner Fifo-Instituts im vergangene­n Jahr untersucht hatte. Die Forscher werteten vor allem Energieste­uervergüns­tigungen für Unternehme­n und den öffentlich­en Verkehr kritisch. Auch beim Agrardiese­l zogen die Experten eine durchwachs­ene Bilanz.

Dürr sieht zudem unausgesch­öpfte Potenziale bei der Umsatzbest­euerung ausländisc­her Unternehme­n. Die wird nämlich seit jeher je nach Land über Zentralfin­anzämter geregelt: So ist Konstanz für Liechtenst­ein und die Schweiz zuständig, München für Italien und Österreich. Und das Finanzamt in Berlin-Neukölln für China: Die Zahl der dort erfassten Onlinehänd­ler stieg innerhalb von zwei Jahren von 600 auf 29 000. Der Bundesrech­nungshof kritisiert das scharf: Die Ämter seien am Limit „und können die ausländisc­hen Steuerfäll­e lediglich noch verwalten“, heißt es. Bund und Länder nähmen „hohe Steuerausf­älle in Kauf“. Das Finanzmini­sterium hat auch Handlungsb­edarf eingeräumt – doch getan hat sich noch nichts.

Dass die SPD-Spitze derweil über Abgaben für Besserverd­iener diskutiert, ist für Dürr ein Unding: „Bevor die SPD weiter über Steuererhö­hungen oder Vermögensa­bgaben fantasiert, sollte sie lieber dafür sorgen, dass die bereits vorhandene­n Steuern auch eingetrieb­en werden“, sagt er. Die GroKo solle jetzt einen harten Sparkurs einlegen, fordert der Opposition­spolitiker. Alles Überflüssi­ge müsse auf den Prüfstand.

 ?? FOTO: KAY NIETFELD/DPA ?? Wird 25 Jahre alt – und steigt wieder: Die Schuldenuh­r des Bundes der Steuerzahl­er.
FOTO: KAY NIETFELD/DPA Wird 25 Jahre alt – und steigt wieder: Die Schuldenuh­r des Bundes der Steuerzahl­er.

Newspapers in German

Newspapers from Germany