Wer die Zeche zahlt, ist offen
Corona-Krise verursacht Billionenschulden – Neue Hilfspakete belasten den Haushalt
GBERLIN - Pünktlich zu ihrem 25. Geburtstag am Freitag dürfte die Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler in Berlin wieder die Zwei-BillionenEuro-Grenze reißen. Nur wenige hundert Meter weiter will das Bundeskabinett im Kanzleramt am gleichen Tag mit einer Mehrwertsteuersenkung und einem Kinderbonus neue Konjunkturhilfen auf den Weg bringen.
Etwa zwei Jahre lang lief die Anzeigetafel des Bundes der Steuerzahler in Berlin zuletzt rückwärts. Doch seit Corona geht auch hier die Uhr anders: Pro Sekunde kommen aktuell rekordverdächtige 7177 Euro hinzu. Ob das so stimmt, ist offen. Gut möglich, dass der Steuerzahlerbund den geschätzten Schuldenberg von Bund, Ländern und Gemeinden Ende des Monats leicht nach unten korrigieren muss. Doch der Trend ist klar: Schuldenbremse war gestern, derzeit hat der Staat die Spendierhosen an.
Dafür gibt es auch gute Gründe: Mit einer Schuldenquote von etwa 60 Prozent der Wirtschaftsleistung – also bei der Höhe der Staatsverschuldung gemessen am Bruttoinlandsprodukt – steht Deutschland im Vergleich mit anderen Industriestaaten gut da. Da kann man es sich nach Meinung vieler Ökonomen leisten, mit Milliardensummen die Wirtschaft anzukurbeln. Und dank der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank drohen dem Staatshaushalt derzeit auch keine nachhaltigen Belastungen durch Zinszahlungen. „Deutschland schafft den Abstieg vom Schuldengipfel – aber hauptsächlich dank extrem niedriger/negativer Zinsen“, so das Fazit einer aktuellen Studie von Allianz-Volkswirt Hans-Jörg Naumer. Dass Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) mit dem neuen Konjunkturprogramm wohl neue Kredite in der Größenordnung zwischen 30 und 50 Milliarden Euro aufnehmen wird, führt entsprechend zu wenig Empörung. Auch der Minister selbst gibt sich angesichts der wohl stark steigenden Schuldenquote entspannt: „Das wird jetzt ein bisschen mehr“, sagte er kürzlich im ZDF.
Wer die Corona-Rechnung am Ende zahlen soll, ist derweil offen.
„Stand heute sind keinerlei Erhöhungen von Abgaben und Steuern geplant“, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Mitte Mai. Ob es später welche geben werde, könne sie noch nicht sagen.
Doch die Frage nach der Refinanzierung wird immer lauter gestellt: Im Regierungslager ist es vor allem die Union, die an ihr einstiges Markenzeichen Finanzsolidität erinnert. Die Konjunkturprogramme seien richtig, aber eine „harte Belastung für die junge Generation“, erklärt der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban. Nach der Pandemie müsse Tilgung Vorrang vor neuen Wahlgeschenken haben. Denn die nächste Krise komme bestimmt, mahnt der Jungpolitiker.
Andere wollen mit dem Sparen indessen nicht bis nach der Krise warten: Der Bund der Steuerzahler hat zum Geburtstag seiner Schuldenuhr eine Streichliste vorgelegt, die umgehend Milliarden sparen soll. So kritisiert er die Kostenexplosion bei Rüstungsprojekten (13 Milliarden Euro) und die hohen Kosten des ohne Wahlrechtsreform wohl munter weiter wachsenden Bundestags (eine Milliarde Euro). Zudem will der Lobbyverband die 15 Musikkorps der Bundeswehr schleifen, die etwa 70 Millionen Euro im Jahr kosten und eine geplante Förderung für defizitäre Regionalflughäfen wie Friedrichshafen streichen (50 Millionen Euro).
Auch die FDP drängt auf Konsolidierung: Haushaltsexperte und Fraktionsvize Christian Dürr verweist auf 33 Steuervergünstigungen im Volumen von 4,7 Milliarden Euro, deren Nutzen ein Gutachten des Kölner Fifo-Instituts im vergangenen Jahr untersucht hatte. Die Forscher werteten vor allem Energiesteuervergünstigungen für Unternehmen und den öffentlichen Verkehr kritisch. Auch beim Agrardiesel zogen die Experten eine durchwachsene Bilanz.
Dürr sieht zudem unausgeschöpfte Potenziale bei der Umsatzbesteuerung ausländischer Unternehmen. Die wird nämlich seit jeher je nach Land über Zentralfinanzämter geregelt: So ist Konstanz für Liechtenstein und die Schweiz zuständig, München für Italien und Österreich. Und das Finanzamt in Berlin-Neukölln für China: Die Zahl der dort erfassten Onlinehändler stieg innerhalb von zwei Jahren von 600 auf 29 000. Der Bundesrechnungshof kritisiert das scharf: Die Ämter seien am Limit „und können die ausländischen Steuerfälle lediglich noch verwalten“, heißt es. Bund und Länder nähmen „hohe Steuerausfälle in Kauf“. Das Finanzministerium hat auch Handlungsbedarf eingeräumt – doch getan hat sich noch nichts.
Dass die SPD-Spitze derweil über Abgaben für Besserverdiener diskutiert, ist für Dürr ein Unding: „Bevor die SPD weiter über Steuererhöhungen oder Vermögensabgaben fantasiert, sollte sie lieber dafür sorgen, dass die bereits vorhandenen Steuern auch eingetrieben werden“, sagt er. Die GroKo solle jetzt einen harten Sparkurs einlegen, fordert der Oppositionspolitiker. Alles Überflüssige müsse auf den Prüfstand.