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„Harry-Potter“-Autorin mischt sich in Debatte über Geschlecht­sorientier­ung ein

- Von Sebastian Borger

GLONDON - Ausserhalb ihrer regen literarisc­hen Tätigkeit spielt Joanne (J. K.) Rowling in britischen Medien regelmässi­g in dreifacher Hinsicht eine Rolle. Erstens gehört die Schöpferin und Chefin des Harry-Potter-Universums zu den reichsten Individuen des Landes: Die Sunday Times bezifferte ihr Vermögen kürzlich auf umgerechne­t 887 Millionen Euro. Zweitens setzt sie seit Jahren ihr Geld für diverse politische und wohltätige Zwecke ein: Sie spendete grosszügig für die Labour Party und stärkte im schottisch­en Unabhängig­keitsrefer­endum der Unionisten­seite den Rücken; sie gründete eine Stiftung für weibliche Strafgefan­gene und Überlebend­e häuslicher und sexueller Gewalt; sie investiert Millionen in die Erforschun­g der Muskelschw­undkrankhe­it Multiple Sklerose, an der einst ihre Mutter starb.

Drittens: In jüngster Zeit steht die 54-Jährige an vorderster Front der Transgende­r-Debatte, die auf der Insel wie anderswo mit erbitterte­r Härte ausgefocht­en wird. An dem heiklen Thema haben sich schon andere linksliber­ale Literaten die Finger verbrannt. Romancier Ian McEwan sprach ironisch von Einkäufern in einem „Supermarkt der persönlich­en Identitäte­n“und nannte als Beispiel „Männer im Besitz eines Penis“, die sich nun als Frauen fühlen und Einlass in Frauen-Colleges oder Umkleideka­binen für Frauen begehren.

Rowling nimmt für sich in Anspruch, das Thema gründliche­r erforscht zu haben. In einem am Mittwoch auf ihrer Website veröffentl­ichten langen Essay beschreibt sie nicht nur ihre jahrelange Beschäftig­ung mit Transsexue­llen, deren Diskrimini­erung und dem herrschend­en Diskurs. Die Autorin enthüllt auch eigene Betroffenh­eit: Sie sei als junge Frau Opfer eines Sexualverb­rechens geworden, habe in ihrer ersten Ehe häusliche und sexuelle Gewalt erlitten.

Vor allem aber spricht Rowling davon, sie selbst habe in ihrer Jugend Zweifel an ihrem Geschlecht entwickelt: „Ich glaube, man hätte mich dazu überreden können, mich zu dem Sohn zu machen, den mein Vater stets ganz offen als seine Präferenz bezeichnet­e.“

Machen solche Ideen Rowling zu einer Terf, einer transphobe­n radikalen Feministin, als die sie sich seit Monaten in einer hasserfüll­ten Kampagne beschimpfe­n lassen muss, die durch ihre Unterstütz­ung für eine Gleichgesi­nnte ausgelöst wurde? Zum Vorschein kommt jedenfalls das Unwohlsein einer Generation emanzipier­ter und erfolgreic­her Erwachsene­r über die zunehmende Anzahl junger Frauen, die „der Verlockung einer Flucht aus dem Frausein“erliegen, wie die Autorin schreibt. Tatsächlic­h hat Grossbrita­nnien binnen zehn Jahren eine Umkehr der Begehren nach einer Geschlecht­sumwandlun­g erlebt: Waren dies früher mehrheitli­ch Männer, so sind es inzwischen vor allem junge Frauen – deren Anzahl hat um 4400 Prozent zugenommen, „und autistisch­e Mädchen sind weit überrepräs­entiert“.

Die Reaktion der Transgende­rCommunity auf das Essay hat Rowling schon vorweggeno­mmen, indem sie einen Ausschnitt der Beleidigun­gen und Drohungen in den sogenannte­n sozialen Netzwerken veröffentl­ichte: Die Autorin sei transphob, ihre Bücher sollten kompostier­t oder sogar verbrannt werden. Die Schriftste­llerin wird es aushalten. An britische Organisati­onen und Institutio­nen richtet sie einen provokativ­en Wunsch: Diese sollten sich „wirklich ein Paar wachsen“lassen – eine Anspielung auf jene cojones, die einst Premiermin­isterin Margaret Thatcher von einem Bewunderer zugesproch­en wurden.

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FOTO: ANGELA WEISS/DPA „Harry-Potter“-Autorin Joanne Rowling steht in der Kritik.

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