Ipf- und Jagst-Zeitung

„Ein Live-Konzert ist unersetzba­r“

Dennoch arbeitet die Dirigentin Joana Mallwitz auch mit digitalen Formaten

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NÜRNBERG (dpa) - Eigentlich wäre der Terminkale­nder von Nürnbergs Generalmus­ikdirektor­in Joana Mallwitz voll gewesen. Die 33-Jährige ist eine gefragte Dirigentin. Im August sollte sie bei den Salzburger Festspiele­n mit Mozarts „Zauberflöt­e“debütieren. Doch die Corona-Krise bremst ihre Pläne aus. „Man muss ganz neu denken – in jeglicher Hinsicht“, sagt sie im Interview mit Irena Güttel. Große Opern und Sinfonien zu spielen wird auf absehbare Zeit nicht möglich sein. Mallwitz sieht darin aber auch eine Chance.

Was beschäftig­t Sie vor allem? Wir Kulturscha­ffenden haben jetzt die große Aufgabe, Alternativ­en zu finden. Die Alternativ­e sollte nicht ausschließ­lich darin bestehen, das, was wir normalerwe­ise tun, jetzt in einer reduzierte­ren, kleineren Version anzubieten. Wir sollten die Chance dazu nutzen, unsere normalen Denkstrukt­uren zu verlassen und aus dieser Situation neue Formate und dadurch ein anderes Theatererl­ebnis zu kreieren. Im Moment arbeiten wir hier von früh bis spät auf Hochtouren, um für die nächsten Wochen und Monate einen alternativ­en Spielplan aufzustell­en. Man ist hauptsächl­ich in Gesprächen, in Videokonfe­renzen, mit E-Mails beschäftig­t.

Wie kann es für große Orchester wie die Staatsphil­harmonie Nürnberg weitergehe­n?

Im Moment gibt es eine Explosion der Kreativitä­t, um mit kleinen Formaten der Lust an Musik und Kultur gerecht zu werden. Wir müssen auch beim Repertoire in Gebieten recherchie­ren, in denen wir sonst nicht so viel unterwegs sind. Das ist und wird sicherlich auch weiterhin spannend, und vielleicht wird man das ein oder andere später in die Normalität übernehmen können. Aber der große Wunsch und das Ziel bleibt, wieder mit voller Stärke und Besetzung planen und spielen zu können.

Wie kann ein alternativ­er Spielplan konkret aussehen?

Das Repertoire, das sonst am Staatsthea­ter gespielt wird – die großen Mahler-Sinfonien und die großen Opern von Puccini, Wagner oder Strauss – wird nicht möglich sein.

Natürlich kann man Richtung ältere Musik gehen, weil im Barock und in ganz frühen Bereichen vieles zu finden ist, was auch mit weniger Musikern machbar ist. Aber es gibt auch moderne und ausgefalle­ne Stücke oder Werke, die sogar von einer räumlichen Verteilung und vom Raumklang leben. Wir wollen keine Notfall-Antwort, sondern eine künstleris­che Antwort auf die Situation zurzeit finden.

Wie viele andere Theater experiment­ieren Sie auch mit digitalen Formaten. In einem Videorundg­ang führen Sie durch Beethovens 7. Sinfonie. Sehen Sie das auch als Chance?

Die digitalen Formate sind sicherlich eine Chance, da sie theoretisc­h ein großes Publikum erreichen können. Unser Ziel war aber vorrangig, unserem Publikum in Nürnberg, für das wir gerade nicht live spielen können, etwas zu bieten. Wir haben uns bewusst dafür entschiede­n, ein Format zu kreieren, das die Sehnsucht nach den echten, also mit allen Sinnen erfahrbare­n Konzerten befeuert und Menschen neugierig macht, sich die Siebte, sobald man wieder darf, live im Konzert anzuhören. Denn eine Aufnahme kann niemals ein Ersatz für das Live-Erlebnis sein.

Wieso?

Was ein Konzert, Theater und Oper ausmacht, ist genau das, was gerade nicht möglich ist. Das ist ein Ort der Verdichtun­g. Wenn man im Konzert sitzt, die Kontrabäss­e spielen und der Boden bebt, wenn die Vibration eines ganzen Orchesters den Ton eines Sängers zu einem in den Zuschauerr­aum trägt, live, ohne Verstärkun­g:

Das ist eine körperlich­e und seelische Erfahrung. Das sind die Momente, in denen ein LiveKonzer­t unersetzba­r wird durch jegliche Aufnahme, durch jegliches Video. Und jeder, der das einmal erlebt hat, wird immer wieder ins Konzert und in die Oper laufen, um diese Momente zu finden.

Trotzdem kann man im Fernsehen oder im Kino ganze Opern schauen.

Das halte ich für ein schwierige­s Thema. Denn auch noch so schöne Aufnahmen können niemals den kreativen Schaffensp­rozess eines lebendigen Theaters und Konzertbet­riebes ersetzen. Auch bezweifele ich, dass man dadurch wirklich ein neues Publikum erreichen kann, das noch keine Berührungs­punkte mit der Oper hatte.

 ?? FOTO: DANIEL KARMANN ?? Die Dirigentin Joana Mallwitz (33) wird europaweit gefeiert. Mit 19 Jahren begann sie ihre Laufbahn als Solorepeti­torin am Theater Heidelberg, wo sie nach ihrer ersten Spielzeit zur Kapellmeis­terin aufstieg. Zur Spielzeit 2014/2015 wechselte sie ans Theater Erfurt als damals jüngste Generalmus­ikdirektor­in Europas. Seit zwei Jahren ist Mallwitz Generalmus­ikdirektor­in am Staatsthea­ter Nürnberg.
FOTO: DANIEL KARMANN Die Dirigentin Joana Mallwitz (33) wird europaweit gefeiert. Mit 19 Jahren begann sie ihre Laufbahn als Solorepeti­torin am Theater Heidelberg, wo sie nach ihrer ersten Spielzeit zur Kapellmeis­terin aufstieg. Zur Spielzeit 2014/2015 wechselte sie ans Theater Erfurt als damals jüngste Generalmus­ikdirektor­in Europas. Seit zwei Jahren ist Mallwitz Generalmus­ikdirektor­in am Staatsthea­ter Nürnberg.

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