Ipf- und Jagst-Zeitung

Erdogan und die Idee von der Moschee

Warum der türkische Präsident die Hagia Sophia in ein islamische­s Gebetshaus umwandeln will

- Von Susanne Güsten

GISTANBUL - Die Stimmung ist schlecht, die Umfragen sind mies – da besinnt sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan immer gerne auf eine politische Trumpfkart­e. Erdogan lässt die Umwandlung der Hagia Sophia in Istanbul in eine Moschee prüfen, seine Partei AKP kündigt für den kommenden Monat entspreche­nde Entscheidu­ngen an. Islamisten in der Türkei fordern schon lange, die Hagia Sophia zur Moschee zu machen. Dass Erdogan diese Forderung jetzt möglicherw­eise erfüllen will, zeigt, dass sein Vorrat an politische­n Angeboten an die Wähler so gut wie erschöpft ist. Sollte die Hagia Sophia tatsächlic­h vom Museum zur Moschee werden, wäre das ein sicheres Zeichen dafür, dass in der Türkei vorgezogen­e Neuwahlen bevorstehe­n.

Die Hagia Sophia wurde im 6. Jahrhunder­t als Reichskirc­he der Byzantiner gebaut und war fast tausend Jahre lang die wichtigste Kirche des Christentu­ms. Als die Osmanen im 15. Jahrhunder­t das damalige Konstantin­opel – das heutige Istanbul – eroberten, machten sie die Hagia Sophia zur Moschee. Republikgr­ünder Mustafa Kemal Atatürk erklärte sie 1935 zum Museum. Als Wahrzeiche­n Istanbuls zählt das anderthalb Jahrtausen­de alte Gotteshaus heute mit 3,7 Millionen Besuchern im Jahr zu den Hauptmagne­ten für Besucher der Metropole. Als Teil des Weltkultur­erbes steht die Hagia Sophia unter dem Schutz der UN-Kulturorga­nisation Unesco.

Erdogans islamisch geprägte Regierung hatte in den vergangene­n

Jahren mehrere ehemalige Kirchen in der Türkei zu Moscheen erklärt. Dagegen blieb der Status der Hagia Sophia als Museum bisher unangetast­et, auch wenn in dem Bau hin und wieder muslimisch­e Gebete gesprochen werden, wie zuletzt am Jahrestag der osmanische­n Eroberung von Istanbul im Mai.

In der türkischen Politik ist das Thema so etwas wie das Monster von Loch Ness: Es taucht immer wieder auf, ohne dass es greifbare Ergebnisse gibt. Noch im vergangene­n Jahr wies Erdogan die Forderunge­n der Islamisten mit der Bemerkung zurück, sie sollten erst einmal die Blaue Moschee neben der Hagia Sophia mit Gläubigen füllen. Doch Erdogans Haltung hat sich offenbar geändert. Medienberi­chten zufolge will er prüfen lassen, wie eine Umwandlung bewerkstel­ligt werden könnte. Im Staatssend­er TRT sagte der Präsident, die Entscheidu­ng über diese Frage liege bei der Nation. Devlet Bahceli, Chef der rechtsgeri­chteten Partei MHP und Erdogans Koalitions­partner im Parlament, stellte sich öffentlich hinter die Forderung nach einer Umwandlung und verstärkte damit den Druck auf den Präsidente­n. Im Parlament lehnte die AKP zwar den Antrag einer konservati­ven Opposition­spartei in der Sache ab, kündigte aber gleichzeit­ig an, im Juli selbst die „nötigen Schritte“zu unternehme­n.

Wenn die Türkei die Hagia Sophia zur Moschee erklären sollte, würde dies insbesonde­re den Nachbarn Griechenla­nd verärgern, für den der Bau nach wie vor religiöse Bedeutung hat. Das Athener Außenminis­terium kritisiert­e schon beim muslimisch­en Gebet im Mai, die Türkei verletze die Regeln der Unesco. Kritik aus dem Ausland wäre der Erdogan-Regierung wahrschein­lich sogar recht, weil sie sich als Beschützer­in der nationalen Werte der Türkei präsentier­en könnte.

Dennoch ist unsicher, ob Erdogan großen innenpolit­ischen Nutzen aus einer Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee ziehen könnte. Bei jungen Türken, die 20 Prozent der Wählerscha­ft ausmachen und die sich immer mehr von der AKP abwenden, wäre die 1500 Jahre alte Hagia Sophia wohl kaum ein Renner: Nach einer neuen Umfrage des Gezici-Instituts ist fast jeder Dritte von ihnen nicht gläubig, nur 16 Prozent sind fromme Muslime.

Nach einer anderen Befragung liegt die AKP bei knapp 31 Prozent der Stimmen und ist damit weit von ihren Glanzzeite­n entfernt, als sie auf gut 50 Prozent kam. Vor allem die schlechte Wirtschaft­slage und der Eindruck, dass Erdogan und seine Berater im Präsidente­npalast von Ankara von der Lebenswirk­lichkeit der meisten Türken weit entfernt sind, machen der Regierung zu schaffen. Am Donnerstag reagierten viele Twitter-Nutzer verärgert auf die Nachricht, dass Erdogan für ein Konzert in seinem Palast knapp vier Millionen Euro ausgegeben hat.

Die Hagia Sophia zur Moschee zu machen, könnte in dieser Lage allenfalls für ein Strohfeuer sorgen – doch ein Strohfeuer wäre nur sinnvoll, wenn bald gewählt würde und nicht erst in drei Jahren, wie es der offizielle Kalender vorsieht. Obwohl AKP und MHP dementiere­n, ist die Opposition überzeugt, dass die Regierung vorgezogen­e Wahlen plant. Der Demoskop Ibrahim Uslu, ein früherer Berater der AKP, hält eine Wahl im kommenden Jahr für möglich. In der Opposition­szeitung „Cumhuriyet“wies er darauf hin, dass AKP und MHP derzeit über Änderungen des Wahlrechts beraten: Das wäre unnötig, wenn erst 2023 gewählt werden soll.

 ?? FOTO: OZAN KOSE/AFP ?? Die Hagia Sophia war fast tausend Jahre lang die wichtigste Kirche des Christentu­ms. Seit 1935 dient sie als Museum.
FOTO: OZAN KOSE/AFP Die Hagia Sophia war fast tausend Jahre lang die wichtigste Kirche des Christentu­ms. Seit 1935 dient sie als Museum.

Newspapers in German

Newspapers from Germany