Klassenkampf in Schwaben
Die IG Metall könnte den Sigmaringer Maschinenbauer Zollern zurück in den Tarifvertrag zwingen
GRAVENSBURG/SIGMARINGEN - Als der Mittfünfziger bei Zollern anfing, hatte Helmut Kohl gerade das Kanzleramt übernommen, in Mutlangen demonstrierten Friedensaktivisten gegen die Stationierung von Atomraketen, und Karlheinz Förster führte den VfB Stuttgart zu seiner dritten deutschen Fußball-Meisterschaft. Fast vier Jahrzehnte arbeitet der Gießereimechaniker aus Sigmaringendorf bei dem schwäbischen Traditionsunternehmen, aber an einen so hart und kompromisslos geführten Streit zwischen Geschäftsführung und Arbeitnehmern des Maschinenbauers kann der Schwabe sich nicht erinnern. „Eigentlich gab es nie Probleme – bis auf die vergangenen Monate eben“, sagt er nachdenklich.
Was Mitarbeiter, Betriebsrat und auch die IG Metall so verstört, ist die Tatsache, dass der Geschäftsführer des Sigmaringer Unternehmens, Klaus Erkes, die seit Jahrzehnten gelebte Zollern-Kultur kurz vor Weihnachten brüsk aufkündigte, indem er ohne die Arbeitnehmerseite zu informieren aus dem Arbeitgeberverband austrat und damit den Flächentarifvertrag kündigte. Zwar sahen auch die Mitarbeiter und ihre Vertreter, dass das Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten steckt, aber „diesen Schlag ins Gesicht“, wie Betriebsratschef Eberhard Fischer das Vorgehen nannte, passte nicht zu einem Unternehmen, in dem Geschäftsführung und Betriebsrat jahrelang ein gutes Miteinander gepflegt hatten.
Die IG Metall antwortete mit Protestaktionen und Streikdrohungen. Mitte Februar demonstrierten mehrere Hundert Menschen, Zollern-Mitarbeiter und sich solidarisierende Beschäftigte anderer Unternehmen, auf dem Marktplatz in Sigmaringen gegen die Entscheidungen der Geschäftsführung und für die Tarifbindung von Zollern – und zwangen Klaus Erkes zurück an den Verhandlungstisch. Nach acht Gesprächsrunden gibt es nun einen „Verhandlungsstand“, wie Michael Föst, der erste Bevollmächtigte der IG Metall Albstadt, im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“erzählt. Einen „Verhandlungsstand, den wir als Tarifvertrag aufschreiben können“.
Für den schwäbischen Gewerkschafter und seine Mitstreiter im Betriebsrat von Zollern ist dieser gefundene Kompromiss schon ein großer Erfolg, und noch immer schüttelt Michael Föst den Kopf, wenn er an die Eskalation der vergangenen Monate denkt. „Ein Austritt aus dem Tarif ist kein Kavaliersdelikt“, sagt Föst. „Ein Tarifvertrag ist der Ausgleich der Schwäche des Einzelnen gegenüber den Unternehmen – und regelt für die Beschäftigten Dinge wie Lohn, Urlaub, Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen.“Was für den einen nach Klassenkampf
alter Schule klingt, ist für Föst die Grundlage für ein gedeihliches Miteinander zwischen Betrieb und Belegschaft. „Dass Zollern aus dem Tarif getreten ist, war ein Signal, ein Signal, dass man das Miteinander aufkündigt – und wir haben das Signal mit deutlichen Worten beantwortet.“
Hinter den forschen Worten, dem „Flagge zeigen“, der erhobenen roten Faust, kommt aber der eigentlich Antrieb von Michael Föst zum Vorschein. „Wir wollen, dass es Zollern gibt, wir wollen, dass es dem Unternehmen gut geht, weil es dann auch den Beschäftigten gut geht“, erklärt Föst. „Und deswegen haben wir uns mit der Zollern-Geschäftsführung auf einen Kompromiss geeinigt, um dem Unternehmen Luft zu verschaffen.“Für die Zusage, dass die ZollernStandorte in Laucherthal, Herbertingen und Aulendorf ausgebaut werden und die Geschäftsführung einer Beschäftigungssicherung zustimmt, verzichten die Mitarbeiter auf Teile ihres Urlaubs- und Weihnachtsgeldes. Das bedeutet nach Gewerkschaftsangaben für jeden Beschäftigten ein Minus von rund sechs Prozent. „Wir wollen, dass alles, auf das wir verzichten, im Unternehmen bleibt“, erläutert Föst. „Das Unternehmen hat versprochen, 68 Millionen Euro zu investieren, ein Teil des Betrags ist unser Lohnverzicht, der bis 2024 läuft.“Die Mindestbeschäftigtenzahl, auf die sich Gewerkschaft und Unternehmen geeinigt haben, beträgt 1400. „Eine Bedingung des ganzen Verzichts ist aber, dass Zollern wieder Mitglied im Arbeitgeberverband
wird und damit alle Tarifverträge einschließlich der zukünftigen wieder gelten“, erläutert Föst. „Auf diese Formel haben wir uns eingelassen.“Um das festzuschreiben, strebt die IG Metall einen Haustarifvertrag an, der die Abweichungen vom Flächentarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie bis 2024 festschreibt. Für diese Lösungen werben die Gewerkschafter und Betriebsräte im Moment bei der Zollern-Belegschaft. Auf Flugblättern und Briefen, die der „Schwäbischen Zeitung“vorliegen, sind die Details der Einigung aufgeführt.
Klaus Erkes blickt ganz anders auf die vergangenen Monate und auf seine Entscheidung, mit Zollern aus dem Arbeitgeberverband auszutreten. „Die Tarifpolitik der IG Metall hat in den vergangenen Jahren zu einer deutlichen finanziellen Überforderung zahlreicher aber insbesondere auch unseres Unternehmen geführt“, sagt Erkes im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Vor allem das tarifliche Zusatzgeld in Verbindung mit der vorherigen Tariferhöhung nennt Erkes „nicht mehr hinnehmbar“. „Zahlreiche Produkte haben Weltmarktpreise, die mit den gültigen Metall-Tariflöhnen in Deutschland in Konsequenz nicht mehr herstellbar sind“, erklärt Erkes weiter. „Dies hat Zollern bewogen, im vergangenen Jahr aus dem Arbeitgeberverband auszutreten.“
Da die IG Metall nicht „auf breiter Front“Unternehmen gegenüber stehen wolle, die nicht verbandsgebunden sind, sei sie bereit gewesen „eine Personalkosteneinsparung in signifikanter Höhe anzubieten“, glaubt Erkes. Als Gegenleistung habe Zollern die Beschäftigungssicherungsvereinbarung und den Wiedereintritt in den Arbeitgeberverband angeboten. Klar ist, dass das Unternehmen Zollern, dessen Anteile je zur Hälfte von der Unternehmensgruppe Fürst von Hohenzollern und der Unternehmensgruppe Merckle gehalten werden, wie viele andere Maschinenbauer auch seit einiger Zeit mit massiven Einbrüchen und Umsatzverlusten zu kämpfen hat – eine Entwicklung, die sich nun mit der Corona-Pandemie weiter verstärkt. Erst im vergangenen Jahr beantragte Zollern-Chef Erkes eine Sondererlaubnis bei Bundeswirtschaftminister Peter Altmaier (CDU) für ein Joint Venture mit dem österreichischen Wettbewerber Miba, um das Gleitlagergeschäft des schwäbischen Traditionsunternehmens wettbewerbsfähig zu halten. Neben Gleitlagern produziert Zollern Schmiedeund Antriebstechnik, Stahlprofile und Maschinenteile vor allem für den Fahrzeug- und Maschinenbau. Im Januar 2019 zu Ende gegangenen Geschäftsjahr 2018/19 rutschte Zollern bei einem Umsatz von 488 Millionen Euro (Vorjahr 512 Millionen Euro) mit einem Minus von 2,2 Millionen Euro operativ leicht in die Verlustzone, nachdem Zollern im Jahr 2017/18 noch einen Gewinn von 19,2 Millionen Euro erwirtschaftet hatte.
Der Wettbewerb bei auf dem Weltmarkt erhältlichen Produkten wird in der Beobachtung von Klaus Erkes jedes Jahr härter, und am Produktionsstandort Deutschland seien die Löhne ein hoher Bestandteil der Produktkosten. „Dies ist auch der IG Metall bewusst, wie das Verhandlungsergebnis zeigt. Wir als Unternehmen müssen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Produkte nachhaltig sicherstellen – dies kann nicht durch Druck der Belegschaft oder der Gewerkschaft erzielt werden, sondern nur durch sachgerechte Entscheidungen“, sagt Erkes. „Der Verhandlungsstand ist ein Beleg dafür, das dies erst einmal gelungen ist.“
Bevor dieser Verhandlungsstand allerdings in einen Haustarifvertrag überführt werden kann, ist noch eine Abstimmung der IG-Metall-Mitglieder bei Zollern über die Ergebnisse notwendig. Dafür sucht Gewerkschaftsfunktionär Föst gerade einen Versammlungsort, was in Zeiten einer Corona-Pandemie nicht einfach ist. Aber die IG Metall ist guter Hoffnung, dass die Abstimmung innerhalb der nächsten zehn Tage stattfinden kann.
Auch der Gießereimechaniker aus Sigmaringendorf setzt auf eine Einigung. „Natürlich ist die wirtschaftliche Lage nicht gut, und alle Arbeitnehmer werden Einbußen hinnehmen müssen, aber ich finde es gut, dass Zollern dem Arbeitgeberverband wieder beitreten will“, sagt der Zollern-Mitarbeiter. Ein Schritt, der das lang gelebte gute Miteinander von Belegschaft und Geschäftsführung wieder möglich machen könnte.