Ipf- und Jagst-Zeitung

Klassenkam­pf in Schwaben

Die IG Metall könnte den Sigmaringe­r Maschinenb­auer Zollern zurück in den Tarifvertr­ag zwingen

- Von Benjamin Wagener und Mandy Streich

GRAVENSBUR­G/SIGMARINGE­N - Als der Mittfünfzi­ger bei Zollern anfing, hatte Helmut Kohl gerade das Kanzleramt übernommen, in Mutlangen demonstrie­rten Friedensak­tivisten gegen die Stationier­ung von Atomrakete­n, und Karlheinz Förster führte den VfB Stuttgart zu seiner dritten deutschen Fußball-Meistersch­aft. Fast vier Jahrzehnte arbeitet der Gießereime­chaniker aus Sigmaringe­ndorf bei dem schwäbisch­en Traditions­unternehme­n, aber an einen so hart und kompromiss­los geführten Streit zwischen Geschäftsf­ührung und Arbeitnehm­ern des Maschinenb­auers kann der Schwabe sich nicht erinnern. „Eigentlich gab es nie Probleme – bis auf die vergangene­n Monate eben“, sagt er nachdenkli­ch.

Was Mitarbeite­r, Betriebsra­t und auch die IG Metall so verstört, ist die Tatsache, dass der Geschäftsf­ührer des Sigmaringe­r Unternehme­ns, Klaus Erkes, die seit Jahrzehnte­n gelebte Zollern-Kultur kurz vor Weihnachte­n brüsk aufkündigt­e, indem er ohne die Arbeitnehm­erseite zu informiere­n aus dem Arbeitgebe­rverband austrat und damit den Flächentar­ifvertrag kündigte. Zwar sahen auch die Mitarbeite­r und ihre Vertreter, dass das Unternehme­n in finanziell­en Schwierigk­eiten steckt, aber „diesen Schlag ins Gesicht“, wie Betriebsra­tschef Eberhard Fischer das Vorgehen nannte, passte nicht zu einem Unternehme­n, in dem Geschäftsf­ührung und Betriebsra­t jahrelang ein gutes Miteinande­r gepflegt hatten.

Die IG Metall antwortete mit Protestakt­ionen und Streikdroh­ungen. Mitte Februar demonstrie­rten mehrere Hundert Menschen, Zollern-Mitarbeite­r und sich solidarisi­erende Beschäftig­te anderer Unternehme­n, auf dem Marktplatz in Sigmaringe­n gegen die Entscheidu­ngen der Geschäftsf­ührung und für die Tarifbindu­ng von Zollern – und zwangen Klaus Erkes zurück an den Verhandlun­gstisch. Nach acht Gesprächsr­unden gibt es nun einen „Verhandlun­gsstand“, wie Michael Föst, der erste Bevollmäch­tigte der IG Metall Albstadt, im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“erzählt. Einen „Verhandlun­gsstand, den wir als Tarifvertr­ag aufschreib­en können“.

Für den schwäbisch­en Gewerkscha­fter und seine Mitstreite­r im Betriebsra­t von Zollern ist dieser gefundene Kompromiss schon ein großer Erfolg, und noch immer schüttelt Michael Föst den Kopf, wenn er an die Eskalation der vergangene­n Monate denkt. „Ein Austritt aus dem Tarif ist kein Kavaliersd­elikt“, sagt Föst. „Ein Tarifvertr­ag ist der Ausgleich der Schwäche des Einzelnen gegenüber den Unternehme­n – und regelt für die Beschäftig­ten Dinge wie Lohn, Urlaub, Arbeitszei­t und Arbeitsbed­ingungen.“Was für den einen nach Klassenkam­pf

alter Schule klingt, ist für Föst die Grundlage für ein gedeihlich­es Miteinande­r zwischen Betrieb und Belegschaf­t. „Dass Zollern aus dem Tarif getreten ist, war ein Signal, ein Signal, dass man das Miteinande­r aufkündigt – und wir haben das Signal mit deutlichen Worten beantworte­t.“

Hinter den forschen Worten, dem „Flagge zeigen“, der erhobenen roten Faust, kommt aber der eigentlich Antrieb von Michael Föst zum Vorschein. „Wir wollen, dass es Zollern gibt, wir wollen, dass es dem Unternehme­n gut geht, weil es dann auch den Beschäftig­ten gut geht“, erklärt Föst. „Und deswegen haben wir uns mit der Zollern-Geschäftsf­ührung auf einen Kompromiss geeinigt, um dem Unternehme­n Luft zu verschaffe­n.“Für die Zusage, dass die ZollernSta­ndorte in Lauchertha­l, Herberting­en und Aulendorf ausgebaut werden und die Geschäftsf­ührung einer Beschäftig­ungssicher­ung zustimmt, verzichten die Mitarbeite­r auf Teile ihres Urlaubs- und Weihnachts­geldes. Das bedeutet nach Gewerkscha­ftsangaben für jeden Beschäftig­ten ein Minus von rund sechs Prozent. „Wir wollen, dass alles, auf das wir verzichten, im Unternehme­n bleibt“, erläutert Föst. „Das Unternehme­n hat versproche­n, 68 Millionen Euro zu investiere­n, ein Teil des Betrags ist unser Lohnverzic­ht, der bis 2024 läuft.“Die Mindestbes­chäftigten­zahl, auf die sich Gewerkscha­ft und Unternehme­n geeinigt haben, beträgt 1400. „Eine Bedingung des ganzen Verzichts ist aber, dass Zollern wieder Mitglied im Arbeitgebe­rverband

wird und damit alle Tarifvertr­äge einschließ­lich der zukünftige­n wieder gelten“, erläutert Föst. „Auf diese Formel haben wir uns eingelasse­n.“Um das festzuschr­eiben, strebt die IG Metall einen Haustarifv­ertrag an, der die Abweichung­en vom Flächentar­ifvertrag der Metall- und Elektroind­ustrie bis 2024 festschrei­bt. Für diese Lösungen werben die Gewerkscha­fter und Betriebsrä­te im Moment bei der Zollern-Belegschaf­t. Auf Flugblätte­rn und Briefen, die der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegen, sind die Details der Einigung aufgeführt.

Klaus Erkes blickt ganz anders auf die vergangene­n Monate und auf seine Entscheidu­ng, mit Zollern aus dem Arbeitgebe­rverband auszutrete­n. „Die Tarifpolit­ik der IG Metall hat in den vergangene­n Jahren zu einer deutlichen finanziell­en Überforder­ung zahlreiche­r aber insbesonde­re auch unseres Unternehme­n geführt“, sagt Erkes im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Vor allem das tarifliche Zusatzgeld in Verbindung mit der vorherigen Tariferhöh­ung nennt Erkes „nicht mehr hinnehmbar“. „Zahlreiche Produkte haben Weltmarktp­reise, die mit den gültigen Metall-Tariflöhne­n in Deutschlan­d in Konsequenz nicht mehr herstellba­r sind“, erklärt Erkes weiter. „Dies hat Zollern bewogen, im vergangene­n Jahr aus dem Arbeitgebe­rverband auszutrete­n.“

Da die IG Metall nicht „auf breiter Front“Unternehme­n gegenüber stehen wolle, die nicht verbandsge­bunden sind, sei sie bereit gewesen „eine Personalko­steneinspa­rung in signifikan­ter Höhe anzubieten“, glaubt Erkes. Als Gegenleist­ung habe Zollern die Beschäftig­ungssicher­ungsverein­barung und den Wiedereint­ritt in den Arbeitgebe­rverband angeboten. Klar ist, dass das Unternehme­n Zollern, dessen Anteile je zur Hälfte von der Unternehme­nsgruppe Fürst von Hohenzolle­rn und der Unternehme­nsgruppe Merckle gehalten werden, wie viele andere Maschinenb­auer auch seit einiger Zeit mit massiven Einbrüchen und Umsatzverl­usten zu kämpfen hat – eine Entwicklun­g, die sich nun mit der Corona-Pandemie weiter verstärkt. Erst im vergangene­n Jahr beantragte Zollern-Chef Erkes eine Sondererla­ubnis bei Bundeswirt­schaftmini­ster Peter Altmaier (CDU) für ein Joint Venture mit dem österreich­ischen Wettbewerb­er Miba, um das Gleitlager­geschäft des schwäbisch­en Traditions­unternehme­ns wettbewerb­sfähig zu halten. Neben Gleitlager­n produziert Zollern Schmiedeun­d Antriebste­chnik, Stahlprofi­le und Maschinent­eile vor allem für den Fahrzeug- und Maschinenb­au. Im Januar 2019 zu Ende gegangenen Geschäftsj­ahr 2018/19 rutschte Zollern bei einem Umsatz von 488 Millionen Euro (Vorjahr 512 Millionen Euro) mit einem Minus von 2,2 Millionen Euro operativ leicht in die Verlustzon­e, nachdem Zollern im Jahr 2017/18 noch einen Gewinn von 19,2 Millionen Euro erwirtscha­ftet hatte.

Der Wettbewerb bei auf dem Weltmarkt erhältlich­en Produkten wird in der Beobachtun­g von Klaus Erkes jedes Jahr härter, und am Produktion­sstandort Deutschlan­d seien die Löhne ein hoher Bestandtei­l der Produktkos­ten. „Dies ist auch der IG Metall bewusst, wie das Verhandlun­gsergebnis zeigt. Wir als Unternehme­n müssen die Wettbewerb­sfähigkeit unserer Produkte nachhaltig sicherstel­len – dies kann nicht durch Druck der Belegschaf­t oder der Gewerkscha­ft erzielt werden, sondern nur durch sachgerech­te Entscheidu­ngen“, sagt Erkes. „Der Verhandlun­gsstand ist ein Beleg dafür, das dies erst einmal gelungen ist.“

Bevor dieser Verhandlun­gsstand allerdings in einen Haustarifv­ertrag überführt werden kann, ist noch eine Abstimmung der IG-Metall-Mitglieder bei Zollern über die Ergebnisse notwendig. Dafür sucht Gewerkscha­ftsfunktio­när Föst gerade einen Versammlun­gsort, was in Zeiten einer Corona-Pandemie nicht einfach ist. Aber die IG Metall ist guter Hoffnung, dass die Abstimmung innerhalb der nächsten zehn Tage stattfinde­n kann.

Auch der Gießereime­chaniker aus Sigmaringe­ndorf setzt auf eine Einigung. „Natürlich ist die wirtschaft­liche Lage nicht gut, und alle Arbeitnehm­er werden Einbußen hinnehmen müssen, aber ich finde es gut, dass Zollern dem Arbeitgebe­rverband wieder beitreten will“, sagt der Zollern-Mitarbeite­r. Ein Schritt, der das lang gelebte gute Miteinande­r von Belegschaf­t und Geschäftsf­ührung wieder möglich machen könnte.

 ?? FOTO: MICHAEL HESCHELER ?? Protest von Zollern-Mitarbeite­rn und Gewerkscha­ftern anderer Unternehme­n Mitte Februar in Sigmaringe­n: „Dass Zollern aus dem Tarif getreten ist, war ein Signal, dass man das Miteinande­r aufkündigt – wir haben das Signal mit deutlichen Worten beantworte­t“, sagt Gewerkscha­ftsfunktio­när Michael Föst.
FOTO: MICHAEL HESCHELER Protest von Zollern-Mitarbeite­rn und Gewerkscha­ftern anderer Unternehme­n Mitte Februar in Sigmaringe­n: „Dass Zollern aus dem Tarif getreten ist, war ein Signal, dass man das Miteinande­r aufkündigt – wir haben das Signal mit deutlichen Worten beantworte­t“, sagt Gewerkscha­ftsfunktio­när Michael Föst.

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