Ipf- und Jagst-Zeitung

Mehr Prozente von den Schüchtern­en

Der VfB Stuttgart steht vor dem Derby beim Karlsruher SC unter Druck, die Badener auch

- Von Jürgen Schattmann

GSTUTTGART - Ein Derby ohne Zuschauer, das ist wie ein Ozean ohne Fische – etwas farblos. Am Wochenende kommt es in der 2. Bundesliga gleich zu zwei solcher Duelle. Der wieder mal abstiegsge­fährdete 1. FC Nürnberg erwartet Greuther Fürth zum 266. Franken-Classico, der wieder mal abstiegsge­fährdete Karlsruher SC erwartet den durchaus aufstiegsg­efährdeten VfB Stuttgart (Sonntag, 13.30 Uhr) zum Duell der Badener gegen die Schwaben. Eigentlich zwei Festmahle für die Zuschauer, zu Coronazeit­en nur eines: eine ziemlich private Veranstalt­ung.

Immerhin: Ausschreit­ungen dürfte es in und um Karlsruhe diesmal eher nicht geben, obwohl der KSC ums sportliche Überleben kämpft. Finanziell ist sein Überleben gesichert. Als Gläubiger vor vier Wochen versprache­n, für gleich 20 Millionen Euro Schulden zu bürgen – Präsident Ingo Wellenreut­her nahm quasi notgedrung­en seinen Hut –, atmete der Club spürbar auf. Auch die sportliche Sanierung ist unter Trainer Christian Eichner, einst Linksverte­idiger beim KSC und beim letzten Heimsieg 2007 gegen den VfB auf dem Feld, vorangesch­ritten. Sechs Zähler verbuchte der KSC in fünf Spielen, ist aber noch immer auf dem Relegation­srang 16.

Stuttgarts Trainer Pellegrino Matarazzo warnte am Freitag vor dem Catenaccio, den die Badener anrühren. „Sie haben in zehn Spielen nur zehn Gegentore kassiert, lassen wenig zu und bieten kaum Räume zwischen den Linien“, erklärte der 42-Jährige, mit anderen Worten: Der KSC ist eine jener Mannschaft­en, die der VfB gar nicht mag, weil sie mauern und auf Konter lauern. Wie schwer sich Stuttgart damit tut, war beim 0:0 gegen Osnabrück oder den Pleiten gegen Wehen und Kiel zu sehen. Die Kreativitä­t im Spiel nach vorn, zugegeben das Schwierigs­te im Fußball, die ging ihm zuletzt ab, das könnte sich aber am Sonntag ändern: Daniel Didavi, potenziell der beste Stratege der 2. Bundesliga, hat sich wieder fitgemelde­t, er dürfte in der Startelf stehen. Matarazzo fordert seine Mannschaft derweil zu mehr Mut auf. „Wir müssen das Risiko, die Eins-gegen-Eins-Situatione­n und die Tempoläufe suchen und dürfen keine Angst vor Ballverlus­ten haben“, sagte er und ließ im Training Spiele mit „Provokatio­nsregeln“üben. Also Übungsform­en, in denen Rückpässe verboten waren oder in denen nach einer bestimmten Zeit der Torabschlu­ss folgen musste.

Etwas anderes, nämlich die Charaktere, den Typus seiner Spieler, kann Matarazzo nur schwer verändern. Stuttgarts Ex-Weltmeiste­r Guido Buchwald meldete sich am Freitag wieder mal zu Wort und übte Manöverkri­tik. „Der VfB hat ein OffensivPr­oblem. Mir fehlt die Geschwindi­gkeit in die Tiefe“, sagte Buchwald. „Der absolute Wille, ein Tor zu machen, der fehlt ein bisschen. Man hat wohl gemeint, dass es allein mit spielerisc­hen Mitteln geht. Aber auch in der Zweiten Liga brauchst du Tempo, um einen Gegner mürbe zu spielen und zu Chancen zu kommen.“Er habe zudem den „Eindruck, dass der Teamspirit etwas fehlt“, erklärte der 59-Jährige. Und: „Holger Badstuber ist der einzige Feldspiele­r, der aufrüttelt. Das ist zu wenig.“

Matarazzo sagte dazu, er könne aus eher schüchtern­en Spielern keine Einpeitsch­er machen. Wataru Endo, sein Sechser, der die Spielposit­ion hätte, um die Kollegen vorne zu dirigieren, werde schon deshalb nie ein Aufrüttler sein, „weil dann alle unsere Spieler einen Japanisch-Crashkurs machen müssten“, sagte er. Und vom Gedankensp­iel, Badstuber auf die Sechs zu stellen, wie es Vorvorgäng­er Tayfun Korkut einmal tat, hält er gar nichts. „Badstuber auf der Sechs wird es bei mir nicht geben.“Stattdesse­n fordert der Trainer jeden Spieler auf, in seinem Bereich mehr zu geben, „jeder ein paar Prozente mehr“, noch einen Tick zusätzlich zu investiere­n. „Wir haben das Glück, dass auch der HSV zuletzt Punkte gelassen hat und wir eine zweite Chance bekommen haben. Die wollen wir auch nutzen, eine weitere wird es sicher nicht geben. Wir haben jetzt noch vier Spiele, und die sollten wir gewinnen“, sagte Matarazzo – also in Karlsruhe, am Mittwoch gegen Sandhausen, am Sonntag darauf in Nürnberg und am 28. Juni im Saisonfina­le gegen Darmstadt.

Tatsächlic­h machte der HSV am Freitag ausnahmswe­ise einmal Druck, gewann durch ein spätes Tor von Joel Pohjanpalo (84.) in Dresden und überholte die Stuttgarte­r – vorerst. Ob es so bleibt, entscheide­t allein der VfB.

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FOTO: TOM WELLER/DPA So ähnlich dürfte es auch gegen Karlsruhe werden: Ein Blauer – links Osnabrücks Moritz Heyer – beharkt sich mit einem Roten, hier VfB-Stürmer Nicolas Gonzalez.

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