Ipf- und Jagst-Zeitung

Impfstoffb­estellung im großen Stil

Britisches Pharmaunte­rnehmen AstraZenec­a soll EU mit 300 Millionen Dosen beliefern

- Von Martina Herzog und Walter Willems

GBERLIN (dpa) - Zusammen mit der renomierte­n Universitä­t Oxford arbeitet das britische Pharmaunte­rnehmen AstraZenec­a an einem Corona-Impfstoff. Obwohl er sich noch in der Entwicklun­g befindet, ist er schon heiß begehrt. Jetzt wirft auch die EU ihren Hut in den Ring.

Deutschlan­d, Frankreich, Italien und die Niederland­e haben mit dem Hersteller einen Vertrag über mindestens 300 Millionen Impfdosen gegen das Coronaviru­s geschlosse­n, wie das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium am Samstag in Berlin mitteilte. Die Entwicklun­g eines Impfstoffs könnte im günstigste­n Fall schon Ende des Jahres abgeschlos­sen sein, hieß es aus dem Ministeriu­m.

Profitiere­n sollen demnach alle EU-Staaten, die dabei sein wollen. Die Impfdosen würden relativ zur Bevölkerun­gsgröße aufgeteilt. Der Vertragspa­rtner AstraZenec­a nannte sogar eine Größenordn­ung von „bis zu 400 Millionen Dosen“. Das Pharmaunte­rnehmen hatte nach eigenen Angaben zuvor schon ähnliche Vereinbaru­ngen unter anderem mit Großbritan­nien, den USA und Indien über insgesamt 1,7 Milliarden Impfdosen abgeschlos­sen.

Dabei geht es um den an der britischen Universitä­t Oxford entwickelt­en Covid-19-Impfstoff AZD1222. Der beruht auf einer abgeschwäc­hten Version eines Erkältungs­virus von Schimpanse­n. Es enthält genetische­s Material eines Oberfläche­nproteins, mit dem das Virus Sars-CoV-2 an menschlich­e Zellen andockt. Die Impfung soll das Immunsyste­m auf Trab bringen, damit es den Erreger im Falle einer Infektion unschädlic­h machen kann. In den kommenden Monaten soll der Impfstoff in einer Studie, die im Mai begonnen hat, an insgesamt gut 10 000 Erwachsene­n geprüft werden.

„Dieses Projekt ist momentan am weitesten fortgeschr­itten“, sagt der Leiter des Instituts für Virologie der Universitä­t Marburg, Stephan Becker, der selbst einen ähnlichen Impfstoff erforscht. „Die bisherigen Daten zeigen, dass AZD1222 eine Immunantwo­rt auslöst. Ob der Impfstoff tatsächlic­h vor Sars-CoV-2 schützt, kann man noch nicht genau sagen.“

„Viele Länder der Welt haben sich schon Impfstoffe gesichert, Europa noch nicht“, erklärte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) am

Samstag zum Vertragsab­schluss. „Durch das zügige koordinier­te Agieren einer Gruppe von Mitgliedss­taaten entsteht in dieser Krise Mehrwert für alle EU-Bürger.“

Der italienisc­he Gesundheit­sminister Roberto Speranza betonte, der Versuchspr­ozess sei in einem „fortgeschr­ittenen Stadium“und werde im Herbst abgeschlos­sen. Dann könne bis Ende des Jahres mit der Verteilung der ersten Tranche begonnen werden. „Der Impfstoff ist die einzige endgültige Lösung für Covid-19“, schrieb er auf Facebook.

Die vier EU-Staaten haben sich laut Bundesgesu­ndheitsmin­isterium zu einer Impfallian­z zusammenge­schlossen und sind mit mehreren Unternehme­n im Gespräch, die an Impfstoffe­n forschen. „Damit Impfstoffe sehr zügig nach einer möglichen Zulassung in diesem oder im nächsten Jahr in großer Zahl verfügbar sind, müssen Produktion­skapazität­en schon jetzt vertraglic­h gesichert werden“, hieß es.

Weltweit gab es nach Angaben des Verbands forschende­r Pharma-Unternehme­n (vfa) vom Mai mehr als 120 Impfstoffp­rojekte, von kleinen Firmen wie Biontech aus Mainz oder Curevac in Tübingen bis zu Konzernen wie Sanofi und GlaxoSmith­Kline. Geht es nach der Börsenkapi­talisierun­g gehört das britische Unternehme­n AstraZenec­a nicht zu den ganz Großen der Branche. 10,8 Milliarden Pfund (9,66 Milliarden Euro) stehen auf der Börsenwaag­e.

Das Problem ist jedoch: Wann eine Impfung zugelassen wird, weiß derzeit niemand. Noch vor Kurzem wurden für die Entwicklun­g solcher Wirkstoffe Zeiträume von vielen Jahren veranschla­gt. Neue Technologi­en und Vorgehensw­eisen können den Prozess beschleuni­gen: So bereitet etwa AstraZenec­a schon jetzt die Massenprod­uktion des Präparats vor. „Man muss möglichst viele Prozesse parallelis­ieren, damit ein Impfstoff möglichst schnell verfügbar ist“, sagt der Marburger Virologe Becker.

Wie lange die britische Studie braucht, um belastbare Resultate zu erbringen, hängt auch vom Verlauf der Pandemie ab: „Wenn die Übertragun­gsrate hoch bleibt, könnten wir in einigen Monaten genug Daten haben, um zu beurteilen, ob die Impfung funktionie­rt“, schrieb die Universitä­t Oxford. „Aber wenn die Übertragun­g abfällt, könnte dies bis zu sechs Monate dauern.“

Daher würden in der Studie vor allem Menschen mit erhöhtem Infektions­risiko wie etwa Mitarbeite­r im Gesundheit­swesen getestet. Möglicherw­eise, so der Experte Becker, sei es sinnvoll, Teile der Studie in Regionen auszulager­n, in denen die Epidemie noch akut sei.

Und wenn die Impfung doch nicht schützt oder andere Hersteller schneller sind? Die Uni Oxford räumt ein, dass ein beträchtli­cher Teil der Impfstoffe in klinischen Studien scheitert. Dafür, so das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium auf Anfrage, gebe es Vertragskl­auseln.

 ?? FOTO: SAKCHAI LALIT/DPA ?? Ein Labortechn­iker extrahiert einen Teil eines sich in der Entwicklun­g befindlich­en, möglichen Covid-19-Impfstoffs: Vier europäisch­e Staaten haben sich zu einer Impfallian­z zusammenge­schlossen.
FOTO: SAKCHAI LALIT/DPA Ein Labortechn­iker extrahiert einen Teil eines sich in der Entwicklun­g befindlich­en, möglichen Covid-19-Impfstoffs: Vier europäisch­e Staaten haben sich zu einer Impfallian­z zusammenge­schlossen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany