Größte Gefahr droht von rechts
Jahresbilanz des Verfassungsschutzes – Mehr Islamisten und linksextremistische Straftaten
GSTUTTGART - Die gefährlichsten Extremisten in Baden-Württemberg kommen aus dem politisch rechten Lager. Dieses Fazit zieht Innenminister Thomas Strobl (CDU) aus dem Jahresbericht des Landesamtes für Verfassungsschutz. Dieses hat Gruppen im Blick, die Demokratie und Freiheit gefährden. Die Verfassungsschützer beschaffen sich zum einen öffentlich zugängliche Informationen aus Medien und bei Veranstaltungen. Zum anderen dürfen sie etwa Telefonate mithören oder Menschen beschatten. Das ist aber nur bei besonders gefährlichen Gruppierungen erlaubt, sie werden als „Beobachtungsfälle“bezeichnet. Die wichtigsten Erkenntnisse des Jahresberichts 2019 im Überblick.
Rechtsextremismus
Die Verfassungsschützer zählten knapp 1550 rechtsextreme Straftaten, ein deutlicher Anstieg von über 170 Fällen. Dagegen sank die Zahl der Gewalttaten von 48 auf 39, darunter ein Tötungsdelikt und 28 Körperverletzungen. Dem Lager zugerechnet werden rund 1900 Menschen im Land, 200 mehr als noch 2018. Der Anstieg hat mit der AfD zu tun. Erstmals wurden Mitglieder der Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“(JA) sowie des „Flügels“mitgezählt. Die Gruppe ist ein loser Zusammenschluss innerhalb der AfD. Sie wird bundesweit als verfassungsfeindlich eingestuft. Die AfD-Landtagsabgeordnete Christina Baum taucht namentlich im Bericht auf. Sie bezeichnet sich selbst als „Flügel“Vertreterin. Dagegen sieht das zuständige Amt im Südwesten keine Anhaltspunkte dafür, den gesamten AfD-Landesverband zu beobachten. Der „Flügel“spiele mit einer Anhängerschaft im mittleren zweistelligen Bereich hierzulande eine geringere Rolle als etwa in Brandenburg oder Thüringen. Die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten schätzt das Amt auf 790, ein Plus von 20 Personen im Vergleich zu 2018. Sorgen bereitet Strobl, wie aktiv die Extremisten das Internet für sich nutzen. Auch deshalb kommt er zu dem Schluss: „Die Anschlussfähigkeit rechtsextremer Inhalte an die bürgerliche Mitte war sicher nie so groß wie in den Jahren seit 2015.“
GLinksextremismus Linksextremisten verübten 2019 knapp 490 Straftaten, 112 davon waren Gewalttaten. Die Polizei zählte 31 Körperverletzungen sowie 65 Fälle von Widerstand gegen Beamte. Das waren jeweils deutlich mehr Fälle als im Jahr davor, als die Polizei 334 Delikte, davon 60 Gewalttaten, verzeichnete. Gesunken ist dagegen die Zahl der Linksextremisten, und zwar von 2950 auf 2750. Als gewaltbereit gelten 850 davon. Die Entwicklung
Gim ersten Halbjahr 2020 bezeichnete Strobl als besorgniserregend. Zunehmend komme es zu Zusammenstößen zwischen Rechten und Linken. Mitte Mai wurde ein Mitglied der rechten Gewerkschaft „Zentrum Automobil“verprügelt und erlitt lebensgefährliche Verletzungen. Die Ermittler gehen von einer Attacke Linksextremer aus. „Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung geht gar nicht“, betonte Strobl. Linksextreme attackierten zunehmend Eigentum von AfD-Politikern, es gebe auch Gewalttaten gegen diese. Bundesweit beobachten Verfassungsschützer Teile der Partei „Die Linke“. Im Südwesten stehen hier die Nachwuchsorganisation „Linksjugend“und die Studentenvereinigung „SDS“im Fokus.
Islamistischer Extremismus
Die Gefahr für einen Terroranschlag durch Islamisten schätzt Strobl weiter als hoch ein. Das könne durchaus auch Gemeinden abseits der großen Städte treffen, erklärte der Minister. Seine Beamten zählten 2019 mehr als 4100 islamistische Extremisten, ein
GPlus von rund 250 Personen im Vergleich zu 2018. Der sogenannte „Islamische Staat“(IS) herrsche seit 2019 nicht mehr über große zusammenhängende Gebiete im Nahen Osten. Doch die Propagandastrukturen existierten weiter, vor allem über das Netz würden weiter Menschen radikalisiert. Psychisch labile Menschen versprächen sich oft mediale Aufmerksamkeit, indem sie sich als ISAnhänger bezeichneten und in dessen Namen Attentate begingen.
Cyberspionage
Dieses Feld bereite den Verfassungsschützern zunehmend Arbeit. Baden-Württemberg bietet mit seinen Unternehmen und Hochschulen viel Know-How, das andere Staaten interessiert. Außerdem werden Firmen immer häufiger Opfer von CyberAttacken. Ziel sind nach Einschätzung der Verfassungsschützer besonders kleine und mittlere Unternehmen. Anders als bei großen Konzernen fehle dort oft Personal und Geld, um sich ausreichend zu schützen. Professionelle Cyberspione versuchten im Auftrag anderer Staaten
GKnow-How abzuziehen oder den Betrieb zu stören. Einige wollen über Zulieferer oder Kunden Zugriff auf die IT der großen Konzerne erlangen. Laut einer Studie war bereits jedes sechste Unternehmen im Land Opfer einer Attacke, die nennenswerten Schaden hinterließ.
Kritik der Opposition
Der FDP-Politiker Nico Weinmann kritisierte die Umstrukturierung des Verfassungsschutzes. Bislang kümmert sich eine Abteilung sowohl um Links-, als auch um Rechtsextremisten. Für Letztere soll es nun einen eigenen Arbeitsbereich geben, der zuletzt mit 25 zusätzlichen Stellen gestärkt wurde. Der Linksextremismus wandert in eine Abteilung mit dem Ausländerextremismus. Ob das sinnvoll ist, bezweifelt der Liberale Weinmann: „Schließlich macht die steigende Zahl von Salafisten im Land deutlich, wie unverändert groß die Gefahr islamistisch motivierter Gewalt ist. Die SPD fordert weiter Anstrengungen gegen Rechtsextremisten, die mittlerweile sogar im Landtag säßen.
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