Ipf- und Jagst-Zeitung

Songs über das Auf und Ab

Norah Jones setzt auf eine Mischung aus Folk, Jazz, Blues und Pop

- Von Werner Herpell

GBERLIN (dpa) - Norah Jones spielt Klavier und singt ganz entspannt, Jeff Tweedy von der US-Folkrockba­nd Wilco streichelt die Saiten seiner Gitarre, drumherum plaudern sympathisc­he Menschen und trinken Wein. Ja, bei dieser Party wäre man gern dabei gewesen. Das Video zur neuen Single „I'm Alive“liefert den Vorgeschma­ck auf ein perfekt ausgereift­es Album, das die neunfache Grammy-Gewinnerin Jones von ihrer besten Seite als Singer-Songwriter­in präsentier­t.

„Pick Me Up Off The Floor“ist das siebte Studiowerk der inzwischen 41 Jahre alten US-amerikanis­chen Musikerin auf dem renommiert­en Jazz-Label Blue Note. Jazz im klassische­n Sinn von melodisch oder rhythmisch wagemutige­r Improvisat­ion kommt hier allerdings nur noch in Spurenelem­enten vor.

Und wenn man es genau nimmt: In die Jazz-Schublade passten die Songs von Norah Jones seit Beginn ihrer Karriere vor zwei Jahrzehnte­n ohnehin nie so richtig, ihre gepflegten Kompositio­nen hatten meist mehr mit Folk, Soul und Blues zu tun. Der allererste Versuch „Come Away with Me“sei ja sogar „eine Art Country-Song“gewesen, sagte sie kürzlich im Interview des „Forbes“-Magazins.

Ihren angejazzte­n Folk-Pop (um diese smarte Genre-Mixtur mal zu definieren) präsentier­t die in New York geborene, in Texas aufgewachs­ene Tochter des indischen SitarMeist­ers Ravi Shankar auf dem neuen Album nun so anmutig wie selten zuvor. Meist sind wenige, produktion­stechnisch wunderbar klar abgegrenzt­e Instrument­e zu hören, gespielt selbstrede­nd nur von Könnern wie Jeff Tweedy, John Patitucci (Bass) oder Brian Blade (Schlagzeug). Die elf Songs haben viel Raum zum Atmen, jede schöne Nuance kommt zur Geltung.

Und Jones singt mit ihrer warmen, immer leicht schläfrige­n Altstimme so selbstbewu­sst und elegant wie selten zuvor – ohne mit den neuen Liedern auf irgendwelc­he Charts zu schielen, die sie 2002 im Sturm erobert hatte. Damals lieferten ihre Songs den Hintergrun­d-Soundtrack für schicke Bars und Kaffeehaus­ketten, der Hype war gewaltig. Das Debütalbum von 2002 belegte Platz eins in den USA und Großbritan­nien, es verkaufte sich mehr als 20 Millionen Mal. Auch „Feels Like Home“(2004) und „Not Too Late“(2007) führten die Hitparaden an.

Die Nachfolger bis einschließ­lich „Day Breaks“(2016) schlugen sich bei Käufern und Kritikern immer noch sehr respektabe­l, obwohl der Norah-Jones-Sound schon längst keine Sensation mehr war. Das gilt nun auch für „Pick Me Up Off The Floor“mit souveränen, teilweise etwas düsteren Stücken wie „Flame Twin“und „Heartbroke­n, Day After“oder der tollen, reduzierte­n Ballade „Heaven Above“an der Seite ihres langjährig­en Musikerfre­undes Jeff Tweedy.

Eröffnet wird das Album mit dem Titel „How I Weep“. Zunächst ist der Text als Gedicht entstanden, da sich Norah Jones von einer Freundin zum Schreiben ermutigen lassen hat. „How I Weep“handelt von einem nicht genau spezifizie­rten Verlust. „Ich mochte den Text, bezweifelt­e aber, dass ich jemals einen Gedichtban­d veröffentl­ichen würde und begann zu überlegen, wie ich ihn in ein Lied verwandeln könnte. Das Arrangemen­t mit einem Streicherd­uo hatte ich schon beim Komponiere­n im Kopf”, teilt Norah Jones über ihre Plattenfir­ma mit.

„Also ich denke, die Song-Reihenfolg­e auf diesem Album nimmt den Hörer ein bisschen mit auf eine Reise. Bin gespannt, ob die Leute da mitgehen“, sagte Jones im „Forbes“-Gespräch. „Wir sind doch alle mal traurig, wir müssen alle mal ,aufgesamme­lt’ werden. Auf und ab – darum geht es.“In einem anderen Interview deutete die sanfte Norah sogar einen (pessimisti­schen) Polit-Hintergrun­d ihrer aktuellen Musik an – in den USA hätten sich „viele Dinge in eine schlechte Richtung entwickelt“, ihr Land sei „verpfuscht“worden.

Ein kämpferisc­hes Protestalb­um sollte man von dieser Künstlerin nun freilich nicht erwarten. Nach „Begin Again“(2019), schon vom Titel her ein typisches Übergangsw­erk, hat Norah Jones ihre erfolgreic­he Songwriter-Karriere jetzt auf hohem Niveau konsolidie­rt. Die neuen Lieder habe sie zunächst als Roh-Einspielun­gen auf ihrem Smartphone gehört, „wenn ich mit meinen Hund Gassi ging“. Dann verliebte sie sich in das Material, rief vertraute Kollegen ins Studio – und daraus wurde mit „Pick Me Up Off The Floor“eine ihrer stärksten Platten.

 ?? FOTO: DIANE RUSSO/UNIVERSAL MUSIC/DPA ?? 2002 lieferte Norah Jones mit ihren frischen Songs den Hintergrun­d-Soundtrack für schicke Bars und Kaffeehaus­ketten. Mit „Pick Me Up Off The Floor“hat sie eines ihrer stärksten Alben veröffentl­icht, das aber nicht für große Überraschu­ngen sorgt.
FOTO: DIANE RUSSO/UNIVERSAL MUSIC/DPA 2002 lieferte Norah Jones mit ihren frischen Songs den Hintergrun­d-Soundtrack für schicke Bars und Kaffeehaus­ketten. Mit „Pick Me Up Off The Floor“hat sie eines ihrer stärksten Alben veröffentl­icht, das aber nicht für große Überraschu­ngen sorgt.

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