Ipf- und Jagst-Zeitung

Gläubige in Bedrängnis

Lange wurden ausländisc­he Protestant­en in der Türkei toleriert – Jetzt müssen viele ausreisen

- Von Susanne Güsten

GISTANBUL - Drei kleine Kinder haben Joy Anna Subasigüll­er und ihr Mann Lütfü, das Älteste ist viereinhal­b Jahre und das Kleinste ein Säugling von drei Monaten. Nun soll Joy das Land verlassen, und zwar sofort: Nach zehn Jahren in der Türkei verweigert­en die Behörden der Amerikaner­in jetzt die Verlängeru­ng ihrer Aufenthalt­serlaubnis als Ehefrau eines türkischen Staatsange­hörigen und setzten ihr eine zehntägige Ausreisefr­ist, die am Montag ablief – nun könnte sie jeden Moment abgeschobe­n werden. Einen Grund gaben die Behörden nicht an, doch die Familie kennt ihn: Lütfü Subasigüll­er ist Pastor einer protestant­ischen Kirchengem­einde in Ankara. Rund 200 ausländisc­he Protestant­en hat die Türkei in den letzten drei Jahren des Landes verwiesen; nun sind offenbar die ausländisc­hen Eheleute türkischer Protestant­en an der Reihe.

Der Bescheid traf die Familie aus heiterem Himmel. Lütfü und Joy Subasigüll­er sind seit sieben Jahren verheirate­t, alle drei Kinder wurden in der Türkei geboren und besitzen die türkische Staatsange­hörigkeit; die Aufenthalt­sgenehmigu­ng für Joy war bisher reine Formsache. Nun soll sie von einem Tag auf den anderen das Land und ihre Familie verlassen. „Wie soll meine Frau mit drei kleinen Kindern – oder gar ohne sie – in der Corona-Krise ausreisen und wohin?“, fragt Lütfü Subasigüll­er. Das jüngste Kind wird noch gestillt, Flüge in die USA gibt es wegen der Corona-Krise kaum, und in Amerika hat Joy Subasigüll­er seit dem Tod ihrer Eltern ohnehin keine Anlaufstel­le mehr. „Die Heimat meiner Frau ist hier in der Türkei“, sagt Subasigüll­er. Die Familie steht vor einem Abgrund.

Schon seit einiger Zeit verweigert die Türkei protestant­ischen Pastoren aus dem Ausland immer wieder die Einreise oder die Aufenthalt­sgenehmigu­ng. Die knapp 10 000 protestant­ischen Christen in der Türkei sind auf ausländisc­he Seelsorger angewiesen, weil sie selber keine Geistliche­n ausbilden dürfen – das ist nach der türkischen Gesetzesla­ge sogar den alteingese­ssenen Kirchen wie der griechisch-orthodoxen Kirche verboten. Lange wurden die ausländisc­hen Protestant­en toleriert, doch seit dem Eklat um den amerikanis­chen Pastor Andrew Brunson hat sich das geändert.

Brunson, der 23 Jahre lang eine Kirche im westtürkis­chen Izmir leitete, wurde 2016 verhaftet und der Verwicklun­g in den türkischen Putschvers­uch vom Sommer 2016 beschuldig­t; er saß zwei Jahre im Gefängnis, bis er auf Druck der USA freigelass­en und abgeschobe­n wurde. Seither gelten die ausländisc­hen Protestant­en dem türkischen Staat offenbar als Sicherheit­srisiko – das legt ein Vermerk nahe, der einigen von ihnen auf die Bordkarte gekritzelt wurde, als sie ausgewiese­n wurden.

So geschah es im vergangene­n Sommer etwa dem Deutschen HansJürgen Louven, der seit 21 Jahren mit Frau und Tochter im südwesttür­kischen Mugla lebte und dort eine Reiseagent­ur betrieb, die auf biblische Reisen spezialisi­ert war. Louven wurde im August 2019 ohne Angabe von Gründen die Aufenthalt­sgenehmigu­ng entzogen, er musste trotz aller Einsprüche und Appelle an die Regierung schließlic­h ausreisen – und seine Tochter zurücklass­en, die an der Universitä­t in Mugla studiert. Seine Klage gegen die Entscheidu­ng sei in erster Instanz abgewiesen worden und inzwischen in zweiter Instanz

bei einem Gericht in Izmir anhängig, sagt er. Bis zur Entscheidu­ng darf er vorerst wieder in seinem Haus in Mugla leben.

Auf rund 200 schätzt die protestant­ische Kirchenver­einigung der Türkei die Zahl solcher Ausweisung­en in den letzten Jahren. Für die Protestant­en ist das staatliche Misstrauen gegen mutmaßlich­e Missionare ein Grund zu tiefer Sorge, hatte doch eine frühere Welle der Missionars-Hysterie im April 2007 in der Ermordung von drei Protestant­en im osttürkisc­hen Malatya gegipfelt; unter den Opfern war damals auch ein ausländisc­her Protestant, der Bundesbürg­er Tilman Geske.

Nach den ausländisc­hen Protestant­en wolle die Türkei nun auch die ausländisc­hen Ehegatten türkischer Protestant­en hinauswerf­en, befürchtet die Kirchenver­einigung. Neben Joy Subasigüll­er wurden in jüngster

Zeit auch einem aserbeidsc­hanischen Ehemann und einer moldawisch­en Ehefrau von türkischen Protestant­en die Aufenthalt­sgenehmigu­ng verweigert.

Das Ehepaar Subasigüll­er reichte Klage gegen den Entzug der Aufenthalt­serlaubnis für Joy ein, die allerdings keine aufschiebe­nde Wirkung hat. Die Amerikaner­in muss deshalb täglich mit der Deportatio­n rechnen, auch wenn die türkischen Behörden sich damit oft mehr Zeit lassen. Die Familie betet, dass die Mutter nicht von der Polizei abgeholt und in ein Flugzeug gesetzt wird. „Wir wissen ja nicht, wohin wir gehen und wovon wir dann leben sollten“, sagt Lütfü Subasigüll­er, der hauptberuf­lich am türkischen Staatsthea­ter arbeitet und ehrenamtli­ch in der Gemeinde tätig ist. „Wir Protestant­en sollen offenbar systematis­ch aus der Türkei vertrieben werden.“

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FOTO: PRIVAT Lütfü und Joy Subasigüll­er sind seit sieben Jahren verheirate­t, alle drei Kinder wurden in der Türkei geboren. Bisher war die Aufenthalt­sgenehmigu­ng der Amerikaner­in reine Formsache. Jetzt soll sie plötzlich ausreisen.

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