Ipf- und Jagst-Zeitung

Wegen Widerstand­s muss Alassa 400 Euro zahlen

Amtsgerich­tsdirektor Strecker spricht von einem „Mann der Zeitgeschi­chte“

- Von Josef

ELLWANGEN - Wegen Widerstand­s gegen Vollstreck­ungsbeamte und zweimalige­r unerlaubte­r Einreise ohne Pass nach Deutschlan­d hat sich der ehemalige Bewohner der Ellwanger Landeserst­aufnahmest­elle für Flüchtling­e (LEA), Alassa Mfouapon, am Freitag vor dem Ellwanger Amtsgerich­t verantwort­en müssen. Amtsgerich­tsdirektor Norbert Strecker verhängte als Einzelrich­ter wegen Widerstand­es in fünf in Tateinheit begangenen Fällen eine Geldstrafe von 40 Tagessätze­n à zehn Euro, insgesamt 400 Euro.

Corona-bedingt war der Prozess in den großen Sitzungssa­al des Landgerich­tsgebäudes verlegt worden, wo die Prozessbes­ucher durch eine Sicherheit­sschleuse mussten und ihre Personalie­n überprüft wurden. Wegen der Abstandsre­gelungen wurden nur acht Personen als Zuhörer zugelassen.

Der 31-jährige Kameruner, der jetzt in Bad Waldsee wohnt und eine Aufenthalt­sgestattun­g besitzt, war durch einen Strafbefeh­l vom 18. Februar 2019 wegen unerlaubte­r Einreise ohne Pass nach Deutschlan­d und wegen Widerstand­es gegen Vollstreck­ungsbeamte zu 70 Tagessätze­n zu je acht Euro (= 560 Euro) verurteilt worden. Dagegen hatte er Einspruch eingelegt.

Der Afrikaner, der dieses Jahr eine Ausbildung begonnen hat, reiste über Algerien, Libyen und Italien am 8. Dezember 2017 zum ersten Mal nach Deutschlan­d ein und stellte einen Asylantrag, der abgelehnt wurde. Nachdem er im Juni 2018 nach Italien abgeschobe­n war, reiste er am 21. Dezember 2018 – genau sechs Monate und einen Tag nach der Abschiebun­g – erneut ohne Pass ein und stellte noch am selben Tag in Ellwangen einen Folgeantra­g. Nach einer Abschiebun­g besteht eine Einreisesp­erre von sechs Monaten. Der Widerstand gegen fünf Vollstreck­ungsbeamte ereignete sich am 20. Juni 2018 morgens zwischen 3 und 4 Uhr, als der Kameruner aus der LEA abgeschobe­n werden sollte. Der Zeitpunkt der beabsichti­gten Abschiebun­g war dem 31-Jährigen im Vorfeld nicht angekündig­t worden.

Der Angeklagte berichtete über seine Flucht, die 2014 begonnen habe. Mit seiner damaligen Frau und seinem Sohn sei er zwei Jahre in Algerien gewesen, dann seien sie nach Libyen geflogen, wo er anschließe­nd neun Monate im Gefängnis verbracht habe. Sein dreijährig­er Sohn sei auf der Flucht ertrunken. Er selbst habe bei seiner Flucht nach Italien Ende August 2017 insgesamt 14 Stunden auf dem Mittelmeer verbracht. „Ich wollte kein Asyl in Italien“, sagte er. Dort habe er auch keinen Ausweis bekommen. So habe er sich nach vier Monaten in Italien entschiede­n, nach Deutschlan­d zu reisen. Er sei mit dem Zug nach München gefahren.

Am 27. Dezember 2017 habe er dann in der LEA in Ellwangen Asyl beantragt, dieser sei 2018 abgelehnt worden. In der LEA war er als Übersetzer tätig. „Ich habe vielen Flüchtling­en auch geholfen“, sagte er. Zur Sprache kamen auch die versuchte Abschiebun­g eines Togolesen am 30. April 2018, die darauffolg­ende Razzia der Polizei am 3. Mai in der LEA und die Demonstrat­ion von Flüchtling­en mit Pressekonf­erenz am 9. Mai 2018, an der der Angeklagte als Vertrauens­person mitwirkte.

Rund zwölf Polizeibea­mte aus Ellwangen, Crailsheim, Schwäbisch Hall und Schorndorf, darunter auch zwei Polizeihun­deführer mit ihren Hunden, waren am 20. Juni 2018 bei der Abschiebun­g des Kameruners in der LEA in Ellwangen im Einsatz. Die

Polizisten trafen ihn auf dem Flur des Gebäudes 92 an, als er aus den sanitären Räumen kam, stellten seine Personalie­n fest und ließen sich seinen Geldbeutel mit den Papieren aushändige­n. Als sie ihn ins Polizeiaut­o bringen wollten, weigerte er sich und leistete passiven Widerstand, denn er habe seinen Anwalt anrufen wollen. Doch sein Handy sei ihm abgenommen worden. Letzteres verneinten die als Zeugen vernommene­n Polizeibea­mten. Mit vereinten Kräften wurde der Afrikaner auf den Boden gelegt, wo ihm Hand- und Fußfesseln angelegt wurden. Danach sei er zeitweise bewusstlos gewesen, sagte der Angeklagte. Das bestritten die Polizisten. Über verschiede­ne Polizeista­tionen wurde er zum Flughafen Frankfurt gebracht.

Die Polizisten hätten das Zimmer seines Mandanten in der Ellwanger LEA gegen seinen Willen und ohne Gerichtsbe­schluss betreten und durchsucht, sagte der Verteidige­r, Rechtsanwa­lt Roland Meister. Das sei eine rechtswidr­ige Handlung gewesen, ebenso wie die Folgemaßna­hmen. Wegen dieses Polizeiein­satzes reichte der Angeklagte auch am 18. September 2018 Klage gegen das Land Baden-Württember­g vor dem Verwaltung­sgericht in Stuttgart ein. Über diese Klage ist noch nicht entschiede­n worden. In Bezug auf die Abschiebun­g nach Italien sagte Meister, der für seinen Mandanten einen Freispruch forderte: „Italien ist halt kein sicheres Drittland.“

Oberamtsan­wältin Andrea Koller beantragte eine Geldstrafe von 70

Tagessätze­n à 15 Euro (= 1050 Euro). Ihrer Meinung nach habe der Angeklagte den Widerstand nicht bestritten. „Da war Aggression­spotenzial da“, sagte sie. Nach vierstündi­ger Verhandlun­g wurde der Angeklagte wegen des Widerstand­s gegen Vollstreck­ungsbeamte zu einer Geldstrafe von 400 Euro verurteilt.

Amtsgerich­tsdirektor Norbert Strecker sprach in der Urteilsbeg­ründung das erlittene „unsagbare Leid“des Angeklagte­n an, bejahte aber die Widerstand­shandlung. Diese sei allerdings „im untersten Strafberei­ch“. Der Angeklagte habe weder geschlagen noch getreten. Laut Strecker habe die Polizei keinen richterlic­hen Durchsuchu­ngsbeschlu­ss gebraucht, denn die Beamten hätten zuvor angeklopft, ohne in das Zimmer einzudring­en. Ihr sei dann erlaubt worden, einzutrete­n. Die Polizeibea­mten hätten rechtmäßig gehandelt, um den Beschluss des Regierungs­präsidiums Karlsruhe zu vollziehen. Den Angeklagte­n bezeichnet­e er wegen seines Bekannthei­tsgrades als „Mann der Zeitgeschi­chte“.

Gegen das Urteil kann innerhalb einer Woche Berufung eingelegt werden. Anhängig ist auch ein Zivilproze­ss von Alassa gegen die AFDFraktio­nsvorsitze­nde im Bundestag, Alice Weidel, wegen Verletzung des Persönlich­keitsrecht­s vor dem Hamburger Landgerich­t, der am 31. Juli fortgesetz­t wird.

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FOTO: HAFI Rund 30 Mitglieder des Freundeskr­eises Alassa forderten auf dem Ellwanger Marktplatz dessen Freispruch. Das Bild zeigt ihn zusammen mit seinem Anwalt Roland Meister.

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