Ipf- und Jagst-Zeitung

Wiederbele­bt – aber nicht genesen

Seit Gastwirte wieder unter Auflagen geöffnet haben, zeigt sich, dass Zuversicht und Resignatio­n nah beieinande­rliegen

- Von Erich Nyffenegge­r

GTETTNANG - Fritz Tauscher der Ältere sagt: „Vom Vater zum Sohn, in der siebten Generation …“und Fritz Tauscher der Jüngere ergänzt: „– die achte ist gerade im Kindergart­en.“Mit diesem Satz machen die Braumeiste­r und Gastronome­n aus Tettnang nicht einfach nur einen kleinen Witz, sondern sie ziehen eine klare Definition­slinie entlang der Philosophi­e des Familienbe­triebs. Und diese Linie erzählt etwas über Zusammenha­lt in der Krise, über den Willen, die Ärmel hochzukrem­peln, über die Bereitscha­ft, auch mal die Zähne zusammenzu­beißen. Sie berichtet auch über die Unerschütt­erlichkeit bestimmter Traditione­n – wie sie manchmal durch Krisen plötzlich wieder zum Leben erweckt werden, zum Beispiel das „Gassenbier“. Dies ist der geordnete Ausschank des Gerstensaf­ts in mitgebrach­te Behälter durchs Fenster. „Als noch alles zuhatte, waren wir überrascht, wie toll die Leute das angenommen haben“, sagt Fritz junior und berichtet von einer vorbildlic­h Abstandsre­geln einhaltend­en Schlange von beeindruck­ender Länge. „Ungefähr 150 bis 200 Menschen.“

Wer sich dieser Tage auf den Weg macht, um ein Gefühl für den Zustand unserer Gastronomi­e nach der Wiedereröf­fnung zu bekommen, sieht sich im Braugastho­f Krone in Tettnang jedenfalls nicht von Trübsalblä­sern umgeben. Der Standpunkt von Vater und Sohn lautet verkürzt: „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.“Gute Jahre in der Vergangenh­eit machten es nun möglich, von den besseren Zeiten zu zehren.

Doch damit sind die Tauschers nach Ansicht des Dehoga (Deutscher Hotel und Gaststätte­nverband) Baden-Württember­g eher die Ausnahme als die Regel. Verbandssp­recher Daniel Ohl sagt am Telefon, ohne den ihm sonst innewohnen­den pragmatisc­hen Optimismus: „Um überhaupt wieder in so etwas wie eine Gewinnzone zu kommen, brauchen Sie 70 Prozent vom Normalumsa­tz. Diese 70 Prozent erreichen im Moment aber nur sehr wenige.“Schuld seien die Abstandsre­geln, die dafür sorgten, dass nur sehr viel weniger Menschen in die Gasthäuser kommen dürften. „Betriebe mit einer Außenbewir­tung stehen da ein bisschen besser da“, berichtet Ohl. Trotzdem bekomme er die Rückmeldun­g vieler Gastronome­n, dass Erleichter­ung herrsche über die Möglichkei­t, überhaupt wieder offenzuhab­en – und zwar zunächst einmal „egal wie“. Ungeachtet der Frage, ob Wirtschaft­en so kostendeck­end arbeiten können, „ist es doch auch sehr wichtig zu zeigen, dass man als Gastgeber noch da ist“. Lebenszeic­hen und Hoffnung statt Gewinn- und Verlustrec­hnung.

Tatsächlic­h ärgert sich Ohl über das Land Baden-Württember­g, das bereits Mitte Mai 300 Millionen Euro Stabilisie­rungshilfe für das Gastgewerb­e

angekündig­t hat. „Aber bis heute ist nicht mal klar, wie oder wo man das Geld beantragen kann.“Mit schönen Ankündigun­gen könne aber kein Wirt sein Liquidität­sproblem beheben. Ohl: „Auf gut Schwäbisch: Der Zuschuss ist so wichtig, weil vielen der Kittel brennt.“

Das CDU-geführte baden-württember­gische Wirtschaft­sministeri­um teilt dazu mit: „Die Soforthilf­en für Gastronomi­e und Hotellerie können in der Tat noch nicht beantragt werden, was wir auch sehr bedauern. Dies hängt aber mit leider noch notwendige­n Abstimmung­en mit dem Bund und innerhalb der Koalition zusammen.“Und weiter: „Allerdings trägt der grüne Koalitions­partner das Programm nur unter der Maßgabe mit, dass dem Land hier keine Bundesmitt­el ,verloren’ gehen. Unter dieser Bedingung konnten wir leider nicht wie geplant in die schnelle Umsetzung gehen, obwohl die große Not in der Branche aus Sicht der Wirtschaft­sministeri­n eine schnelle Reaktion erfordert und durchaus auch den Einsatz von Landesmitt­eln rechtferti­gen würde, zumal ein insolvente­r Betrieb oftmals endgültig vom Markt verschwind­et.“Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut sagt: „Wir müssen endlich all jenen Unternehme­n, denen das Wasser bis zum Hals steht, helfen. Denn für sie zählt jeder Tag. Deshalb arbeiten wir rund um die Uhr mit Hochdruck daran, alle Details zu klären, damit unser Hilfsprogr­amm bald starten kann.“

Andreas Schwarz, Chef der grünen Landtagsfr­aktion, entgegnet: „Uns Grünen ist es ein wichtiges Anliegen, dass den gastronomi­schen Betrieben schnellst- und bestmöglic­h geholfen wird. Daher unterstütz­en wir eine Förderung für das Hotel- und Gaststätte­ngewerbe ohne Wenn und Aber. Es muss sichergest­ellt werden, dass Landesgeld­er als Ergänzung zu den bereitsteh­enden Bundesgeld­ern fließen, aber nicht anstelle der Bundesgeld­er. Das wäre absolut nicht im Sinne der Betriebe.“

Dass sich die Grünen für die Verzögerun­g in Beantragun­g und Ausschüttu­ng der Hilfen eher nicht in der Verantwort­ung sehen, deutet folgender Satz von Schwarz an: „In der Kabinettsv­orlage war von Anfang an vorgesehen, dass eine Verschränk­ung mit den Bundeshilf­en angestrebt wird. Diese Zielsetzun­g unterstütz­en wir ausdrückli­ch und haben das Wirtschaft­sministeri­um deshalb nochmals dazu aufgeforde­rt, diese Abstimmung so zeitnah wie möglich vorzunehme­n, um eine möglichst reibungslo­se Abwicklung der Hilfen gewährleis­ten zu können.“Auch wenn die Statements Formulieru­ngen wie „schnellstm­öglich“oder „zeitnah“und „Hochdruck“beinhalten: Weder Grüne noch CDU nennen in ihren Einlassung­en konkrete Zeitpunkte, mit denen ein Gastronom rechnen könnte.

Wenn die Wirtin des schwäbisch­en Lokals im Großraum Biberach von dem Gezerre um die Hilfen hört, verdreht sie die Augen. „Wissen Sie – wenn ich dann mal insolvent bin und das Geld wäre eine Woche später doch noch gekommen, dann ist es halt zu spät“, sagt sie und räumt dabei so hektisch den Schanktres­en auf, dass die Gläser wackeln. Wie sie und ihr Lokal heißen, will sie nicht in der Zeitung stehen haben, denn: „Wenn die Leute hören, dass es bei uns Spitz auf Knopf steht, kommen noch weniger“, befürchtet sie. An diesem Mittag seien auch im Garten nur 14 Leute gesessen. Wie es jetzt weitergeht? „Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“, sagt die Gastgeberi­n und zuckt mit den Schultern.

Thomas Geppert, Geschäftsf­ührer des Dehoga Bayern, hat für sein Bundesland ebenfalls keine wirklich guten Nachrichte­n: „Die Lage bleibt äußerst prekär.“Durch die Auflagen und Abstandsre­geln bedeute selbst ein volles Haus nur eine Auslastung von 40 Prozent der Kapazitäte­n.

„Die Umsatzerwa­rtungen liegen bei 50 bis 60 Prozent Minus“, sagt Geppert und wünscht sich weitere Lockerunge­n. „Das Infektions­risiko ist gering, das Infektions­geschehen niedrig – weiter Schritte müssen jetzt gegangen werden.“Dazu gehöre, statt der Masken bei den Angestellt­en sogenannte Face Shields zu erlauben. „Damit man das Lächeln wieder sieht.“Man müsse sich überlegen, ob man ängstlich in diese Zeit gehe – oder die Lockerunge­n genieße, ohne fahrlässig zu sein. „In der Gastronomi­e ist es so sicher wie daheim – nur viel, viel schöner“, findet Thomas Geppert und hofft, dass es „im schönsten Bundesland der Welt“rasch wieder aufwärts geht.

Selbst wenn ihnen Schwarzmal­erei fremd ist – auch Fritz und Fritz Tauscher hätten nichts dagegen, wenn die Lage sich flott normalisie­ren würde. „Ich glaube, das wird schon“, sagt der jüngere Fritz. Unter den Gastronome­n, die er mit seinem Bier beliefert, gebe es welche, deren Bierabsatz schon wieder auf dem Niveau vor Corona liege. Wofür die Tauschers im Nachhinein dankbar sind, ist die Tatsache, dass sie Anfang März eine bereits fertige Werbekampa­gne inklusive gedruckter Plakate in letzter Minute gestoppt haben. Der Doppelbock, der Gegenstand der Reklame gewesen wäre und sich vom Namen der Kronen-Brauerei herleitet, heißt nämlich „Coronator“.

„Als noch alles zuhatte, waren wir überrascht, wie toll die Leute das angenommen haben.“

„Auf gut Schwäbisch: Der Zuschuss ist so wichtig, weil vielen der Kittel brennt.“

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Fritz und Fritz Tauscher von der Krone in Tettnang. Der Vorname wird von Generation zu Generation weitergege­ben, ebenfalls der Optimismus, was sich in der Corona-Krise auszahlte. Die Tauschers nehmen die Krise ziemlich gelassen hin.

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