Ipf- und Jagst-Zeitung

Viele unangenehm­e Fragen – und keine Antwort

Auch kurz vor dem Ende seiner politische­n Karriere sorgt Horst Seehofer für Aufregung und Verwirrung

- Von Klaus Wieschemey­er

GBERLIN - Horst Seehofer ist an diesem Dienstag ebenso begehrt wie abwesend. Es gibt viele Themen: Der Innenminis­ter hat am Morgen die Rechtsextr­emistengru­ppe „Nordadler“verboten. Außerdem wollte der CSU-Mann eigentlich den Verfassung­sschutzber­icht 2019 vorstellen – der Termin wurde am Vorabend schnörkell­os und ohne Begründung gekippt. Und in Berlin ist immer noch nicht klar, ob er jetzt gegen die Autorin einer verunglück­ten AntiPolize­i-Kolumne in der Zeitung „taz“Strafanzei­ge stellt oder nicht. Am Sonntag hatte der 70-Jährige das gegenüber der „Bild“-Zeitung angekündig­t und damit eine Debatte um Pressefrei­heit losgetrete­n. Die Kanzlerin knöpfte sich Seehofer vor, seitdem ist die Sache mit der Anzeige offen. „Aus terminlich­en Gründen“werden weitere Termine abgesagt. Seehofer ist abgetaucht.

Vielleicht liegt es daran, dass ihm überall unangenehm­e Fragen gestellt werden würden. Das Redaktions­netzwerk Deutschlan­d (RND) berichtet, Seehofers Ministeriu­m habe versucht, die Erwähnung der AfDGlieder­ungen „Flügel“und Junge Alternativ­e (JA) aus dem Verfassung­sschutzber­icht herauszuha­lten. Das Ministeriu­m hatte demnach im vergangene­n November gebeten, kein Kapitel über rechtsextr­emistische Verdachtsf­älle in den Bericht aufzunehme­n. Zu dieser Zeit galt der auf 7000 Mitglieder geschätzte Flügel noch als Verdachtsf­all, erst seit März gilt die rechtsextr­eme Ausrichtun­g der inzwischen offiziell aufgelöste­n Parteigrup­pierung als gesichert.

Weil beide Gruppierun­gen nun in dem Bericht zu den Rechtsextr­emisten gezählt werden, schnellt die Zahl in dem mangels Vorstellun­g unveröffen­tlichten Bericht im Vergleich zum Vorjahr rasant nach oben. Medienberi­chten zufolge zählen die Geheimen 2019 rechtsauße­n insgesamt 32 000 Verfassung­sfeinde – 8000 mehr als im Jahr zuvor. Stimmen die kolportier­ten Zahlen, wächst das Extremismu­sproblem

in Deutschlan­d auch auf der linken Seite. Die „Welt“berichtet von einer Zunahme linksextre­mer Straftaten um 40 Prozent.

Bestätigen will der Geheimdien­st diese Zahlen nicht – denn die Vorstellun­g des Berichts sei ja Sache des Innenminis­ters. Zudem werde immer wieder mal eine Pressekonf­erenz abgesagt, wenn andere Termine dazwischen kommen. Kürzlich ließ Seehofer die Vorstellun­g der Polizeilic­hen Kriminalst­atistik ausfallen, weil er mit seinem französisc­hen Amtskolleg­en telefonier­en musste. Einem Bundestags­ausschuss gab der Minister einen Korb, weil er gleichzeit­ig eine Pressekonf­erenz zu Grenzöffnu­ngen gab.

Also alles ganz normal? Nein. Seehofers Absage erinnert manche in Berlin an das Jahr 2018, als der Minister nach einem Streit mit der Kanzlerin um die Zurückweis­ung von

Flüchtling­en die Vorstellun­g des „Masterplan­s Migration“kippte. Und damit an eine Zeit, in der der CSU-Politiker immer wieder Brandfacke­ln in die brüchige Große Koalition warf. Ob der Streit um die Abberufung des früheren Verfassung­sschutzche­fs Hans-Georg Maaßen oder die Frage nach einer Flüchtling­sobergrenz­e – immer wieder krachte es zwischen SPD und Union, zwischen Merkel und Seehofer.

Seitdem haben sich die Zeiten geändert: Seit Corona wirkt die Regierung geschlosse­n, und selbst die SPD-Basis will die Koalition Umfragen zufolge mit breiter Mehrheit bis zum regulären Ende im Herbst 2021 durchziehe­n. Seehofer indessen gilt schon länger als politische­s Auslaufmod­ell. Dass der dienstälte­ste Minister der Regierung überhaupt noch im Amt ist, hat er wohl Corona zu verdanken. Denn noch im Januar forderte Markus Söder, Seehofers Nachfolger als CSU-Chef und Ministerpr­äsident, eine Kabinettsu­mbildung in Berlin. Dass der Franke die Umbesetzun­g mit dem Bedarf „an neuen und frischen Kräften“begründete, war ein klares Signal, zumal beide eine lang gepflegte Abneigung verbindet.

Als Seehofer im Mai ankündigte, nach der Bundestags­wahl 2021 in den Ruhestand zu gehen, überrascht­e das niemanden. Ob Fraktion oder Innenaussc­huss – überall beklagen sich Bundestags­abgeordnet­e, dass der Minister sich nur selten zu Unterricht­ungen blicken lässt. „Er macht nur noch, was er will“, sagt ein Abgeordnet­er. Die FDP hatte zwischenze­itlich sogar beantragt, den säumigen Minister in den Innenaussc­huss vorzuladen.

Für den FDP-Abgeordnet­en Benjamin Strasser ist das Verhalten verständli­ch: „Er ist auf Abschiedst­our“, sagt der 33-Jährige. Dabei sieht er beim CSU-Minister nicht nur Schatten: Seehofer habe im Kampf gegen Rechtsauße­n nach dem Rauswurf von Maaßen aufgeholt: Immerhin ist „Nordadler“nicht die erste rechtsextr­emistische Vereinigun­g, die der Minister in diesem Jahr verboten hat. Die entspreche­nden Abteilunge­n wurden verstärkt. Seehofer selbst benannte den Rechtsextr­emismus im Februar als größte Bedrohung für Deutschlan­d. Dann wiederum bringt er mit der angekündig­ten Anzeige gegen die „taz“-Redakteuri­n eine Debatte um Meinungsfr­eiheit ins Rollen, die die Kanzlerin so dringend braucht wie Zahnschmer­zen. Zumal die AfD-Frau Beatrix von Storch am Montagaben­d genau das tat, was Seehofer angekündig­t hatte. Sie erstattete Strafanzei­ge. „Es ist ein Auf und Ab. Man wird aus Seehofer nicht wirklich schlau“, sagt Strasser.

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT Ob Innenminis­ter Horst Seehofer Anzeige gegen eine Journalist­in erstatten wird, ist immer noch nicht klar.

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