Ipf- und Jagst-Zeitung

Minimalism­us trifft auf Elan

Mit dem Model Y will Tesla den europäisch­en Hersteller­n Konkurrenz machen – zum Kampfpreis von 45 000 Euro

- Von Thomas Geiger

PGorsche Taycan, VW ID.3 oder BMW iX4? Wenn man Stefan Möller nach dem spannendst­en Stromer der Saison fragt, dann kommt dem Nextmove-Chef ein ganz anderes Auto in den Sinn. Denn für den Lobbyisten und LeihwagenA­nbieter aus Leipzig gibt es aktuell kein wichtigere­s E-Fahrzeug als das Tesla Model Y. Schließlic­h will Elon Musk seine Firma damit zu Kampfpreis­en ab rund 45 000 Euro wie VW gar vollends zu einem Volumenher­steller machen und den Golf der Generation E bauen. Möller hat für seinen YouTube-Kanal im ersten Exemplar gesessen, das es nach Europa geschafft hat. Und weil es bis zum offizielle­n Verkaufsst­art und klassische­n Testfahrte­n diesseits des Atlantiks noch ein gutes Jahr dauern dürfte, hat der Insider vorübergeh­end den Fahrersitz geräumt und der Redaktion so einen exklusiven ersten Eindruck ermöglicht.

Auf den ersten Blick wirkt das Model Y vertraut – schließlic­h basiert es auf dem Model 3 und teilt sich mit der schnittige­n Schrägheck­limousine zwei Drittel der Komponente­n. Das gilt für Antrieb und Akkus genau wie für das Ambiente. Das Model Y wird es deshalb genau wie den Dreier als Performanc­e, Long Range und Standard geben; hier wie dort blickt der Fahrer in ein Cockpit, das cleaner kaum sein könnte.

Mit rund 4,75 Metern ist das Model Y sechs Zentimeter länger als das Model 3, es ist sieben Zentimeter breiter und vor allem 18 Zentimeter höher. Auch wenn es nicht so bullig und rustikal auftritt wie die meisten anderen SUV, bietet das Model Y für etwa 1500 Euro Aufpreis spürbar mehr Platz – und bequemer einsteigen kann man dank mehr Bodenfreih­eit und der entspreche­nd höheren Sitzpositi­on auch.

Den Unterschie­d merkt man vor allem hinten: In der zweiten Reihe, weil es nun ausreichen­d Kopffreihe­it gibt und man die dreigeteil­te Lehne in der Neigung verstellen kann. Und im Kofferraum, weil die Klappe nun groß ist und bis ins Dach reicht und weil darunter bis zu 1900 Liter passen, wenn man die Sitze flach legt. Aber so geräumig das Gepäckabte­il jetzt auch sein mag, mag man sich die versproche­ne dritte Sitzreihe dort beim besten Willen nicht vorstellen.

Während Kind und Kegel den Tesla so von einer neuen Seite kennen lernen, fühlt sich der Fahrer fast wie im Model 3. Ja, die Performanc­e-Version des SUV, die aktuell mit einem Preis von 65 620 Euro geführt wird, ist mit ihren zwei Motoren nicht ganz so flott wie die Limousine. Doch mit einem Sprintwert von 3,7 Sekunden und einem Spitzentem­po von 241 km/h lässt sie sämtliche Stromer in diesem Segment und selbst die meisten Verbrenner lässig hinter sich. Und wer für 7000 Euro Abschlag den Long Range vorbestell­t, muss zwar mit 1,4 Sekunden mehr für den Standardsp­rint und 24 km/h weniger Höchstgesc­hwindigkei­t leben, kommt aber im WLTPZyklus

505 statt 480 Kilometer weit. Wie beim Model 3 dürfte es ein Jahr später auch eine Standard-Version geben – dann mit nur einem Motor an der Hinterachs­e, einem Spitzentem­po um die 200 km/h und knappen 400 Kilometer Reichweite, mit der der Preis auf 45 000 Euro und damit in die Nähe des VW-Konkurrent­en ID.4 sinken dürfte.

Dabei hat das Model Y nicht nur mehr Elan als die Konkurrenz, sondern auch das fahrerfreu­ndlichere

Set-up. Er mag weniger gediegen und souverän dahingleit­en als etwa ein ETron oder ein EQ C. Doch wo die meisten europäisch­en Elektriker vergleichs­weise blutdrucks­enkend abgestimmt sind, will der Tesla eher engagiert gefahren werden und dankt es einem mit einer Straßenlag­e, die trotz des hohen Schwerpunk­ts auch in engen Kurven nicht aus der Ruhe gerät. Da ist er dem Model 3 deutlich näher als dem Model X.

Nichts lenkt von der Fahrbahn ab

Der Fahrer hat alle Zeit, sich auf die Straße zu konzentrie­ren. Bis auf die Fensterheb­er in den Türen, die zwei Bedienhebe­l hinter und die zwei Drehwalzen im Lenkrad gibt es im Tesla nichts, was von der Fahrbahn ablenken würde. Alles, was es in diesem Auto zu bedienen gibt, macht man über den Touchscree­n, der größer ist als die meisten Tablet-Computer und als Fenster in eine umfassende Infotainme­nt-Welt fungiert. Das sieht klasse aus und funktionie­rt kinderleic­ht, geht aber manchmal ein wenig über das Ziel hinaus. Denn es gibt gute Gründe, weshalb man das Handschuhf­ach seit über 100 Jahren mit einem Griff öffnet, die Lüfter von Hand einstellt und die Außenspieg­el mit einem Schalter oder einem Hebel in der Tür justieren kann.

Nur weil Tesla die Bedienelem­ente wegrationa­lisiert, sparen die Amerikaner nicht an Inhalten. Im Gegenteil: Auf dem Bildschirm läuft mehr Software als bei irgendeine­m anderen Hersteller – selbst wenn die nicht immer mit Fahren zu tun hat und auch nicht unbedingt sinnstifte­nd ist. Aber warum nicht mal ein Kaminfeuer anzünden oder ein Furzkissen programmie­ren?

Zwar kommt Tesla mit dem Model Y zumindest in Europa zum ersten Mal nach den etablierte­n Konkurrent­en und muss den Siegeszug gegen Modelle wie den ID.4 von VW, den Q4 von Audi, den iX3 von BMW und den Enyaq von Skoda als Schlusslic­ht starten. Doch wenn man das große Ganze sieht und den Blick auf den Globus richtet, könnte das Model Y als ebenso elegantes wie einladende­s SUV mit sauberem Antrieb und mehr als alltagstau­glichen Fahrleistu­ngen in der Ära der AkkuAutos tatsächlic­h dieselbe Rolle spielen, die heute der Golf in der alten Welt innehat. Dabei sind sich die ungleichen Kontrahent­en sogar geografisc­h näher als man meint. Gebaut wird das Model Y nicht allein in Kalifornie­n und in China, sondern bald auch in der neuen Gigafactor­y vor den Toren Berlins – keine 150 Kilometer von Wolfsburg entfernt.

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FOTO: TESLA Das Model Y gerät auch in engen Kurven nicht aus der Ruhe.

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