Ipf- und Jagst-Zeitung

Söldnertru­ppe oder Schattenar­mee

Ein privates Militärunt­ernehmen erfüllt für Russland unangenehm­e Aufträge – Der Kreml leugnet eine Verbindung

- Von Stefan Scholl

GMOSKAU - Wenn sie im Donbas einen gegnerisch­en Vorposten stürmten, hätten sie vorher in die Luft geschossen, um den Ukrainern Gelegenhei­t zum Rückzug zu geben. „Sie taten uns leid“, sagt Alexei dem Nachrichte­nportal ura.ru, „das ist ja unser slawisches Blut.“In Syrien aber hätten er und seine Kameraden es mit Söldnern aus Tunis, Libyen oder dem Sudan zu tun bekommen. „Terroriste­n mit einer fremden, aggressive­n Ideologie. Besser sie dort platt machen, ehe sie in Russland auftauchen.“

Alexei, Berufsoffi­zier a. D. und Geschäftsm­ann, besteht darauf, kein Söldner zu sein, sondern Freiwillig­er. Obwohl er für einen Monatssold von umgerechne­t 2000 bis 4000 Euro in Syrien gekämpft hat, vorher im Donbas. Er diente in der „Privaten Militärfir­ma Wagner“, die offiziell gar nicht existiert, deren jährlichen Unterhalt das Wirtschaft­sportal RBK aber auf umgerechne­t mindestens 60 Millionen Dollar schätzt – inklusive der 60 000 Dollar-Entschädig­ungen, die die Firma für jeden Toten zahlte. Angesichts geheimer Posten im Staatshaus­halt bleibt offen, was davon der Fiskus begleicht. Jedenfalls sind die in Russland offiziell verbotenen Söldner keine teuren Krieger, „Helden unserer Zeit“schwärmt Sergei Minajew, Chef des russischen Männermaga­zins Esquire.

Bei ihren ersten Einsätzen im ukrainisch­en Donbas fiel die Gruppe Wagner wenig auf. Scheinbar einer von vielen mit Russen gespickten Freiwillig­entrupps, der sich nach dem Codenamen seines Kommandeur­s nannte – Dmitri Utkin, Exoffizier des Militärgeh­eimdienste­s GRU, hat nach Presseberi­chten ein Faible für Richard Wagner und das Dritte Reich.

Wie ein anderer Wagner-Kämpfer, ein russischer Fallschirm­jägerhaupt­mann a. D. mit dem Codenamen „Omen“dem weißrussis­chen TV-Kanal Belsat sagte, war die Truppe von Anfang an kein Kanonenfut­ter, sondern bestand aus Profis mit Spezialaus­bildung und Kampferfah­rung. Aber offenbar erledigte Wagner schon damals riskante Aufgaben an vorderster Front, verlor laut Omen in der Kesselschl­acht von Debalzewo Anfang 2015 etwa 40 Leute.

Berühmt wurde Russlands „Fremdenleg­ion“, in der auch Weißrussen, Moldawier oder Serben dienen, in Syrien. Offiziell setzt Moskau dort außer Militärber­atern und -polizisten fast nur Luftwaffe ein. Aber die syrischen Bodentrupp­en zeigten sich immer wieder unfähig, die von ihr bombardier­ten Positionen zu erobern. Wagner wurde zur Sturmtrupp­e des Syrienkrie­ges, soll unter blutigen Verlusten Aleppo und zweimal Palmyra freigekämp­ft haben, die Presse zählt Hunderte Gefallene.

Ende 2016 durften Utkin und mehrere seiner Kommandeur­e bei einem Empfang mit Wladimir Putin posieren. Später machte Wagner in Libyen Schlagzeil­en. Ab 2018 unterstütz­ten dort laut einem UN-Bericht 1200 russische Söldner den als kremlnahe geltenden Bürgerkrie­gskommande­ur Chalifa Haftar.

Der Kreml aber leugnet weiter jede Verbindung mit der Privatarme­e, ebenso der Petersburg­er Geschäftsm­ann Jewgeni Prigoschin, den viele Medien als ihren Inhaber bezeichnen. Prigoschin soll die Kämpfer auch gezielt für seine Geschäftsz­wecke einsetzen. Sie bilden im Sudan Bürgerkrie­ger aus, behüten auf Madagaskar Wahlkampft­echnologen oder in der Zentralafr­ikanischen Republik Goldminen. „Ich sehe nicht, welche realen Interessen Russland dort besitzt“, sagt der Moskauer Militärpol­itologe Alexander Golz. „In gewisser Weise haben wir es mit einer Neuauflage der Britischen Ostindien-Kompanie zu tun. Da mischten sich private Wirtschaft­sinteresse­n auch gründlich mit den militärisc­hen Zielen Großbritan­niens.“

Das Modell Wagner macht Schule. Laut dem TV-Kanal Doschd wurden in den vergangene­n Jahren mehrere andere Privattrup­pen gegründet, darunter „Patriot“, eine besser ausgebilde­te und bezahlte Einheit, hinter der das Verteidigu­ngsministe­rium stehen soll. Patriot, seit 2018 in Syrien aktiv, soll Wagner auch Konkurrenz um die Bewachung der zentralafr­ikanischen Goldminen machen. Illegale, schwer bewaffnete Männergrup­pen, für deren Heldentate­n im Ausland der Staat ebenso wenig die Verantwort­ung übernehmen muss wie für ihre Toten. „Seit fünf Jahren verhindern unsere Sicherheit­sorgane, dass das Parlament private Militärfir­men legalisier­t“, sagt Golz. „Zum Glück. Sonst drohte uns, dass irgendwann Hunderte deklassier­te Berufskrie­ger Russland unsicher machen.“

Auf russischen Internetse­iten sind Videos aufgetauch­t, auf denen vier Soldaten einem am Boden liegenden Araber mit einem Vorschlagh­ammer die Gliedmaßen zertrümmer­n, johlend in den Unterleib schießen, ihm dann mit Messer und Spaten Kopf sowie Unterarme abtrennen. Ihr Russisch ist akzentfrei, sie beschmiere­n seine Brust mit den kyrillisch­en Buchstaben „WDW" (die russische Abkürzung für Fallschirm­truppen), übergießen seine Leiche mit Benzin und zünden sie an. Nach Angaben des syrischen Opposition­sportals Jesr Press war das Opfer ein syrischer Deserteur, laut der Zeitung „Nowaja Gaseta“entstanden die Aufnahmen 2017 auf dem Gelände einer von Wagner-Söldner besetzten Raffinerie. Einer der Männer soll der Ex-Polizist Stanislaw D. sein, der bei Wagner angeheuert hatte. Russlands Behörden sehen bisher keinen Grund zu ermitteln.

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FOTO: SANA HANDOUT/DPA Die russische Gruppe „Wagner“Group kämpft in Konfliktge­bieten weltweit, auch in Syrien.

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