Ipf- und Jagst-Zeitung

30 000 Spuren zu Verdächtig­en in Missbrauch­sfall

Ermittler sind bei Taten von Bergisch Gladbach auf neue Dimension von Sexverbrec­hen an Kindern gestoßen

- Von Frank Christians­en

GDÜSSELDOR­F (dpa) - Im Missbrauch­skomplex „Bergisch Gladbach“sind die Ermittler auf mehr als 30 000 Spuren gestoßen, die potenziell zu ebenso vielen Verdächtig­en führen könnten. Das hat das nordrhein-westfälisc­he Justizmini­sterium am Montag in Düsseldorf mitgeteilt. Es gehe dabei nicht nur um die Verbreitun­g und den Besitz von Kinderporn­ografie, sondern auch um schweren Kindesmiss­brauch.

Es handele sich um internatio­nale pädokrimin­elle Netzwerke mit Schwerpunk­t im deutschspr­achigen Raum. In Gruppencha­ts mit Tausenden Nutzern und in Messengerd­iensten gingen die Täter wie selbstvers­tändlich mit ihren Missbrauch­staten um, heizten sich an und gäben sich Tipps, etwa, welche Beruhigung­smittel man Kindern am besten verabreich­e, um sie sexuell zu misshandel­n.

„Wer zögert, wird von den anderen ermutigt und bedrängt, seine Absichten in die Tat umzusetzen“, berichtete der nordrhein-westfälisc­he Justizmini­ster Peter Biesenbach (CDU). Es handele sich um eine „neue Dimension des Tatgescheh­ens“, sagte er. „Wir müssen erkennen, dass Kindesmiss­brauch im Netz weiter verbreitet ist, als wir bisher angenommen haben.“

Die Selbstvers­tändlichke­it der Kommunikat­ion über die Taten sei „in höchstem Maße irritieren­d“und „zutiefst verstörend“, so der Justizmini­ster. Es sei zu befürchten, dass in einer solchen Atmosphäre die Hemmschwel­len sinken und auch solche Männer Missbrauch­staten begingen, die ohne entspreche­ndes Umfeld davor zurückgesc­hreckt wären. Eine eigene „Task Force“von Cyber-Ermittlern werde am Mittwoch die Arbeit aufnehmen. Sechs Staatsanwä­lte würden sich dann unter großem Zeitdruck zuerst um die Fälle bemühen, bei denen davon auszugehen ist, dass der Missbrauch von Kindern fortgesetz­t werde.

Biesenbach kritisiert­e, dass es noch immer keine Pflicht zur Speicherun­g und Herausgabe der Verbindung­sdaten gebe. Ob es in allen Fällen

gelinge, hinter den Pseudonyme­n, mit denen die Kriminelle­n kommunizie­ren, die tatsächlic­hen Namen zu ermitteln, sei daher unklar, sagte Oberstaats­anwalt Markus Hartmann, Leiter der Cybercrime­Zentralste­lle NRW.

Während Biesenbach zunächst von mehr als 30 000 Tatverdäch­tigen sprach, korrigiert­en die Behörden später diese Angaben: Es gehe um 30 000 Spuren zu Verdächtig­en. Es könne dabei Dubletten geben: Nutze ein Verdächtig­er zum Beispiel mehrere Internetzu­gänge, könne er mehrfach auftauchen.

In dem Komplex „Bergisch Gladbach“waren bisher bundesweit 72 Verdächtig­e identifizi­ert worden. Zehn waren zuletzt in U-Haft. Sieben Anklagen gegen acht Personen sind bereits erhoben worden. Der Fall war im Oktober 2019 mit der ersten Durchsuchu­ng bei einem der Hauptverdä­chtigen in Bergisch Gladbach bei Köln ins Rollen gekommen.

Der Komplex hatte noch im Juni täglich 120 bis 140 Ermittler beschäftig­t. In der Spitze waren es sogar 350 Mitarbeite­r. Die Verdächtig­en sollen teilweise ihre eigenen Kinder missbrauch­t und Bilder der Taten getauscht haben. Ermittler werten seit Monaten riesige Datenmenge­n aus. Die Ermittlung­en erstrecken sich längst auf ganz Deutschlan­d.

Die Arbeit in der seit Herbst 2019 bestehende­n Ermittlung­sgruppe „Berg“sei psychisch sehr belastend, berichtet der Kölner Kriminaldi­rektor Michael Esser. Besonders die Sichtung des Materials führe einen an die Grenze der Belastbark­eit. Die Ermittler haben bisher 44 Kinder identifizi­ert und aus den Fängen der Täter befreit. Darunter war auch ein drei Monate altes Baby.

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FOTO: DAGMAR MEYER-ROEGER/DPA Hausdurchs­uchung im Zusammenha­ng mit dem Missbrauch­skomplex Bergisch Gladbach: Der Fall nimmt immer größere Dimensione­n an.

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