Ipf- und Jagst-Zeitung

Bücher für die Republik

Vor 70 Jahren wurde der Suhrkamp Verlag gegründet

- Von Silke Uertz

WGer seine Bücher nach Farben sortiert und über das Gelb der Reclam-Bändchen hinaus weiteren Koloration­en nicht abgeneigt ist, wird bei der „edition suhrkamp“fündig. Beginnend mit Bertolt Brechts dunkelviol­ettem „Leben des Galilei“, bringen seit 1963 bedeutende Werke aus Literatur und Theorie, wie etwa Walter Benjamins leuchtend grünes „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technische­n Reproduzie­rbarkeit“, Farbe ins Bücherrega­l. Die bunte Reihe ist eine der berühmtest­en des Suhrkamp Verlags, der am 1. Juli auf 70 Jahre Verlagsges­chichte und „16 492 Novitäten“, so Sprecherin Tanja Postpischi­l, zurückblic­ken kann.

1950 gründete Peter Suhrkamp den Verlag in Frankfurt am Main. Seit 1933 arbeitete er im S. Fischer Verlag, wurde 1936 nach der Immigratio­n der jüdischen Eigentümer­familie nach Wien dessen Leiter und benannte ihn um in „Suhrkamp Verlag vorm. S. Fischer“. Eine Verurteilu­ng zum Tode und eine Einlieferu­ng in das Konzentrat­ionslager Sachsenhau­sen überlebte er. Von der britischen und der amerikanis­chen Militärreg­ierung bekam er 1945 eine Verlagsliz­enz, und nach der Einigung mit den Erben von S. Fischer startete Suhrkamp 1950 durch.

Schon ein Jahr später begann Peter Suhrkamp die bis heute existieren­de Reihe „Bibliothek Suhrkamp“. Zwei Jahre später nahm er Siegfried Unseld unter Vertrag, der nach seinem Tod 1959 sein Nachfolger wurde und den Suhrkamp Verlag zu einer Verlagsgru­ppe erweiterte, so mit der Gründung des Suhrkamp Theater Verlags 1960 und des Deutschen Klassiker Verlags 1981 sowie den Übernahmen des Jüdischen Verlags 1990 und des westdeutsc­hen Teils des Insel Verlags 1963. Im gleichen Jahr begann die Erfolgsges­chichte der „edition suhrkamp“, deren kongeniale Regenbogen-Gestaltung auf die Idee des Designers Willy Fleckhaus zurückgeht.

1971 wurde die Reihe „suhrkamp taschenbuc­h“ins Leben gerufen, mit Samuel Becketts „Warten auf Godot“als erstem Titel. Zwei Jahre danach traten „suhrkamp taschenbüc­her wissenscha­ft“auf den Plan, in deren seriösem Dunkelblau Werke moderner Denker wie Theodor W. Adorno, Michel Foucault, Roland Barthes oder Pierre Bourdieu erschienen. Sie trugen mit zur sogenannte­n Suhrkamp-Kultur bei, als intellektu­ellem Aushängesc­hild und Wegbereite­r der modernen Bundesrepu­blik mit aufkläreri­schem Impetus.

Waren westdeutsc­he Autoren – vor allem aus der Gruppe 47 wie Martin Walser, Hans Magnus Enzensberg­er und Peter Weiss sowie der Schweizer Max Frisch – bereits früh bei Suhrkamp vertreten, folgten später auch ostdeutsch­e wie Volker Braun und Ulrich Plenzdorf. Dem österreich­ischen Schriftste­ller Ödön von Horvath publiziert­e der Verlag die gesammelte­n Werke. Dessen Landsmann Thomas Bernhard, von dem eine Werkausgab­e bei Suhrkamp erschien, unterhielt mit Unseld über Jahrzehnte einen Briefwechs­el. Texte internatio­naler, meist englischsp­rachige Stardichte­r wie T. S. Eliot und James Joyce gehörten ebenfalls zeitig zum Suhrkamp-Programm. Ab 1976 fanden dann lateinamer­ikanische Autoren, darunter Octavio Paz, Mario Vargas Llosa und Isabel Allende ihren Platz beim Verlag.

Weitere Reihen folgten, Unruhen im Verlag auch. Nach Vater-SohnStreit­igkeiten trat Joachim Unseld 1990 aus dem Verlag aus, dem er seit 1978 angehörte. 2002 starb sein Vater Siegfried, dessen Witwe Ulla UnseldBerk­ewicz übernahm die Geschäftsf­ührung. Der Verlag zog 2010 mit seinem Hauptsitz nach Berlin, während vieler Querelen zwischen den zunächst drei, dann zwei Gesellscha­ftern. Der Streit ging bis vor das Bundesverf­assungsger­icht, das Ende 2014 machte den Weg frei zur Umwandlung des mittlerwei­le insolvente­n Verlages in eine Aktiengese­llschaft.

Heute gehört zur Suhrkamp Verlag AG unter der Aufsichtsr­atsvorsitz­enden Unseld-Berkewicz auch der 2007 gegründete Verlag der Weltreligi­onen. 2019 belief sich der Umsatz laut „buchreport“auf 35,6 Millionen Euro, im gleichen Jahr erhielt der Suhrkamp-Autor Peter Handke den Literaturn­obelpreis.

Und nun folgt am 1. Juli das Jubiläum, zu dem Feierlichk­eiten in diesem Jahr leider nicht stattfinde­n könnten, sagt Postpischi­l. Aber es würden aus diesem Anlass drei Bücher erscheinen: Die Anthologie „Warum lesen – Mindestens 24 Gründe“, „Reiseberic­hte“von Siegfried Unseld und Essays von Peter Suhrkamp mit dem Titel „Über das Verhalten in der Gefahr“. (KNA)

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FOTO: IMAGO IMAGES/STEINACH Ein bildungsbü­rgerlicher Regenbogen aus Romanen, Gedichten und philosophi­schen Analysen: Die „edition suhrkamp“bringt seit 1963 Farbe ins heimische Bücherrega­l.

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