Ipf- und Jagst-Zeitung

„Der VfB muss

Der frühere Publikumsl­iebling und DFB-Integratio­nsbeauftra­gte Cacau über die Stuttgarte­r, Rassismus im Fußball und Brasilien

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STUTTGART - Claudemir Jerônimo Barreto alias Cacau spielte elfeinhalb Jahre für den VfB Stuttgart, 2007 wurde der spätere Nationalst­ürmer mit dem Club an der Seite von Mario Gomez Meister. Der 39-jährige Vater dreier Kinder, der in Korb bei Stuttgart lebt, blickt im Gespräch mit Jürgen Schattmann kritisch auf die Stuttgarte­r Saison zurück.

Hallo Herr Cacau, was machen Sie gerade?

Ich bin auf einem Golfplatz im Hetzenhof bei Lorch mit einem Freund, deshalb müssen wir ab und zu kurz unterbrech­en, weil ich schlagen muss. Beim Laufen kann ich aber gut reden.

Sind Sie gut im Golf, so wie im Fußball? Und schicken Sie da auch immer ein Stoßgebet in den Himmel, wenn Sie getroffen haben?

Nein, nicht ganz so gut (lacht), früher war ich besser, ich habe Handicap 17, aber es macht mir Spaß. Wenn man die Bälle gut trifft, gibt es da eine Suchtgefah­r. Aber es ist eine gute Sucht, ein schönes Hobby, man läuft viel, ist draußen im Grünen, in der Natur und genießt die Landschaft. Aber ich muss üben, ich habe zuletzt kaum gespielt wegen des Coronaviru­s.

In Ihrem Geburtslan­d Brasilien gibt es sehr viele Infektione­n. Wie geht es Ihrer Familie und Ihren Freunden in Mogi das Cruzes bei Sao Paulo? Meine Mutter und mein Bruder sind noch dort. Sie passen auf sich auf, verlassen nicht so oft das Haus. Aber es geht ihnen gut, sie sind in Sicherheit.

Das Gesundheit­ssystem ist leider sehr schlecht in Brasilien, nicht vergleichb­ar mit Deutschlan­d.

Sind Sie wütend auf Jair Bolsonaro, den Präsidente­n? Setzt er sich zu wenig ein für die Menschen? Wissen Sie, ich finde, Brasilien kommt zu schlecht weg in der Öffentlich­keit. Sicher laufen einige Dinge schlecht, aber es gibt auch viele Entscheidu­ngen, die gut waren und über die nicht berichtet wurde. Und es gab immer und gibt auch jetzt noch einen funktionie­renden Rechtsstaa­t dort. Ich habe keine Angst um Brasilien. Wenn man von Brasilien spricht, sprechen viele von Bolsonaro, darauf wird alles reduziert. Aber Brasilien ist mehr als Bolsonaro. Es hat viel zu bieten, es gibt viele wunderbare Menschen dort.

Zum VfB Stuttgart. Was denken Sie über die Saison ihres Ex-Clubs? Natürlich bin glücklich, dass sie aufgestieg­en sind, und sie können sich auch glücklich schätzen, dass sie es geschafft haben, dass Hamburg viele Schwächeph­asen hatte. Ich dachte eigentlich, es wird viel einfacher mit diesem Kader, das packt der VfB locker, aber dann verlieren sie gegen Wehen und später nochmal gegen Wehen. Einfache Spiele wurden nicht gewonnen. Da hat häufig Kaltschnäu­zigkeit vor dem Tor gefehlt, Cleverness.

Auch die Routine?

Ein Beispiel: Gonzalo Castro hat sich für mich als Schlüssels­pieler entpuppt, der der Mannschaft sehr helfen kann, aber er wurde lange außen vor gelassen. Er ist ein so guter und effektiver Spieler, und es hat viel zu lange gedauert, bis der VfB das gemerkt hat.

Und Mario Gomez? Mit dem sind Sie 2007 Meister geworden, sie haben lange ein Sturmduo gebildet. Warum spielte Gomez so wenig? Mario ist ein Strafraums­türmer. Wenn er die Bälle nicht bekommt, keine Flanken, ist es für ihn schwer, zu treffen. Er war immer für ein Tor gut, das hat er am Sonntag ja noch einmal bewiesen. Die anderen hätten ihn besser in Szene setzen müssen. Aber er war immer für die Mannschaft da. Ich hätte es gerne gesehen, dass er noch weiterspie­lt, vielleicht nochmal ins Ausland geht, nach Amerika. Das bringt einem viel, auch für die Persönlich­keit. Aber er hat sich dagegen entschiede­n, und er weiß es am besten.

Was kann der VfB in der Bundesliga erreichen? Er hat ja nach wie vor das Ziel, mit dem Nachwuchs eines Tages wieder im Europacup zu spielen. Ich hoffe, dass sie es schaffen, die Saison kritisch Revue passieren zu lassen und daraus zu lernen. Es war nicht alles gut, mit einem Weiter-so wird es schwierig. Verein und Mannschaft haben viel Arbeit vor sich, das wird Abstiegska­mpf bis zum Schluss, nichts anderes. Wenn der VfB in den Europacup zurück will, muss er vieles aufholen, was er in den vergangene­n Jahren versäumt hat. Das Geld ist da, man muss es nur richtig einsetzen, das zeigt zum Beispiel Freiburg. Klar ist, dass man gezielt investiere­n muss und ansonsten wie früher auf die eigene Jugend setzen sollte – so wie früher.

Dieser Weg hat den VfB 2007 zum Titel geführt, mit Ihnen, Gomez und Thomas Hitzlsperg­er, dem heutigen Vorstandsc­hef. Ein Höhepunkte ihrer Karriere. Wie sehr schmerzt es Sie noch, dass Sie mit der deutschen Nationalma­nnschaft die WM 2014 in Ihrer ersten Heimat verpasst haben, auch wegen eines Kreuzbandr­isses?

Ich bin zufrieden mit meiner Laufbahn und dankbar. Statt wegen 2014 und Brasilien wehmütig zu sein, denke ich lieber mit Freude an die WM 2010 in Südafrika zurück und mein Tor zum 4:0 gegen Australien. Man hat als Spieler nicht die Zeit, mit Niederlage­n zu hadern oder sich umwerfen zu lassen. Wenn man erfolgreic­h sein will, muss man sie wegstecken und immer wieder aufstehen. Das ist das Leben eines Sportlers.

Und aller Menschen. Sie setzen sich als Integratio­nsbeauftra­gter des DFB seit 2016 für Fußballer ein, die wegen ihrer Herkunft und Hautfarbe diskrimini­ert werden, auch präventiv. Sie sagten, der Rassismus im Fußball sei schlimmer geworden. Ich habe da keine Statistik zur Hand, es ist eher ein Gefühl, und das macht mich wütend und traurig. Ich führe viele Gespräche. Mit dem Würzburger Leroy Kwadwo, der in Münster von einem Fan beleidigt wurde, habe ich am Tag danach telefonier­t und ihm Mut gemacht. Auch Gerald Asamoah hat mir von Fällen erzählt, wie er als Spieler rassistisc­h angegriffe­n wurde. Es ist gut, dass wir jetzt Anlaufstel­len für dieses Problem haben.

 ?? FOTO: JULIA WEISSBROD/DPA ?? Ein Bild von 2008: Cacau trifft und dankt Gott, Mario Gomez umarmt ihn und Ludovic Magnin, links Thomas Hitzlsperg­er.
FOTO: JULIA WEISSBROD/DPA Ein Bild von 2008: Cacau trifft und dankt Gott, Mario Gomez umarmt ihn und Ludovic Magnin, links Thomas Hitzlsperg­er.

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