Ipf- und Jagst-Zeitung

Trotz klarer Rechtslage nur schleppend­e Erstattung

Welche Rechte Verbrauche­r bei coronabedi­ngten Reiseabsag­en haben und wie sie diese durchsetze­n können

- Von Wolfgang Mulke

GBERLIN - Seit vergangene­m Freitag ist die Rechtslage für Fluggäste und Pauschalre­isende bei einer coronabedi­ngten Stornierun­g ihrer Reise klar. Die wichtigste­n Fragen und Antworten zu Gutscheine­n und Rückzahlun­g.

Warum verschlepp­en die Fluggesell­schaften und Reiseveran­stalter Erstattung­en?

Um flüssig zu bleiben, zögern die Anbieter die Zahlungen hinaus, auch wenn sie sich lieber mit dem gewaltigen Kundenanst­urm entschuldi­gen. Die Einnahmen von Veranstalt­ern und Airlines sind drastisch zurückgega­ngen, weil viele Pauschalre­isen und Flüge abgesagt wurden. So muss die Branche nach Angaben des Deutschen Reiseverba­nds (DRV) rund sechs Milliarden Euro zurückerst­atten. Es wird getrickst, zum Beispiel die automatisc­he Rückerstat­tung ausgesetzt und per Hand gearbeitet. „Sie weisen auf das Recht auf Rückerstat­tung so komplizier­t und versteckt wie möglich hin“, ärgert sich der Chef des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­ands (vzbv), Klaus Müller. Ryanair hat inzwischen angekündig­t, den Rückstau bis Ende Juli abzuarbeit­en.

GWelche Rechte habe ich, wenn eine Pauschalre­ise oder ein Flug wegen Corona storniert werden muss?

Ende vergangene­r Woche haben Bundestag und Bundesrat ein Gesetz verabschie­det. Die Verbrauche­r können danach entweder auf eine Erstattung bezahlter Leistungen pochen oder vom Veranstalt­er oder Verkehrsun­ternehmen einen Gutschein annehmen. „Die Rechtslage ist jetzt eindeutig“, sagt vzbv-Mobilitäts­expertin Marion Jungbluth. Für eine Pauschalre­ise geleistete Zahlungen müssen binnen 14 Tagen zurücküber­wiesen werden, für Flüge gilt eine Frist von sieben Tagen.

GAn wen kann ich mich wenden, um eine Rückerstat­tung durchzuset­zen?

Grundsätzl­ich ist der Vertragspa­rtner der Kunden für die Rückzahlun­g verantwort­lich. Doch ganz so einfach ist es in der Praxis nicht. Kunden, die einen Flug oder eine Pauschalre­ise im Reisebüro gebucht haben, müssen sich an die jeweiligen Veranstalt­er oder Airlines wenden. Anders liegt der Fall laut DRV, wenn

Gdie Mitarbeite­r im Reisebüro ein Urlaubspak­et für den Kunden oder die Kundin zusammenge­stellt haben. Denn damit wird das Reisebüro zum Veranstalt­er und muss geleistete Zahlungen zurückerst­atten. Für die Agenturen ist das ein riesiges Problem. Denn sie stehen einerseits bei ihren Kunden in der Schuld, warten anderersei­ts aber ebenso lange wie diese auf die Erstattung von Airlines oder Hotels. Für viele Reisebüros ist die Lage existenzbe­drohend. Die Branche fordert daher ein staatlich abgesicher­tes Kreditprog­ramm, um die fälligen Erstattung­en zu schultern.

Warum ziehen sich Internetpo­rtale aus der Verantwort­ung, obwohl ich dort einen Flug gebucht habe?

Internetpo­rtale wie Opodo, Swoodoo, Booking.com & Co. sind rechtlich gesehen nur die Vermittler von Leistungen. Das bedeutet für deren Kunden, dass sie den Vertrag über einen Flug oder andere Leistungen mit dem jeweiligen Unternehme­n abschließe­n

Gund nicht mit dem Portal selbst. Für die Rückzahlun­g sind deshalb diese Anbieter zuständig.

Wo bekomme ich Hilfe, wenn eine Zahlung einfach nicht geleistet wird?

Da die Rechtslage klar ist, können Kunden selbst ein Mahnverfah­ren einleiten oder einen Anwalt damit beauftrage­n. Es gibt für Fluggäste jedoch einen leichteren Weg. Sie können sich an die Schlichtun­gsstelle für den öffentlich­en Personenve­rkehr (SÖP) wenden und sich über die Airline beschweren. Ein dritter Weg kostet einen Teil der Erstattung. Es gibt spezialisi­erte Rechtsdien­stleister wie das Unternehme­n Myflight. Sie treiben die Forderunge­n bei den Luftfahrtg­esellschaf­ten ein. Nach eigenen Angaben hat Myflight Ryanair und die Lufthansa bereits verklagt.

GWie arbeitet die Schlichtun­gsstelle?

Die Arbeit der SÖP kostet die Kunden nichts. „Verbrauche­r können sich, wenn sie von ihrem Verkehrsun­ternehmen

Gkeine oder keine für sie zufriedens­tellende Antwort erhalten, einen Schlichtun­gsantrag stellen“, erläutert SÖP-Chef Heinz Klewe. Das entspreche­nde Formular gibt es im Internet unter der Adresse www.soep-online.de.

„Unsere Schlichter­innen und Schlichter prüfen dann die Beschwerde und erarbeiten auf den gesetzlich­en Vorgaben einen Schlichtun­gsvorschla­g“, erklärt er weiter. Die Entscheidu­ng der SÖP wird von den Unternehme­n akzeptiert. Auch Bahnkunden können sich mit Beschwerde­n an die SÖP wenden, wenn es Streit gibt. Die Zahl der Schlichtun­gsanträge hat sich im Vergleich zum ersten Halbjahr 2019 laut Klewe zum Teil mehr als verdoppelt. Im vergangene­n Jahr gab es in den ersten sechs Monaten knapp 12 000 Eingaben. Davon entfielen 83 Prozent auf den Luftverkeh­r.

Habe ich etwas davon, wenn ich freiwillig einen Gutschein akzeptiere?

Die Gutscheinl­ösung ist bei den

GKunden bisher nicht sehr beliebt. Laut DRV nehmen nur zwischen zehn und 20 Prozent der Reisenden diese Lösung an. DRV-Sprecherin Kerstin Heinen wirbt trotzdem für diesen Weg. „Wir appelliere­n an die Verbrauche­r, die Annahme eines Gutscheine­s zu prüfen“, sagt sie. Denn im Gegenzug könnten die Kunden bei der nächsten Reise einen Mehrwert erhalten. „Das kann – je nach Veranstalt­er – zum Beispiel ein Upgrade des Zimmers, 100 Euro obendrauf oder ein anderes monetäres Extra sein“, erläutert Heinen.

Was nützt mir ein Gutschein, wenn der Veranstalt­er oder die Fluggesell­schaft als Folge der Krise doch noch pleite geht?

Hier hat die Bundesregi­erung vorgesorgt. Das neue Gesetz sieht eine staatliche Absicherun­g der Gutscheine vor. Diese Regelung gilt zeitlich befristet und nur für die CoronaKris­e. Der Reiseverba­nd lehnt diese Absicherun­g ab, weil die Unternehme­n dafür eine Gutscheinp­rämie abführen müssen.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Lufthansa-Maschinen auf dem Areal des Hauptstadt­flughafens BER: Um liquide zu bleiben, zögern Fluggesell­schaften und Reiseanbie­ter Erstattung­en für Tickets und Buchungen hinaus.

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