Ipf- und Jagst-Zeitung

Eine poetische Instanz

Die Lyrikerin Elke Erb wird mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeich­net

- Von Welf Grombacher

GDARMSTADT - Elke Erb und ihr Mann, der Schriftste­ller Adolf Endler (19302009), waren bestens vernetzt in der subversive­n Literaturs­zene der DDR. Mit Gegebenhei­ten hat sich die inzwischen 82-jährige Lyrikerin nie abgefunden – weder mit den politische­n noch mit denen der Sprache. Das macht sie zu einer poetischen Instanz. „Ich habe den Verhältnis­sen gekündigt,/ sie waren falsch“, schrieb sie 1965. Sie ist ein kritischer Geist. Ihr Dichter-Kollege Volker Braun nannte sie einmal ihres literarisc­hen Temperamen­tes wegen die „Flip-out-Elke“.

„Elke Erb gelingt es wie keiner anderen, die Freiheit und Wendigkeit der Gedanken in der Sprache zu verwirklic­hen, indem sie sie herausford­ert, auslockert, präzisiert, ja korrigiert“, heißt es in der Begründung der Jury. „Für die unverdross­ene Aufkläreri­n ist

Poesie eine politische und höchstlebe­ndige Erkenntnis­form.“Der mit 50 000 Euro dotierte Georg-BüchnerPre­is, der als wichtigste Auszeichnu­ng des deutschen Literaturb­etriebs gilt, wird ihr am 2. November in Darmstadt verliehen. Keine Frage: Elke Erb ist eine würdige Preisträge­rin. Dem Namensgebe­r, der selbst ein temperamen­tvoller Revolution­är war, hätte die Konsequenz dieser Dichterin sicher gefallen.

Die Literatur wird ihr schon in die Wiege gelegt. Weil der Vater Ewald Erb, Literaturw­issenschaf­tler und überzeugte­r Marxist, glaubt, den Sozialismu­s mit aufbauen zu müssen, geht er 1949 in die DDR und holt seine Familie nach Halle nach. Die 1938 in Scherbach in der Eifel geborene Elke, die mit Defoes „Robinson Crusoe“die Insel der Literatur für sich entdeckt hat, ist da gerade elf Jahre alt. Ein Lehramtsst­udium absolviert sie, weil der Vater es so will. Das aber ist nichts für sie. Also geht sie zum Mitteldeut­schen Verlag und wird Lektorin. „Nach zwei Jahren habe ich dort gekündigt. Denn ich war nach dem ersten Jahr in der

Nervenklin­ik und nach dem zweiten auch“, wird sie später in ihrer unverkennb­aren Art über die Zeit sagen. Sinnlos sei es gewesen: „Ich wollte eigentlich leben – und dann haben die solche unsinnigen Manuskript­e gedruckt. Es war ein Parteiverl­ag.“

Bevor sie geht aber bringt sie mit Karl Mickel und ihrem späteren Ehemann Adolf Endler 1966 die Anthologie „In diesem besseren Lande“heraus. Immer wieder wird sie als Herausgebe­rin aktiv („Jahrbuch der Lyrik“), übersetzt Autorinnen wie Marina Iwanowna Zwetajewa oder Olga Martynova oder tritt mit Nachdichtu­ngen in Erscheinun­g. In ihrem Herzen aber ist sie Dichterin. Ihre Verse zeichnen sich aus durch eine unermüdlic­he Lust am Spiel, flirrenden Humor und untergründ­ige Ironie. „Die Sprache“, davon ist sie überzeugt, „ist ein lebendiges Ding und nicht etwas, was schon festgelegt ist.“1968 veröffentl­icht sie ihre ersten Gedichte und heiratet Endler. Mit dem Band „Gutachten“, der Poesie und Prosa enthält, erscheint 1975 ihr erstes Buch. Ihr bekanntest­es Werk aber wird der Band „Kastaniena­llee“(1987).

Von der Welt entrückt in ihrer Wahlheimat Wuischke in der Lausitz und in Berlin baut sie sich eine Insel aus Versen. Weltfremd ist sie deswegen nicht. Sie begreift sich durchaus als politische Schriftste­llerin. „Ich schreibe über Themen, wo es schmerzt. Bei Politik schmerzt es sowieso. Aber es ist wiederum nicht so, dass die anderen Texte eine heile Welt haben.“Konflikte scheut sie nie. Sie sympathisi­ert mit der Friedensbe­wegung und protestier­t 1983 gegen die Ausbürgeru­ng des Bürgerrech­tlers Roland Jahn. Sie selbst wird von der Staatssich­erheit observiert. Als sie Anfang der 80er-Jahre einen Sammelband mit den jungen Wilden vom Prenzlauer Berg herausgebe­n will, wird das verboten. „Ich weiß noch, dass der Verlagslek­tor fragte, ob diese jungen Autoren Versager seien gegenüber der Realität. Und ich sagte: Nein, die Realität hat versagt.“Die Anthologie „Berührung ist nur eine Randersche­inung“darf 1985 nur in der Bundesrepu­blik erscheinen.

Tagebuchno­tizen bilden oft den Ausgangspu­nkt für Elke Erbs poetische Erkundunge­n. An die 30 Bücher hat sie bis heute veröffentl­icht. Zuletzt 2019 den Band „Gedichtver­dacht“. Sie hat den Peter-Huchel(1988) und mit ihrem ehemaligen Mann Adolf Endler den HeinrichMa­nn-Preis (1990) verliehen bekommen, den Ernst-Jandl-Preis (2013) und das Bundesverd­ienstkreuz (2019). Jetzt also der Büchner-Preis. Gar nicht mal schlecht für eine, die so früh schon den Verhältnis­sen gekündigt hat.

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FOTO: IMAGO IMAGES Elke Erb

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