Wenn der Lohn nicht gezahlt wird
Tipps für Arbeitnehmer, deren Arbeitgeber in Zahlungsverzug geraten
GSTUTTGART - Wenn der Arbeitgeber mit dem Lohn nicht rüberkommt, kann das der Vorbote einer Pleite sein. Knapp 20 000 Insolvenzen von Unternehmen wurden 2019 registriert – im Jahr 2020 werden es als Folge der Corona-Krise wohl weit mehr sein. Wenn Arbeitnehmer nicht aufpassen, werden sie durch eine Pleite des Arbeitgebers gleich doppelt geschädigt: Sie verlieren nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern auch noch ausstehenden Lohn.
Arbeitgeber müssen den Lohn für die erbrachte Arbeit zum vereinbarten Termin zahlen. Tun sie dies nicht, sondern erst ein paar Tage oder gar Monate später, geraten sie in Verzug. Und sie müssen nachträglich nicht nur den Lohn einschließlich Verzugszinsen zahlen, sondern auch für den Schaden aufkommen, der durch die ausbleibende Zahlung entsteht.
Der Schaden kann beträchtlich sein. Gegebenenfalls können die Arbeitnehmer laufenden Verpflichtungen wie Mietzahlungen nicht nachkommen. Oft sind sie gezwungen, ihr Konto zu überziehen oder einen Kredit aufzunehmen – und möglicherweise platzen Kredite der Betroffenen, weil sie ihre Zahlungsverpflichtung nicht erfüllen.
Der Arbeitgeber muss den Betroffenen dann den hierdurch entstandenen Schaden ersetzen – und dabei kann es durchaus um beträchtliche Summen gehen. Der Schadenersatz kann vor dem Arbeitsgericht eingeklagt werden.
Beispielsweise befand das Landesarbeitsgericht (LAG) RheinlandPfalz am 24. September 2014 über einen Fall, in dem ein Arbeitnehmer, der – weil der Lohn seines Arbeitgebers ausblieb – die Zahlung auf sein Immobiliendarlehen nicht leisten konnte, woraufhin die finanzierende Bank das Haus zwangsweise versteigerte. Der Arbeitnehmer machte daraufhin den Mindererlös der Zwangsversteigerung nebst Zwangsversteigerungskosten als Verzugsschaden geltend. Zu Recht befand das LAG, das die Entscheidung der Vorinstanz damit bestätigte. Der
Vermögensschaden, der dem Betroffenen entstanden war, wurde dabei auf 70 000 Euro beziffert (Az.: 2 Sa 555/14).
In den meisten Fällen dürfte der durch den Lohnausfall entstandene Schaden natürlich geringer sein. So hatte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf am 27. Mai 2020 über die Klage einer Arbeitnehmerin auf Schadensersatz für zu niedrig ausgefallenes Elterngeld zu entscheiden. Das LAG befand die Schadenersatzklage einer zahnmedizinischen Arbeitnehmerin für rechtens, deren monatliches Elterngeld um 71,45 Euro niedriger ausgefallen war, weil der sie beschäftigende Zahnarzt ihren Lohn erst Monate verspätet gezahlt hatte (Az.: 12 Sa 716/19). Der Arbeitgeber musste den größten Teil davon für jeden Monat des Elterngeld-Bezugs zuschießen.
Wenn der Lohn deutlich unpünktlich gezahlt wird und erst recht dann, wenn der Lohn monatelang ausbleibt, fahren Arbeitnehmer in jedem Fall besser, wenn sie zunächst einmal vom schlimmsten Fall ausgehen: der drohenden Insolvenz. Für diesen Fall gibt es eine Art „Fallschirm“: das so genannte Insolvenzgeld, das den ausfallenden Lohn in der Regel komplett ersetzt. Das Insolvenzgeld wird auf Antrag des Arbeitnehmers von der Bundesagentur für Arbeit gezahlt.
Der Begriff „Insolvenzgeld“ist missverständlich. Das Geld wird nämlich nicht während der Insolvenz gezahlt, sondern für die Monate davor. Die Leistung müsste eigentlich „Vor-Insolvenz-Geld“heißen. Die Ämter springen für Ansprüche der Arbeitnehmer aus den drei Monaten vor der Insolvenz ein. Keinesfalls zahlen sie aber für Arbeitsentgelt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die Leistung wird vielmehr erst gezahlt, wenn es tatsächlich zu einer Insolvenz gekommen ist.
Praktische Konsequenz dieser Regelung für Arbeitnehmer ist: Bei mehr als drei Monaten Zahlungsrückstand droht der Totalverlust älterer Ansprüche. Niemals sollte man daher einem Arbeitgeber mehr als zwei Monate Zeit geben, um ausstehendes Arbeitsentgelt zu begleichen.
Im Standardfall umfasst der so genannte Insolvenzgeldzeitraum die letzten drei Monate vor der Pleite. Häufig ziehen sich entsprechende Unternehmenskrisen allerdings länger hin. Da wird in einem Monat etwa kein Gehalt überwiesen, im Folgemonat aber wieder – und dann wieder nicht. Folgendes Beispiel zeigt, wie dann gerechnet wird: Ein Arbeitgeber zahlt im Februar kein Gehalt, im März wird Gehalt überwiesen, im April und Mai nicht. Am 1. Juni meldet die Firma Insolvenz an. Der Insolvenzgeldzeitraum umfasst in diesem Fall standardmäßig die Zeit vom 1. März bis zum 31. Mai. Ausstehender Lohn aus diesem Zeitraum wird durch das Insolvenzgeld ersetzt. Der Februar liegt außerhalb dieses Zeitraums. Dennoch ist der Februar-Lohn in diesem Fall nicht verloren.
Für solche Fälle regeln die Weisungen der Bundesagentur für Arbeit unter dem Stichwort „Abschlagszahlungen“, dass Zahlungen des Arbeitgebers in der Dreimonatsfrist vor der Insolvenz „vorrangig“auf Ansprüche des Arbeitnehmers anzurechnen sind, die „vor dem Insolvenzgeldzeitraum liegen“. Im Beispielsfall würde das bedeuten: Die März-Zahlung des Arbeitgebers wird zunächst auf die Lohnansprüche des Arbeitnehmers vom Februar angerechnet. Damit hat der Betroffene im kompletten Insolvenzgeldzeitraum keinen anrechenbaren Lohn erhalten. Der ausgefallene Lohn für diesen Zeitraum wird damit durch das Insolvenzgeld vollständig ausgeglichen. Dies gilt selbst dann, wenn auf dem Überweisungsbeleg „Gehalt März“steht und auf der zugehörigen Lohnabrechnung das März-Gehalt ausgewiesen wird. Die Bundesagentur für Arbeit folgt hier einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. Juni 2002 (Az.: B 11 AL 90/01 R) zum damaligen Konkursausfallgeld. Das BSG wiederum hatte sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs angeschlossen (Urteil vom 14. Juli 1998, Az.: C-125/97).