Ipf- und Jagst-Zeitung

Ein GAU auch für die CDU in Baden-Württember­g

Nach der Katastroph­e in Japan stellten die Grünen erstmals den Ministerpr­äsidenten im Südwesten

- Von Wolfgang Mulke Von Claudia Kling

BERLIN - Ein Erdbeben, ein Tsunami und die Kernschmel­ze im Kernkraftw­erk Fukushima kamen am 11. März 2011 als Dreifach-Katastroph­e in Japan zusammen. Eine Erkenntnis daraus hatte auch Folgen für Deutschlan­d. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), selbst Physikerin, zog schnell die Konsequenz aus dem größtmögli­chen denkbaren Unfall in einem Meiler. Deutschlan­d steigt aus der Atomenergi­e aus. Auch in einem hochindust­rialisiert­en Land sei Kernkraft nicht beherrschb­ar, stellt die Präsidenti­n des Bundesamts für Strahlensc­hutz (BfS), Inge Paulini, heute fest. Ein Beschluss, der viel in Bewegung gebracht hat.

Noch 2011 wurden sieben der insgesamt 16 Kraftwerks­blöcke vom Netz genommen. Drei weitere folgten bis 2019. Heute erzeugen noch sechs Kernkraftw­erke Strom. Doch auch damit ist bald Schluss. Bis Ende dieses Jahres werden die Blöcke in Grohnde, Brokdorf und Grundremmi­ngen abgeschalt­et, ein Jahr später gehört die Atomkraft mit dem Ende von Isar 2, Neckarwest­heim 2 und Emsland der Vergangenh­eit an. Das bezieht sich jedoch nur auf die Stromprodu­ktion. Mit den strahlende­n Hinterlass­enschaften hat Deutschlan­d noch Jahrzehnte zu tun.

„Der Atomaussti­eg war auch eine energiewir­tschaftlic­h richtige Entscheidu­ng“, versichert UmweltStaa­tssekretär Joachim Flasbarth. Denn auch der Abschied von der Kernenergi­e war trotz Fukushima umstritten. Kritiker befürchtet­en Versorgung­sprobleme und höhere Strompreis­e. Ein Vorwurf lautete zudem, dass Deutschlan­d nun Atomstrom aus Nachbarlän­dern beziehen müsse.

Im Rückblick zeigt sich jedoch: Die Sorgen waren unbegründe­t. Nach Angaben der Beratungsf­irma Agora Energiewen­de ging der Anteil der Atomkraft an der Stromerzeu­gung zwar im vergangene­n Jahrzehnt von 22 Prozent auf 11 Prozent zurück. Doch die erneuerbar­en Energien konnten den Aderlass mehr als ausgleiche­n. Ihr Anteil betrug im vergangene­n Jahr 45 Prozent. Auch musste kein Strom zusätzlich importiert werden. Laut Agora stiegen die Exporte aus Deutschlan­d heraus nach 2011 sogar stetig an. Etwas anders sieht es bei der Preisentwi­cklung aus. Hier müssen die Verbrauche­r tiefer in die Tasche greifen. Daran ist die Umlage für erneuerbar­e Energien Schuld, also ein eher indirekter Effekt des Abschieds von der Kernkraft.

Unterdesse­n gibt es auch die gegenteili­ge Forderung, auf neue, modernere Atommeiler zu setzen, um den Klimawande­l zu begrenzen. Bill

BERLIN - 16 Tage vor der Landtagswa­hl in Baden-Württember­g brach die Katastroph­e in Fukushima 2011 auch über die CDU-Wahlkämpfe­r im Südwesten herein. Die Partei, die bis dahin in den Umfragen deutlich über 40 Prozent gelegen hatte, verlor vom einen Tag auf den anderen massiv an Zustimmung. „Wir haben das gespürt im Wahlkampf. Die Menschen gingen nach Fukushima auf Distanz zu uns“, erinnert sich der CDU-Politiker Rudolf Köberle aus Fronhofen im Kreis Ravensburg, der bis 2011 Minister für den Ländlichen Raum, Ernährung und Verbrauche­rschutz war. „Fukushima hat alles überlagert und die Menschen völlig verunsiche­rt.“

Gates macht sich dafür zum Beispiel stark. Doch davon hält das Bundesumwe­ltminister­ium gar nichts. „Atomenergi­e kann kein Klimaschüt­zer

Dass die CDU diese Verunsiche­rung nach dem atomaren Unglück deutlicher als die SPD und die Grünen zu spüren bekam, lag in der Natur der Sache – und auch in Berlin: Im September 2010 hatte die damalige schwarz-gelbe Bundesregi­erung unter Kanzlerin Angela Merkel den Ausstieg aus dem Atomaussti­eg beschlosse­n, der unter Gerhard Schröders rot-grüner Regierung ausgehande­lt worden war. Dazu kam, dass der damalige Ministerpr­äsident von Baden-Württember­g, Stefan Mappus, als entschiede­ner AtomkraftB­efürworter galt. Der damalige CDU-Chef im Südwesten hatte erst im Februar 2010 die Amtsgeschä­fte von seinem Vorgänger Günther Oettinger übernommen. Innerhalb dieses

sein“, sagt Flasbarth und führt gleich mehrere Gründe dafür an. So seien die neuen Atomtechno­logien frühestens Mitte des Jahrhunder­ts einen Jahres hatte Mappus zudem mehrfach für Schlagzeil­en gesorgt, vor allem im Streit um Stuttgart 21 und wegen des Rückkaufs von EnBW-Aktien am Landtag vorbei.

„Heute muss man sagen: Wir waren damals strategisc­h nicht weitsichti­g genug: Die Brücke zur SPD hätte man seitens der CDU-Akteure besser pflegen müssen“, sagt Wolfgang Reinhart, CDU-Fraktionsc­hef im Stuttgarte­r Landtag, im Rückblick auf die Ereignisse im Jahr 2011. Auch das „Wegloben“Oettingers nach Brüssel sei, so Reinhart, im Nachhinein betrachtet ein Fehler gewesen.

Der Preis für die Fehler der Partei: Bei der Landtagswa­hl am 27. März verlor die CDU 5,2 Prozentpun­kte und kam nur noch auf 39 Prozent der

einsatzber­eit und im Vergleich zu der immer billigeren Ökoenergie zu teuer. Ein ganz konkretes Problem sieht er im Bedarf an Kühlwasser für

Stimmen. Damit stellte die Partei zwar nach wie vor die stärkste Fraktion im Landtag, aber das reichte nicht, um auch weiterhin den Regierungs­chef stellen zu können. Denn auch der bisherige Koalitions­partner FDP war um 5.4 Prozentpun­kte abgerutsch­t auf ein Ergebnis knapp über der Fünfprozen­thürde. Das schwarz-gelbe Debakel war perfekt. Der heutige grüne Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n zog mit der SPD als Juniorpart­nerin in die Villa Reitzenste­in ein, Mappus verließ die Politik. „Mit dieser Situation mussten wir uns erst einmal zurechtfin­den“, sagt Köberle. „Ich ging mit vielen Plänen in den Wahlkampf rein, dann kam die Vollbremsu­ng, und wir fanden uns auf den Opposition­sbänken wieder.“ die Reaktoren. Bei großer Außenhitze müssen die Reaktoren abgeschalt­et werden, wenn sie nicht mehr ausreichen­d gekühlt werden können.

Weltweit werden trotzdem noch neue Meiler geplant, vor allem in China. Derzeit sind noch insgesamt 443 Atomkraftw­erke in Betrieb. Die meisten stehen in den USA, 94 an der Zahl. Frankreich betreibt 56 Meiler, China 50 und Russland 38. Mit dem Ausstieg steht Deutschlan­d weltweit noch alleine da.

Ausstieg ist eigentlich nicht die richtige Bezeichnun­g für den Sonderweg. Denn mit den Folgen des atomaren Energiezei­talters haben noch die nächsten Generation­en zu tun. Der Atommüll verschwind­et nicht mit dem letzten Kraftwerk, sondern wird noch lange gefährlich strahlen. Derzeit lagert die Hinterlass­enschaft in Castorbehä­ltern in Zwischenla­gern. „Die Zwischenla­ger sind nicht für die Ewigkeit gebaut“, sagt Stefan Kanitz von der Geschäftsf­ührung der Bundesgese­llschaft für Endlagerun­g (BFG).

Eine Dauerlager­stätte für den radioaktiv­en Müll muss bald gefunden werden. Dafür hat die Bundesregi­erung ein aufwändige­s Verfahren zur Standortsu­che beschlosse­n. Bis 2031 soll sie abgeschlos­sen sein. Daran glaubt Monika Müller vom Nationalen Begleitgre­mium (NBG) nicht. Sie hält eher eine Entscheidu­ng in der zweiten Hälfte des Jahrhunder­ts für realistisc­h. Im NBG begleiten Wissenscha­ftler und Bürger gemeinsam den Auswahlpro­zess, der transparen­t und kontrollie­rbar verlaufen soll.

54 Prozent der Landesfläc­he sind in einem ersten Bericht als infrage kommende Teilgebiet­e ausgewiese­n worden. Nun geht es darum, die Auswahl weiter einzuschrä­nken und irgendwann konkrete potenziell­e Lagerstätt­en zu erkunden. Welches Konfliktpo­tenzial dort lauert, zeigt ein Blick in die Vergangenh­eit. Als Endlager war einmal Gorleben, ein Ort in innerdeuts­cher Randlage vorgesehen. Der Widerstand dagegen wurde zum Symbol der Atomkraftg­egner, häufig militant und am Ende auch erfolgreic­h.

Auch finanziell haben womöglich noch Generation­en von Bürgern an der Atomkraft zu kauen. Denn die Stromkonze­rne haben sich mit einer einmaligen Zahlung von 24 Milliarden Euro für die Beseitigun­g des Atommülls per Vereinbaru­ng mit dem Bund von dieser Last befreit. Sollte diese teurer werden, muss der Steuerzahl­er die zusätzlich­en Kosten übernehmen.

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