Ipf- und Jagst-Zeitung

Zunehmende Ungleichhe­it

Laut Studie verschärft Corona die soziale Spaltung

- Von Hannes Koch

BERLIN - Massive Geldproble­me, Arbeitslos­igkeit, Freistellu­ngen: Die Corona-Pandemie hat Menschen mit geringem Einkommen besonders hart getroffen – und droht die Ungleichhe­it in Deutschlan­d weiter zu verschärfe­n. Dies geht aus einem umfassende­n Sozialberi­cht hervor, den das Statistisc­he Bundesamt am Mittwoch gemeinsam mit dem Wissenscha­ftszentrum Berlin für Sozialfors­chung (WZB) und dem Bundesinst­itut für Bevölkerun­gsforschun­g (BiB) veröffentl­ichte. Für den Datenrepor­t 2021 wurden amtliche Statistike­n mit empirische­n Befunden der Sozialfors­chung kombiniert.

Oft stammen die neuesten verfügbare­n Zahlen von 2018. Wegen der Corona-Krise haben sich die Fachleute aber auch aktuellere Einblicke ins Jahr 2020 verschafft. So müsse man davon ausgehen, dass die soziale Ungleichhe­it durch die Pandemie zunehme, erklärte WZB-Chefin Jutta Allmending­er. Beschäftig­te mit niedrigen Einkommen wurden eher arbeitslos oder in Kurzarbeit geschickt als Leute mit höheren Verdienste­n. Hinzu kommen Bildungspr­obleme: Viele Kinder in ärmeren Haushalten haben keine Laptops oder Tablets, weshalb sie schlechter am Distanzunt­erricht teilnehmen können.

Der Report verzeichne­t jedoch nicht nur schlechte Nachrichte­n zur sozialen Lage. Eine gute: 2018 ging die relative Armut in Deutschlan­d leicht zurück. „15,8 Prozent der Bevölkerun­g, fast jede sechste Person, lebte unterhalb der Armutsschw­elle“, sagte WZB-Experte Philip Wotschack. Diese wird bei 60 Prozent des mittleren Haushaltsn­ettoeinkom­mens der Bevölkerun­g definiert. Als armutsgefä­hrdet galt eine Einzelpers­on für 2018, wenn sie weniger als 1040 Euro monatlich zur Verfügung hatte. Im Vergleich zu 2017 (16 Prozent) nahm diese Bevölkerun­gsgruppe leicht ab.

Die Entwicklun­g zeigt sich auch in den Zahlen für einzelne Bundesländ­er. Von 2017 auf 2018 sank beispielsw­eise die Armutsquot­e in BadenWürtt­emberg von 12,1 auf 11,9 Prozent, in Nordrhein-Westfalen von 18,7 auf 18,1, in Bremen von 23 auf 22,7 Prozent.

In den Jahrzehnte­n zuvor war die Armut deutlich gewachsen. In den 1990er-Jahren lag sie nur bei zehn Prozent. Dann kamen die wirtschaft­sfreundlic­hen Reformen, unter anderem die Einführung von Hartz IV. Seit ein paar Jahren allerdings profitiere­n auch die untersten Einkommens­gruppen von Mindestloh­n, höheren Verdienste­n und niedriger Arbeitslos­igkeit. Ein differenzi­erteres Bild ergibt sich, wenn man neben der Verteilung der Einkommen auch die Verteilung der Vermögen betrachtet. Die kombiniert­e Armutsquot­e der Menschen, die in beider Hinsicht arm sind, liegt dann nur bei etwa zehn Prozent, sagte Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW). Eine Erklärung: Ältere Leute erhalten vielleicht eine sehr kleine Rente, leben aber im eigenen Haus, was ihre soziale Lage erheblich verbessert.

Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass die Verteilung von Wohlstand und Reichtum in Deutschlan­d sehr ungleich ist. Die ärmere Hälfte der Bundesbevö­lkerung besitzt kaum Kapital- und Immobilien­vermögen, während sich zwei Drittel der Werte bei den wohlhabens­ten zehn Prozent der Haushalte konzentrie­ren. Und dem reichsten einen Prozent der Bevölkerun­g gehört alleine knapp ein Drittel aller Vermögen.

Trotz gewisser positiver Entwicklun­gen „haben sich die Armutsrisi­ken in den vergangene­n Jahren verfestigt“, sagte Wotschack. Haushalte, die einmal arm sind, können sich schwerer hocharbeit­en. Eine politische Ursache liegt wohl darin, dass benachteil­igte Schülerinn­en und Schüler zu wenig gefördert werden.

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