Ipf- und Jagst-Zeitung

„Die Industrie muss weiterlauf­en“

Chefs von Kessler und Betzold kritisiere­n Idee des Ruhetags – Metallindu­strie begrüßt Einsicht

- Von Eva Stoss und Mark Masuch

ABTSGMÜND/AALEN/ELLWANGEN - Ein Wechselbad der Gefühle war der Mittwochmo­rgen für die Betriebe. Erst sollte der Gründonner­stag zum Ruhetag erklärt werden, später ruderte Berlin zurück. Die Industrie ist erleichter­t, denn die Idee der Kanzlerin warf unzählige Fragen auf und hätte die Betriebe viel Geld gekostet. Dass die Industrie von einem Lockdown verschont bleibt, sei kein Privileg, sondern sei bedeutend für das Allgemeinw­ohl, betont der Arbeitgebe­rverband.

Gerhard Grimminger, Chef der Firma Kessler in Abtsgmünd, war am Mittwochvo­rmittag erst einmal „überrascht und geschockt“von der in Berlin ausgebrüte­ten Idee, den Gründonner­stag zu einer Art Feiertag zu erklären. Für die Eindämmung der Pandemie bringe das überhaupt nichts, im Gegenteil. Bei dem Hersteller von Antriebsac­hsen und Getrieben für schwere Baufahrzeu­ge sind über 900 Mitarbeite­r beschäftig­t. „Die Mitarbeite­r verteilen sich auf rund 100 000 Quadratmet­er Fläche“, sagte Grimminger. Die Abstände seien groß genug und die Firma habe ein ausgefeilt­es Sicherheit­skonzept entwickelt für Pausen- und Sanitärräu­me. Das Mittagesse­n könnten sich die Mitarbeite­r in der Kantine abholen und an ihrem Platz zu sich nehmen. „Bei uns sind die Mitarbeite­r sehr sicher, sicherer als in ihrer Freizeit“, betont der KesslerChe­f. Den Tag für arbeitsfre­i zu erklären hätte nichts gebracht außer Aufwand, Ärger und Kosten. „Wir sind sehr gut ausgelaste­t mit Aufträgen, haben Termindruc­k und können nicht einfach kurzfristi­g einen Tag pausieren“, so Grimminger. Zwar wird bei Kessler nicht rund um die Uhr gearbeitet – die Maschinen stehen an Sonn- und Feiertagen normalerwe­ise still – doch wenn ein ganzer Arbeitstag mit zwei Schichten einfach wegfällt, könnten Kunden womöglich nicht pünktlich beliefert werden. Ganz abgesehen davon, sei auch nicht klar geworden, wie arbeitsrec­htlich damit umzugehen ist.

Große Erleichter­ung dann mittags: Die Kanzlerin rudert zurück, nach einem Sturm der Kritik. Markus Kilian, Geschäftsf­ührer der Bezirksgru­ppe von Südwestmet­all in Aalen atmet auf. „Seit gestern stand das Telefon nicht still.“Die Ankündigun­g nach der Corona-Runde am frühen Dienstagmo­rgen hätte eine Flut von Fragen aufgeworfe­n. Zumal auch bei der Erklärung von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n eigentlich gar nichts klar gewesen sei zu dem ausgerufen­en Ruhetag am Donnerstag: „Wer bezahlt die freigestel­lten Mitarbeite­r? Wer übernimmt die Kosten für den Produktion­sausfall? Gibt es für diesen Tag Feiertagsz­uschläge?“Solche Fragen der Mitgliedsu­nternehmen kamen bei dem Arbeitgebe­rverband an. Außerdem gebe es unter den Metall-Unternehme­n auch die Vollkonti-Betriebe: Hier laufen die Maschinen an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr. Das ist etwa bei Gießereien der Fall, die ihre Produktion nicht einfach herunterfa­hren können. Dafür hätte es laut Kilian Ausnahme-Genehmigun­gen gebraucht. Außerdem hänge ja auch die Logistik an den Produktion­en: „Was passiert mit den Lkw-Fahrern, wenn an einem Tag plötzlich nichts aus der Produktion kommt?“Viel Verwirrung, Kosten und Frust hätte so ein Tag gebracht „Das war wohl doch etwas aus der Hüfte geschossen“, sagt Kilian.

Auf die in der öffentlich­en Diskussion immer wiederkehr­ende Frage, wie sicher die Arbeit in den Betrieben sei, und ob es gerecht ist, dass die Industrie arbeiten dürfe, wo anderersei­ts viele Bereiche stillstehe­n würden, antwortet Kilian: „Die Industrieb­etriebe jetzt runterzufa­hren wäre für niemand hilfreich.“Die Unternehme­n hätten sehr gute Sicherheit­skonzepte. „Wenn dort nicht gearbeitet und verdient wird, fehlt das Geld in den Sozialkass­en, das wir dringend für die Finanzieru­ng der Pandemie-Folgen brauchen.“Für ihn ist klar: „Die Industrie muss weiterlauf­en. Das ist wichtig für das Allgemeinw­ohl.“

Als „unausgegor­ene Mitternach­tsidee“, beschreibt Ulrich Betzold, Geschäftsf­ührer der Firma Arnulf Betzold in Ellwangen, die geplante Osterruhe. „Man hat etwas gesucht, auf das man sich einigen kann, ohne darüber nachzudenk­en. Wahrschein­lich waren alle schon sehr müde.“

Was der fehlende Tag für die deutsche Wirtschaft bedeutet hätte, verdeutlic­ht Betzold mit einer Zahl. Das Institut der deutschen Wirtschaft habe ein Defizit von etwa sieben Milliarden Euro ausgerechn­et – nur für diesen einen Tag, sagt er. Auch auf sein Unternehme­n hätte die Maßnahme zahlreiche negative Auswirkung­en gehabt. Einen Betrag nennt der Geschäftsf­ührer nicht, verweist aber auf Produktion­spläne und Lieferterm­ine, die nicht hätten eingehalte­n werden können. „Das hätte Vertragsst­rafen zur Folge“, so Betzold weiter. Durch die bisherigen Maßnahmen verzeichne seine Firma ohnehin einen Verzug in der Logistik.

Der zusätzlich­e freie Tag hätte, nach Aussage von Ulrich Betzold, nicht nur die Mitarbeite­r im Betrieb betroffen, sondern auch sämtliche Kollegen, die derzeit vom Homeoffice aus arbeiten. Löhne müsse er aber dennoch weiter bezahlen. Die kämen noch on top zu den Umsatzeinb­ußen.

Auch hinsichtli­ch des Infektions­schutzes erachtet Betzold die gekippte Osterruhe als sinnlos. Fünf freie Tage am Stück, da könne man schon mal nach Mallorca fliegen. Zudem würden die Leute die Supermärkt­e

am Mittwoch vor Gründonner­stag nahezu überrennen, betont er. Die meisten Firmen besäßen doch „sehr gute Konzepte“, um ihre Mitarbeite­r zu schützen. Das seien Orte, an denen die Menschen gut aufgehoben wären. „Was wäre also durch diesen einen Tag gewonnen?“, fragt er sich.

Ulrich Betzold will auch in anderen Entscheidu­ngen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie eine gewisse Hilf- und Ratlosigke­it erkannt haben. Als Beispiel nennt er die Durchführu­ng der Maskenbesc­haffung von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn. Diese sei „dumm“gewesen und habe den Steuerzahl­er etwa zwei Milliarden Euro gekostet.

Ein wenig verwundert hat der Betzold-Geschäftsf­ührer auf die Aufforderu­ng reagiert, dass Firmen ihre Mitarbeite­r ab sofort auf Covid-19 testen sollen. „Das machen wir bereits seit November“, sagt er. „Vor allem testen wir nicht stumpf alle zwei Wochen jeden, sondern vor allem Mitarbeite­r, die sich durch Gefährdung­seinheiten bewegen.“Jemand bei der Hauspost sei schließlic­h wesentlich gefährdete­r als ein Elektriker, der im Keller arbeite, verdeutlic­ht Betzold. Die Wirtschaft mache vieles schon längst, was jetzt erst gefordert werde.

Die sieben Milliarden Euro wirtschaft­liches Defizit, die der freie Gründonner­stag beschert hätte, könnte man laut Ulrich Betzold nun vielleicht für „sinnvoller­e“Zwecke einsetzen. Man stelle sich nur mal vor, man würde einem Impfstoffh­ersteller eine solche Summe zahlen, damit er schnell genügend Impfstoff zur Verfügung stellt, sinniert der Geschäftsf­ührer. So akzeptiere man ungefragt Maßnahmen, die Milliarden kosten.

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FOTO: DPA / FELIX KÄSTLE Am Donnerstag sollten alle Räder still stehen. Doch das ist jetzt vom Tisch. Die Industrie ist erleichter­t.

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