„Die Industrie muss weiterlaufen“
Chefs von Kessler und Betzold kritisieren Idee des Ruhetags – Metallindustrie begrüßt Einsicht
ABTSGMÜND/AALEN/ELLWANGEN - Ein Wechselbad der Gefühle war der Mittwochmorgen für die Betriebe. Erst sollte der Gründonnerstag zum Ruhetag erklärt werden, später ruderte Berlin zurück. Die Industrie ist erleichtert, denn die Idee der Kanzlerin warf unzählige Fragen auf und hätte die Betriebe viel Geld gekostet. Dass die Industrie von einem Lockdown verschont bleibt, sei kein Privileg, sondern sei bedeutend für das Allgemeinwohl, betont der Arbeitgeberverband.
Gerhard Grimminger, Chef der Firma Kessler in Abtsgmünd, war am Mittwochvormittag erst einmal „überrascht und geschockt“von der in Berlin ausgebrüteten Idee, den Gründonnerstag zu einer Art Feiertag zu erklären. Für die Eindämmung der Pandemie bringe das überhaupt nichts, im Gegenteil. Bei dem Hersteller von Antriebsachsen und Getrieben für schwere Baufahrzeuge sind über 900 Mitarbeiter beschäftigt. „Die Mitarbeiter verteilen sich auf rund 100 000 Quadratmeter Fläche“, sagte Grimminger. Die Abstände seien groß genug und die Firma habe ein ausgefeiltes Sicherheitskonzept entwickelt für Pausen- und Sanitärräume. Das Mittagessen könnten sich die Mitarbeiter in der Kantine abholen und an ihrem Platz zu sich nehmen. „Bei uns sind die Mitarbeiter sehr sicher, sicherer als in ihrer Freizeit“, betont der KesslerChef. Den Tag für arbeitsfrei zu erklären hätte nichts gebracht außer Aufwand, Ärger und Kosten. „Wir sind sehr gut ausgelastet mit Aufträgen, haben Termindruck und können nicht einfach kurzfristig einen Tag pausieren“, so Grimminger. Zwar wird bei Kessler nicht rund um die Uhr gearbeitet – die Maschinen stehen an Sonn- und Feiertagen normalerweise still – doch wenn ein ganzer Arbeitstag mit zwei Schichten einfach wegfällt, könnten Kunden womöglich nicht pünktlich beliefert werden. Ganz abgesehen davon, sei auch nicht klar geworden, wie arbeitsrechtlich damit umzugehen ist.
Große Erleichterung dann mittags: Die Kanzlerin rudert zurück, nach einem Sturm der Kritik. Markus Kilian, Geschäftsführer der Bezirksgruppe von Südwestmetall in Aalen atmet auf. „Seit gestern stand das Telefon nicht still.“Die Ankündigung nach der Corona-Runde am frühen Dienstagmorgen hätte eine Flut von Fragen aufgeworfen. Zumal auch bei der Erklärung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann eigentlich gar nichts klar gewesen sei zu dem ausgerufenen Ruhetag am Donnerstag: „Wer bezahlt die freigestellten Mitarbeiter? Wer übernimmt die Kosten für den Produktionsausfall? Gibt es für diesen Tag Feiertagszuschläge?“Solche Fragen der Mitgliedsunternehmen kamen bei dem Arbeitgeberverband an. Außerdem gebe es unter den Metall-Unternehmen auch die Vollkonti-Betriebe: Hier laufen die Maschinen an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr. Das ist etwa bei Gießereien der Fall, die ihre Produktion nicht einfach herunterfahren können. Dafür hätte es laut Kilian Ausnahme-Genehmigungen gebraucht. Außerdem hänge ja auch die Logistik an den Produktionen: „Was passiert mit den Lkw-Fahrern, wenn an einem Tag plötzlich nichts aus der Produktion kommt?“Viel Verwirrung, Kosten und Frust hätte so ein Tag gebracht „Das war wohl doch etwas aus der Hüfte geschossen“, sagt Kilian.
Auf die in der öffentlichen Diskussion immer wiederkehrende Frage, wie sicher die Arbeit in den Betrieben sei, und ob es gerecht ist, dass die Industrie arbeiten dürfe, wo andererseits viele Bereiche stillstehen würden, antwortet Kilian: „Die Industriebetriebe jetzt runterzufahren wäre für niemand hilfreich.“Die Unternehmen hätten sehr gute Sicherheitskonzepte. „Wenn dort nicht gearbeitet und verdient wird, fehlt das Geld in den Sozialkassen, das wir dringend für die Finanzierung der Pandemie-Folgen brauchen.“Für ihn ist klar: „Die Industrie muss weiterlaufen. Das ist wichtig für das Allgemeinwohl.“
Als „unausgegorene Mitternachtsidee“, beschreibt Ulrich Betzold, Geschäftsführer der Firma Arnulf Betzold in Ellwangen, die geplante Osterruhe. „Man hat etwas gesucht, auf das man sich einigen kann, ohne darüber nachzudenken. Wahrscheinlich waren alle schon sehr müde.“
Was der fehlende Tag für die deutsche Wirtschaft bedeutet hätte, verdeutlicht Betzold mit einer Zahl. Das Institut der deutschen Wirtschaft habe ein Defizit von etwa sieben Milliarden Euro ausgerechnet – nur für diesen einen Tag, sagt er. Auch auf sein Unternehmen hätte die Maßnahme zahlreiche negative Auswirkungen gehabt. Einen Betrag nennt der Geschäftsführer nicht, verweist aber auf Produktionspläne und Liefertermine, die nicht hätten eingehalten werden können. „Das hätte Vertragsstrafen zur Folge“, so Betzold weiter. Durch die bisherigen Maßnahmen verzeichne seine Firma ohnehin einen Verzug in der Logistik.
Der zusätzliche freie Tag hätte, nach Aussage von Ulrich Betzold, nicht nur die Mitarbeiter im Betrieb betroffen, sondern auch sämtliche Kollegen, die derzeit vom Homeoffice aus arbeiten. Löhne müsse er aber dennoch weiter bezahlen. Die kämen noch on top zu den Umsatzeinbußen.
Auch hinsichtlich des Infektionsschutzes erachtet Betzold die gekippte Osterruhe als sinnlos. Fünf freie Tage am Stück, da könne man schon mal nach Mallorca fliegen. Zudem würden die Leute die Supermärkte
am Mittwoch vor Gründonnerstag nahezu überrennen, betont er. Die meisten Firmen besäßen doch „sehr gute Konzepte“, um ihre Mitarbeiter zu schützen. Das seien Orte, an denen die Menschen gut aufgehoben wären. „Was wäre also durch diesen einen Tag gewonnen?“, fragt er sich.
Ulrich Betzold will auch in anderen Entscheidungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie eine gewisse Hilf- und Ratlosigkeit erkannt haben. Als Beispiel nennt er die Durchführung der Maskenbeschaffung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Diese sei „dumm“gewesen und habe den Steuerzahler etwa zwei Milliarden Euro gekostet.
Ein wenig verwundert hat der Betzold-Geschäftsführer auf die Aufforderung reagiert, dass Firmen ihre Mitarbeiter ab sofort auf Covid-19 testen sollen. „Das machen wir bereits seit November“, sagt er. „Vor allem testen wir nicht stumpf alle zwei Wochen jeden, sondern vor allem Mitarbeiter, die sich durch Gefährdungseinheiten bewegen.“Jemand bei der Hauspost sei schließlich wesentlich gefährdeter als ein Elektriker, der im Keller arbeite, verdeutlicht Betzold. Die Wirtschaft mache vieles schon längst, was jetzt erst gefordert werde.
Die sieben Milliarden Euro wirtschaftliches Defizit, die der freie Gründonnerstag beschert hätte, könnte man laut Ulrich Betzold nun vielleicht für „sinnvollere“Zwecke einsetzen. Man stelle sich nur mal vor, man würde einem Impfstoffhersteller eine solche Summe zahlen, damit er schnell genügend Impfstoff zur Verfügung stellt, sinniert der Geschäftsführer. So akzeptiere man ungefragt Maßnahmen, die Milliarden kosten.