Will Ellwangen ein Stück Tübingen wagen?
SPD-Gemeinderatsfraktion will kombinierte Test- und Öffnungsstrategie – Zustimmung aus anderen Fraktionen
ELLWANGEN - Kann Ellwangen das Tübinger Modell kopieren? Die Ellwanger SPD-Gemeinderatsfraktion macht sich jedenfalls für eine kombinierte Test- und Öffnungsstrategie in der Stadt stark. In einem offenen Brief an Oberbürgermeister Michael Dambacher regen die Sozialdemokraten einen runden Tisch an. Gemeinsam sollen die Stadtspitze und die Gruppen der Stadt nach Lösungen auf kommunaler Ebene suchen, um die Pandemie meistern zu können und auch Spielräume für Öffnungen der Kontaktbeschränkungen zu finden. Mit diesen Ideen sind die Sozialdemokraten nicht allein.
Im Gespräch mit der „Ipf- und Jagst-Zeitung/Aalener Nachrichten“erklärt Herbert Hieber, Fraktionschef der SPD im Ellwanger Gemeinderat, dass man bis jetzt in der Pandemiebekämpfung auf das hierarchische Modell von oben nach unten gesetzt habe: Praktisch alle Entscheidungen seien auf Bundes- oder Landesebene getroffen und von den Kommunen umgesetzt worden. „Wir bekommen aber immer mehr den Eindruck: Das reicht nicht. Man müsste mehr auf kommunaler Ebene tun“, sagt Hieber.
Der SPD-Fahrensmann nennt als Beispiel die Versorgung mit Material wie etwa Corona-Schnelltests. Hier, so schlägt er vor, könne die Stadt tätig werden – „auch auf die Gefahr hin, dass wir Geld in die Hand nehmen müssen“, sagt Hieber. Generell müssten die Bürgerinnen und Bürger leichter an Tests kommen. Solange der Impfstoff knapp sei, komme den Tests sowie den Abstands- und Hygieneregeln große Bedeutung zu. Auch bei den Hygieneregeln könne die Stadt Unterstützung geben, etwa mit Übersetzungshilfen für Menschen, die nicht Deutsch sprechen.
Das sogenannte Tübinger Modell, bei dem Menschen mit einem aktuellen negativen Corona-Testergebnis in die Geschäfte und Lokale gehen dürfen, kann sich Hieber in Grundzügen auch hier vorstellen. Allerdings müsse solch ein Modell an Ellwangen angepasst werden. Von einem Wettbewerb unter den Kommunen um den Titel „Modellstadt“hält Hieber aber nichts. „Wir müssen den Anzug finden, der zu Ellwangen passt“, sagt der SPD-Fraktionschef. Ganz wichtig seien auch regelmäßige Tests an Schulen, denn es zeige sich, dass es auch immer mehr Infektionen bei jungen Menschen gebe.
Einige von der SPD vorgebrachte Punkte kann auch die CDU als stärkste Gemeinderatsfraktion mittragen. „Die CDU-Fraktion ist der Ansicht, dass flexible und kreative Lösungen – wie etwa in der Hansestadt Rostock – auf kommunaler Ebene sehr sinnvoll sein können“, erklärt der Fraktionsvorsitzende Armin Burger: „Oft können die Verantwortlichen vor Ort am besten entscheiden, wie Probleme gelöst werden können. Hierzu gehört sicher auch die Möglichkeit zum kostenfreien Testen für die gesamte Bevölkerung und nicht nur für Schüler und Lehrer.“
Die erforderlichen Mittel dafür seien vom Land zur Verfügung zu stellen. Zu den kreativen Lösungen gehört für den CDU-Fraktionschef auch die Benutzung der Smartphone-App „Luca“. Dieses Programm erlaube die Nachverfolgung von Kontakten und könne dem Einzelhandel, aber auch Friseuren und Gastronomen ihre Tätigkeit erleichtern.
Wie Hieber erachtet auch CDUMann Burger blinden Aktionismus – etwa in Form eines Wettbewerbs unter den Kommunen – als schädlich. Am wichtigsten sei es jetzt, eine Situation wie im Landkreis Schwäbisch Hall mit seinen hohen Inzidenzwerten zu vermeiden. „Wenn wir wieder eine Inzidenz unter 100 beziehungsweise 50 haben, wäre dies ein wichtiger Schritt in Richtung Normalität“, betont Burger. Zudem müsse die Politik die Frage beantworten, ob geimpfte Personen, von denen keine Infektionsgefahr mehr ausgehe, wieder ohne Einschränkungen von ihren Grundrechten Gebrauch machen dürften.
Für den Grünen-Fraktionsvorsitzende Berthold Weiß liegt die Priorität dagegen vor allem auf der Einhaltung der momentan gültigen Corona-Regeln. „Aus meiner Sicht wäre viel gewonnen, wenn die geltenden Hygienebestimmungen von allen befolgt würden“, sagt Weiß auf Anfrage der „Ipf- und Jagst-Zeitung/Aalener Nachrichten“. Er verweist dabei auf das dynamische Infektionsgeschehen in einigen Betrieben im Kreis Schwäbisch Hall, in denen es zu Ansteckungen unter den Beschäftigten gekommen sei.
Dem gegenüber beobachtet Gunter Frick, der Vorsitzende der Fraktion der Freien Bürger, dass die Einkaufsregeln bei der Bevölkerung zunehmend auf Unverständnis stoßen. Viele Geschäfte in der Ellwanger Kernstadt seien geschlossen. Die
Kunden deckten sich daher in den stark frequentierten Lebensmittelmärkten ein. Dort werde es zunehmend schwieriger, die Abstandsregeln einzuhalten. Frick plädiert deshalb dafür, dass die Kunden in den Geschäften der Innenstadt einkaufen dürfen – unter Einhaltung der Abstandsund Hygieneregeln. Auch die Öffnung der Außengastronomie hielt er für „fast ganz unbedenklich“. Zum Thema Tests sagt Frick, der einer der Geschäftsführer des Ellwanger Unternehmens Kicherer ist, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Betriebs mindestens einmal pro Woche kostenfrei testen lassen können. Mitunter machten auch Familienmitglieder und Bekannte der Beschäftigten von diesem Testangebot Gebrauch. Das Tübinger Modell kann sich der Fraktionschef durchaus auch in Ellwangen vorstellen: „Die Freie-Wähler-Fraktion ist immer für Freiheit“, betont Frick.