„Der Fußball wird auch diese Pandemie wegstecken“
Dorfmerkingen-Trainer Helmut Dietterle über Kicker im Wartestand und im Fernsehen
NERESHEIM-DORFMERKINGEN Ein äußerst beliebter Trainersatz lautet: Wir schauen von Spiel zu Spiel. Allerdings ist das Fahren auf Sicht in der Corona-Pandemie nicht zuletzt auch den Fußballern lästig geworden. Wie sieht ein erfahrener Fußballlehrer die Situation im zweiten Fußball-Lockdown? Helmut Dietterle (69), einst auch Co-Trainer beim VfB Stuttgart, und jetziger Coach des Oberligisten Sportfreunde Dorfmerkingen kennt den Profi- und Amateurfußball. Ein Gespräch mit Sportredakteur Benjamin Post über Fußballer im Wartestand und im Fernsehen.
Wie ist Ihre Gefühlslage Mensch und Trainer?
Ich leide sowohl als Mensch als auch als Trainer. Wir leiden alle. In Kunst, Sport und Kultur sowie im Sozialen geht so viel verloren. Zum Fußball: Man muss sehen: In den vergangenen 13 Monaten der Corona-Pandemie haben wir nur vier Monate (Juli bis Oktober 2020) Fußball spielen können. Ende März 2021 konnten wir zwei Mal wieder in Gruppen trainieren. Das tat schon richtig gut. Aber es ist klar: Das Leid, das das Virus mit sich bringt, ist immens. Wir wissen das, sind absolut bereit mit Impfen, Testen, Hygiene, Disziplin unseren Teil dazu beizutragen, dass die Inzidenzzahlen zurückgehen. Doch der Umgang mit den Maßnahmen ist schwer nachvollziehbar. Man fragt sich: Was dürfen wir eigentlich noch machen? Dieses Hin- und her zermürbt. Wir sehnen uns alle nach geeigneten Konzepten und Mut zu Perspektiven, die wir alle dringend brauchen. Alle brauchen wieder Freude am Alltag. Auch auf Vereinsebene sind wir bereit alles zu tun, um die Wiederaufnahme des Sports zu ermöglichen.
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Wird Ihnen angst und bange um den Amateurfußball? Grundsätzlich wird der Fußball auch diese Pandemie überleben und wegstecken. Deshalb ist mir zwar nicht angst und bange, aber man muss abwarten, wie sich der Amateurfußball, in unserem Fall der höherklassige Fußball, in den nächsten Jahren entwickelt. Der Altkreis Aalen ist mit Dorfmerkingen, Essingen, Hofherrnweiler-Unterrombach sowie zwei Vereinen in der Landesliga gut und erfolgreich vertreten. Die meisten Vereine haben seit November 2020 keinerlei Einnahmen mehr, die sozialen Kontakte sind zum Erliegen gekommen. Es ist so viel auf der Strecke geblieben. Man muss neu aufbauen und neu motivieren. Vor allem im Jugendbereich. Es gibt so viele gute und motivierte Fußballer hier. Ich hoffe sie und – ganz wichtig –, alle Ehrenamtliche und Funktionäre bleiben dem Fußball über die Pandemie hinaus erhalten.
Kommen wir zu etwas, dass Sie beeinflussen konnten: Die Mannschaft. Bis zur Unterbrechung nach zwölf Spieltagen waren die SfD Neunter, wie zum Abbruch der
Vorsaison. Wie sehen Sie den Zustand des Teams?
Wir haben uns das hart erarbeitet, sind nun schon in der zweiten abgebrochenen Saison, nach dem Aufstieg in die Oberliga, gut dabei. Die Jungs waren heiß und haben sich individuell und als Mannschaft ständig verbessert. Die jungen Spieler haben sich weiterentwickelt. Unsere Fans sollen niemals den Eindruck haben, dass wir nicht um den Sieg fighten. Auch gegen die vermeintlich hochfavorisierten Teams nicht. Wir spielen keinen Fußball, der auf knappe Niederlagen ausgerichtet ist, weder auswärts noch zu Hause in Dorfmerkingen. Der Zustand war also sehr gut, aber, mir ist sehr bewusst, dass wir uns dies alles neu erarbeiten müssen.
Doch zum zweiten Mal binnen eines Jahres wurden Sie wie alle Amateurfußballer jäh ausgebremst. Wie geht es aus Ihrer Sicht weiter?
Unsere Meinung ist: Wie in der letzten Videoschaltung der Oberligamannschaften vor der großen Pause besprochen, dass die Saison abgebrochenen und annulliert werden soll, wenn spätestens ab dem 9. Mai kein Weiterspielen möglich ist, mit entsprechendem Vorbereitungsvorlauf. Dazu stehen wir auch heute, Abbruch und Annullierung, ohne Aufund Absteiger. Die neue Saison sollte dann mit den gleichen Mannschaften gestartet werden.
Sprechen wir mal vorsichtig von einem Plan: Wie geht es weiter mit der Mannschaft?
Der gesamte Kader einschließlich Trainern und Umfeld haben signalisiert, dass sie zusammenbleiben wollen. Die Gemeinschaft passt. Ich bin sehr zufrieden.
Viele Menschen regen sich auf, dass der Profifußball weiterspielen darf. Doch man muss auch sagen: Der Fußball hatte in der Corona-Pandemie schnell einen Plan und ihn gut umgesetzt.
Das muss man sicherlich verstehen, Fakt ist aber auch, dass die Deutsche Fußball-Liga mit ihrem Geschäftsführer Christian Seifert und dem DFB-Arzt Tim Meyer ein Konzept vorgelegt haben, das im Großen und Ganzen funktioniert, das von vielen Sportarten in der ganzen Welt übernommen wurde. Alle werden ständig getestet, dann sollte man sie auch ihren Beruf ausüben lassen. Nur eines macht mir keinen Spaß …
Was?
… die Spiele ohne Zuschauer. Es fehlt die Energie der Fans. Die Emotionen und das Pushen von den Rängen. Man sieht das bei einigen Mannschaften, vor allem bei ihren Heimspielen, Den letzten Schritt zu machen, das fehlt. Dadurch gibt es fast keinen Heimvorteil mehr.
Immerhin fehlt der Fußball im Fernsehen nicht. Es laufen viele Spiele im TV. Was schauen Sie? Für Trainer ist es auch immer Anschauungsunterricht.
Ich schaue ausgewählte Spiele, dabei versuche ich nicht mehr als ein Spiel am Tag zu schauen. Bayern München, weil sie den besten Fußball in Deutschland spielen, Leipzig, weil sie schnellen und attraktiven Fußball spielen und Liverpool schaue ich auch gerne. Jürgen Klopp ist ein herausragender Trainer. Dies Saison läuft es nicht so gut, viele Heimniederlagen, viele Probleme trotzdem hat er in Ruhe mit der Mannschaft konsequent weitergearbeitet. Das ist einfach interessant, wie sich das wieder entwickelt. Und natürlich sehe ich mir den VfB Stuttgart und 1. FC Heidenheim an.
Auf die beiden schwäbischen Vereine gehen wir genauer ein. Wie sehen Sie die Entwicklung ihres ExVereins aus Bad Cannstatt?
Der VfB überzeugt als Aufsteiger, spielt offensiven Fußball, den man sich anschauen kann. Pellegrino Matarazzo ist ein klasse Trainer, er wirkt sehr souverän und überzeugt mich. Und wenn Top-Spieler wie jetzt Wamangituka (Kreuzbandriss, Anm. d.R.), Mangala und Gonzales ausfallen, haben sie gute Leute in der Hinterhand.
Immer neue Spieler werden auch beim FCH entwickelt. Wie sehen Sie die Entwicklung bei dem Fußball-Zweitligisten von der Ostalb? Ich bin echt begeistert. Sie haben es wieder geschafft trotz namhafter Abgänge nichts mit dem Abstieg zu tun zu haben. Sie haben sich nicht beirren lassen und befinden sich in einer sicheren Tabellenregion. Gegen Heidenheim spielt man nicht gerne.
In der Vorsaison schafften die Heidenheimer auf den letzten Drücker tatsächlich noch den dritten Tabellenplatz. Wer sind in diesem Jahr für Sie die Top 3 in der 2. Liga? Zum einen der Hamburger SV. Man hat zum Beispiel im Spiel gegen Heidenheim gesehen, wie gut sie sein können. Zum anderen der VfL Bochum, die sind sicherer Aufsteiger, spielerisch sehr stark. Um den dritten Platz streiten sich Holstein Kiel und die Spielvereinigung Greuther Fürth, das ist ausgeglichen. Der KSC ist jetzt durch die Heimniederlage gegen Osnabrück aus diesem Rennen ausgeschieden.