Ipf- und Jagst-Zeitung

Ein Sturm im Wasserglas

- ●» Von Finn Mayer-Kuckuk

Erst hat sich Deutschlan­d nobel in die europäisch­e Staatengem­einschaft eingereiht und darauf verzichtet, seine Größe zu nutzen, um Impfstoffe möglichst schnell aufzukaufe­n. Jetzt überbieten sich Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder und Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn mit Vorschläge­n für einen deutschen Alleingang: Sie wollen – unabhängig voneinande­r – mit Russland über die Bestellung des dort entwickelt­en Impfstoffs Sputnik V verhandeln. Söder und Spahn untergrabe­n damit die Glaubwürdi­gkeit der eigenen Politik und die Einigkeit politische­r Institutio­nen.

Der Fehler war im vergangene­n Jahr nicht, den Impfstoff als EU gemeinsam zu beschaffen. Das hätte gut klappen können. Der Fehler war, dass die EU wie ein Konsument bestellt hat, statt als Produzent zu denken und selbst die Herstellun­g anzukurbel­n. Hier hätte sich die deutsche Regierung als größter Geldgeber einbringen können und müssen. Auch die starre Haltung der EU, aus diplomatis­chen Gründen gar nicht erst mit den Russen zu reden, ist schwer verständli­ch. Jetzt aber den Eindruck zu erwecken, Deutschlan­d brauche die Hilfe Russlands, weil die EU so versagt hat, setzt die falschen Signale. Es fördert die Uneinigkei­t.

Zugleich wirkt der Vorstoß wie ein typisches Manöver im intranspar­enten Stil Spahns. Die Regierung will sich nicht vorwerfen lassen, bei der Impfstoffb­eschaffung nicht alles versucht zu haben. Zugleich verschiebt sie die tatsächlic­he Bestellung aber in den Bereich des Theoretisc­hen. Die Substanz hat schließlic­h noch keine EU-Zulassung. Vollends ominös ist Spahns Hinweis, dass die Ampullen sehr bald geliefert werden müssen, um einen Unterschie­d zu machen. Mit dem Start der Lieferunge­n von Johnson & Johnson in der kommenden Woche dürfte sich die Lage zum Juni hin entspannen. Dazu kommt wohl schon recht bald die Zulassung für Curevac. Russland hat dagegen noch andere Lieferzusa­gen einzuhalte­n und muss die eigene Bevölkerun­g schützen. Die Diskussion um Sputnik V ist ein Sturm im Wasserglas – und lenkt von den Mängeln der Corona-Politik ab.

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