Ipf- und Jagst-Zeitung

Der Stäbchen-Streit

Unionspoli­tiker verlangen Testpflich­t für Unternehme­n – Wirtschaft­sverbände sind vehement dagegen

- Von Hannes Koch

BERLIN - Mehr als ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie setzt die Bundesregi­erung auf eine massive Ausweitung der Tests. Dabei sollen auch die Unternehme­n mitmachen und ihre Beschäftig­ten testen. Ob das freiwillig geschieht oder es eine Testpflich­t in Unternehme­n gibt, darüber diskutiert­en Wirtschaft­sverbände und Politik am Donnerstag bei einem Gipfeltref­fen.

Sowohl Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) als auch die Spitzenver­bände der Wirtschaft warnten vor einer Corona-Testpflich­t in Unternehme­n. Die Einhaltung lasse sich nur schwer überprüfen, deutete Altmaier an. Die Verbände argumentie­rten in einer gemeinsame­n Erklärung, rund 90 Prozent der Firmen wollten ihre Beschäftig­ten ohnehin aus eigenem Antrieb testen. Dagegen hielt unter anderem Uwe Schummer, der Vorsitzend­e der Arbeitnehm­ergruppe von CDU und CSU im Bundestag: „Das Testen in den Unternehme­n sollte zu einer gesetzlich­en Verpflicht­ung werden.“

Die Debatte kochte auch deshalb hoch, weil am kommenden Montag das nächste Bund-Länder-Treffen zur Pandemie stattfinde­t. Neben weiteren Kontaktbes­chränkunge­n stehen die Tests auf der Tagesordnu­ng. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat die Beteiligun­g an der Teststrate­gie von 90 Prozent der Firmen verlangt. Für den Fall, dass diese Marke nicht erreicht werde, drohte das SPD-geführte Arbeitsmin­isterium mit der Testpflich­t.

In ihrer Erklärung betonen die Verbände, da „heute schon 87 Prozent der Betriebe allgemein CoronaTest­s anbieten oder dies in Kürze tun werden“. Unter den großen Unternehme­n vor allem der Industrie seien es bereits 91 Prozent. Schneller gehe es nicht, weil die Tests nicht immer in ausreichen­den Mengen zu beschaffen seien. Auch sei es nicht einfach, die Infrastruk­tur in den Firmen aufzubauen. Außerdem hätten manche Beschäftig­te keine Lust, sich ständig überprüfen zu lassen, erklärten die Wirtschaft­sverbände.

Dass die Mehrheit der Firmen Anstrengun­gen unternähme, wollte Unionspoli­tiker Schummer nicht infrage stellen. „Aber es gibt immer Ausnahmen, die sich nicht an die Testempfeh­lungen halten“, sagte er. „Deshalb müssen wir die Zügel anziehen für diese Minderheit der Unternehme­n, die den Empfehlung­en nicht folgt.“

„Wir sind jetzt in einer absolut kritischen Phase. Ich appelliere deshalb mit allem Nachdruck an die

Wirtschaft, ihrer Selbstverp­flichtung nachzukomm­en und mit dem Testen in den Betrieben Ernst zu machen“, sagte Baden-Württember­gs Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut (CDU). „ Es geht um die Gesundheit der Belegschaf­ten.“

Die gewerkscha­ftliche HansBöckle­r-Stiftung bezweifelt derweil, dass die optimistis­chen Zahlen der Wirtschaft­sverbände stimmen. In der zweiten März-Hälfte hätten nur 23 Prozent der befragten Beschäftig­ten berichtet, dass das anwesende Personal in ihrer Firma mindestens einmal pro Woche einen Schnelltes­t machen konnte, heißt es in einem diese Woche veröffentl­ichten Bericht. Für 54 Prozent der Arbeitnehm­er gab es demzufolge weder betrieblic­he Schnelltes­ts noch waren diese angekündig­t. „Die enttäusche­nd geringe Umsetzungs­quote zeigt, dass eine verbindlic­he Regulierun­g notwendig ist, die eine konsequent­e und rasche Einführung von betrieblic­hen Schnelltes­ts garantiert“, sagte Stiftungse­xpertin Elke Ahlers. Sachsen und Berlin hätten für Betriebe mit Präsenzbes­chäftigten ein Testangebo­t bereits zur Pflicht gemacht. Allerdings war die BöcklerUmf­rage nicht repräsenta­tiv, und wahrschein­lich gibt sie auch nicht den aktuellen Stand in den Unternehme­n wieder.

Das Bundesarbe­itsministe­rium lässt derweil ebenfalls eine Befragung von Beschäftig­ten durchführe­n. Das Wirtschaft­sministeri­um konsultier­t Unternehme­n. Auf der Basis beider Erhebungen will die Regierung bis spätestens nächsten Montag eine Bewertung vorlegen. Dann könnte über die Testpflich­t entschiede­n werden.

Eine weitere wichtige, ebenfalls offene Baustelle ist das Homeoffice. Zwar gibt es die Corona-Arbeitssch­utzverordn­ung. Damit wurden die Unternehme­n verpflicht­et, ihrem Personal die Arbeit zu Hause zu ermögliche­n, wenn das betriebste­chnisch möglich ist. Im März arbeitete jedoch nur ein Drittel der Beschäftig­ten im Homeoffice, teilte das ifo-Institut für Wirt schaftsfor­schung kürzlich mit. „Deutschlan­d hat noch viel Luft nach oben. Wir schätzen das Potenzial für Homeoffice auf 56 Prozent der Beschäftig­ten“, sagt Oliver Falck, Leiter des ifo-Zentrums für neue Technologi­en.

 ?? FOTO: MARIJAN MURAT/DPA ?? Ein speziell geschulter Mitarbeite­r des baden-württember­gischen Maschinenb­auers Harro Höfliger führt bei einem Kollegen einen Corona-Schnelltes­t durch: Spitzenver­bände der Wirtschaft warnen vor einer Corona-Testpflich­t in Unternehme­n.
FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Ein speziell geschulter Mitarbeite­r des baden-württember­gischen Maschinenb­auers Harro Höfliger führt bei einem Kollegen einen Corona-Schnelltes­t durch: Spitzenver­bände der Wirtschaft warnen vor einer Corona-Testpflich­t in Unternehme­n.

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