Durchhalteparolen gegen das Bröckeln
Nicht nur wegen der Hinspielniederlage gegen PSG knirscht es bei den Bayern gewaltig
MÜNCHEN - Ein 2:0 würde reichen fürs Weiterkommen. Wenn es so schwarz auf weiß dasteht, sieht das Ergebnis und damit das Unterfangen Doch-noch-Halbfinaleinzug gar nicht so unrealistisch aus für den FC Bayern München nach der grotesken 2:3Niederlage gegen Paris Saint-Germain. Doch zwei Tatsachen machen daraus fast ein Ding der Unmöglichkeit: die Statistik und Kylian Mbappé.
Denn erstens sind die Bayern nach einer Heimniederlage im Hinspiel einer K.o.-Runde der Champions League bislang noch nie weitergekommen. Und zweitens müsste man beim avisierten Wunder von Paris Mbappé, den Wunderstürmer der Franzosen, ausschalten. In München erzielte der 22-Jährige einen Doppelpack. Heißt: Wenn der PSG-Wirbelsturm um Mbappé und Neymar auch im Rückspiel am Dienstag im Parc des Princes wieder ein-, zweimal treffen sollte, wird’s schwer. Die Bayern sollten also eher ein 3:1 oder 4:2 anpeilen für die Revanche der Final-Revanche.
„Wir haben die Überzeugung, dass wir weiterkommen können“, sagte Thomas Müller und begründete die Zuversicht mit dem fahrlässigen Umgang der Chancen, die sich auf 31:6 Schüsse, davon 12:5 aufs Tor, summierten: „Wir haben viel zu viel liegen gelassen. Wenn es 5:3, 6:3 ausgeht, kann sich keiner beschweren.“Also: Einfach noch mal so ein Offensiv-Feuerwerk zünden, „dann bekommen wir wieder so viele Chancen. Wenn wir die dann nutzen, ziehen wir auch ins Halbfinale ein.“Auch der zweite Torschütze, Lewandowski-Ersatz Eric-Maxim ChoupoMoting, meinte trotzig: „Es ist noch nicht vorbei.“
Für Trainer Hansi Flick war „die Art und Weise, wie wir Fußball gespielt haben, beeindruckend. Leider waren wir vor dem Tor nicht entschlossen und effizient genug. Wir sind guter Dinge, dass wir das Spiel umbiegen können.“Durchhalteparolen eines wankenden Titelverteidigers – zumal neben Weltfußballer Robert Lewandowski auch Serge Gnabry (Corona-Infektion) sowie die angeschlagen ausgewechselten Niklas Süle (Muskelfaserriss) und Leon Goretzka (Zerrung) im Rückspiel fehlen werden. „Der Kader wird immer dünner“, klagte Flick.
Das 2:3 war seine erste Niederlage in der Champions League nach 15 Siegen und einem Remis seit Amtsantritt.
Bei einem Ausscheiden könnte das Rückspiel zur letzten Königsklassen-Partie für den Sextuple-Coach werden. Denn von Tag zu Tag und von Nicht-Klartext zu Nicht-Klartext wird es wahrscheinlicher, dass Flick, der Wunschkandidat des DFB, im Anschluss an die EM die Nachfolge von Bundestrainer Joachim Löw antritt. Flick vermeidet trotz seines Vertrages bis 2023 ein klares Bekenntnis zum Miteinander in der kommenden Saison – wohl auch, weil Sportvorstand Hasan Salihamidzic das ebenfalls nicht über die Lippen kommt. Nach dem Motto: Wenn alle ein Spielchen spielen, dann spiele ich eben auch mein Spielchen.
Dass der 56-Jährige mit Salihamidzic (44) über Kreuz liegt, obwohl man nach außen das ach so hervorragende Miteinander beteuert, ist offensichtlich. Auf Nachfragen reagiert Flick von Tag zu Tag gereizter, sagte: „Alles muss ich nicht beantworten, weil ich es auch nicht möchte.“Und betonte, er müsse „da auch ein bisschen schauspielern. Das gehört auch dazu zum Trainerjob.“Spaß ist was anderes. Die Spannungen zwischen Flick und Salihamidzic drehen sich um des Trainers Wunsch nach Mitspracherecht bei Personalentscheidungen und
Transfers. Was Salihamidzic, unterstützt von Bayern-Patron und Ehrenpräsident Uli Hoeneß, als ureigene Kernkompetenz reklamiert.
Der zwischenzeitliche Burgfriede ist brüchig. Zum Jahresende scheidet Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge aus, der Flick-Förderer will den Trainer unbedingt halten. Nachfolger Oliver Kahn, der bereits zum 1. Juli mehr Macht erhalten soll, gibt sich nach außen neutral, sagte über Flick zuletzt: „Er möchte sich auf die aktuelle, auf die laufende Saison konzentrieren.“Salihamidzic bemerkte am Mittwoch zu Flicks Zukunft trocken: „Die Vertragslaufzeiten sind bekannt.“Auch im Fall Jérôme Boateng, der nach zehn Jahren im Verein im Sommer keinen neuen Vertrag mehr erhält, scheint sich Salihamidzic durchgesetzt zu haben. Obwohl der Vorstand es als „gemeinsame Entscheidung der Vereinsführung“deklarierte, in die Flick ebenfalls „eingebunden“worden sei.
Bayern bröckelt. Man läuft aktuell an der Säbener Straße Gefahr, dass aus dem Triple-Sieger und SextupleChampion ein Torso wird. Mit der Meisterschale als Single-Titel. Und ohne Trainer für die kommende Saison.