Der erste Außerirdische
Vor 60 Jahren flog Juri Gagarin ins All und kam als Superstar der Sowjetunion zurück
Mit einem Puls von 150 und einem zuversichtlichen „Los geht’s!“ist der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin heute vor 60 Jahren von der Weltraumbasis Baikonur in Kasachstan ins All gestartet, im Raumgefährt Wostok 1 umkreiste er die Erde und landete nach 108 Minuten am Fallschirm im Gebiet Saratow. Auf einem Feld an der Wolga bekam er wieder Boden unter die Füße. „Die Landung war sehr weich“, erinnert sich Gagarin später. „Der Acker war gut gepflügt und die Erde noch nicht getrocknet.“Der außerirdische Flug des 27-jährigen Oberleutnants wurde der größte Sieg der UdSSR im kosmischen Wettrennen mit den USA, die erst im Mai des gleichen Jahres den ersten Astronauten ins All bringen würde.
Den gelernten Stahlgießer und Kampfpiloten Gagarin ernannte man nach seinem Flug zum Helden der Sowjetunion. Aber davon gab es damals schon über 11 000. Doch Gagarin wurde am 12. April 1961 mehr als nur ein Held. Er wurde zum ersten Superstar der Sowjetunion, zur Symbolfigur für die damals sehr hoffnungsvollen Träume der Menschheit von einer kosmischen Zukunft.
Gagarin hielt als erster Mensch ein Tempo von über 28 000 Stundenkilometern aus, die Anfangsgeschwindigkeit von Wostok 1. Das schwerelose Gleiten durch das dunkel schweigende All raubte ihm nicht den Verstand, wie Experten befürchtet hatten. Er überstand auch Fliehkräfte vom Zehnfachen seines Körpergewichtes und den Stress, als die Außenschichten seiner Raumkapsel sich beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre in einen glühenden Feuerball verwandelte.
Der Sieg des 1,57 Meter kleinen Mannes bestand vor allem darin, dass er den Kosmos überlebt hatte. Und dass auch noch mit Vergnügen. „Die Schwerelosigkeit beeinträchtigte die Funktionsfähigkeit des Organismus absolut nicht“, erklärte Gagarin vor dem Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. „Im Gegenteil, es wurde leichter, und vielleicht werden wir demnächst im Weltall Urlaub machen.“
Gagarin, Sohn eines Zimmermanns aus einem Dorf bei Smolensk, wurde aus einer handverlesenen Gruppe von 20 topfitten Versuchspiloten ausgewählt, auch wegen seiner proletarischen Herkunft und seiner Fröhlichkeit. Sein stärkster Konkurrent, German Titow, soll am eigenen, eher unrussischen, Vornamen gescheitert sein.
Gagarin erwies sich als Glücksgriff auch nach der Landung. Der kosmische Rückkehrer erwies sich als unkomplizierter, ständig lächelnder Kerl, bezauberte erst das Sowjetvolk, dann aber auch den Westen. „Als hätte man ihm im Kosmos mit einem perfekten Duftwasser eingesprüht, das wie im Roman ,Parfüm’ alle in ihn verliebt macht“, schreibt sein Biograf Lew Danilkin.
Ein Besuch in London wurde zum Triumphzug, jubelnde Menschenmengen säumten die Straßen, als Gagarin in einem offenen Rolls-Royce mit der Nummer J.G. 1 durch die Straßen fuhr. Vor der sowjetischen Botschaft stürzte sich eine junge Frau auf Gagarin, um ihn abzuküssen. Königin Elizabeth II lud ihn zum Abendessen ein und klagte hinterher, sie sei leider nicht mehr so jung wie jenes kühne Mädchen. Gagarin und die Queen, Gagarin und Indira Gandhi, Gagarin und Fidel Castro – der Raumfahrer wurde zur Popikone wie die Beatles. „Und alle erkannten ihn an seinem Lächeln“, hieß es in einem russischen Gedicht. Gagarins kosmisches Lächeln.
Die 1960er-Jahre wirken heute als naive Zeit. Gagarin schien das Tor zum Kosmos für die ganze Menschheit weit geöffnet zu haben, außer Mondlandungen planten die Sowjets schon Sonnenumkreisungen und bemannte Flüge zum Mars. Westliche
Journalisten aber bedrängten Gagarin bei Pressekonferenzen mit völlig unsowjetischen Fragen. Zum Beispiel: „Was würden Sie empfinden, wenn Sophia Loren Sie küssen würde?“Gagarins Antwort: „Das Gleiche wie Sie.“
Nach drei Jahren Auslandsreisen, TV-Auftritten, Reden vor Jungkommunisten und Banketten mit älteren Kadern hatte Gagarin, der vor seinem Flug 64 Kilo wog, neun Kilo zugenommen. Gagarin drohte ein Dasein als Held in Frührente. Es gab Besäufnisse. Und bei einem Urlaub auf der Krim sprang Gagarin aus einem Hotelzimmerfenster, angeblich auf der Flucht vor der eigenen Frau, die drauf und dran war, ihn mit einer jungen Krankenschwester zu ertappen. Der Kosmonaut landete unglücklicher als bei seiner Rückkehr aus dem All, schlug sich das Gesicht auf. Der Skandal wurde vertuscht.
Formal war Gagarin Kommandeur der sowjetischen Kosmonautenabteilung, aber den Star selbst ließ man vorerst nicht mehr ins Weltall. Gagarin und die anderen Kosmonauten hofften auf künftige Flüge zum Mond. Die Pläne zu einer Landung dort verschoben sich allerdings. Gagarin hätte die Expedition anführen sollen. Doch bei der Entwicklung der neuen Raumschiffserie Sojus häuften sich technische Probleme, 1967 kam der Kosmonaut
Wladimir Komarow bei der missglückten Landung von Sojus 1 um, Gagarin war sein Ersatzmann.
Aber man muss nicht ins All fliegen, um den Heldentod zu sterben. Am 27. März 1968 stürzten Gagarin und ein anderer Pilot bei einem Übungsflug mit einem MiG-15Kampfflugzeug in einen Wald östlich Moskaus ab. Ein bis heute ungeklärtes Unglück, die Überreste Gagarins konnten erst identifiziert werden, als man ein abgerissenes Stück Kinnlade entdeckte. Mit Gagarin starb auch jene kosmische Aufbruchstimmung, die Partei- und Sowjetvolk noch einmal vereint hatten. Und 1969 landeten die Amerikaner als erste auf dem Mond.