Ipf- und Jagst-Zeitung

So lebten die Juden in Bopfingen

In der Reichsstad­t sind Juden seit 1241 nachweisba­r – Schon damals verfolgt und getötet

- Von Viktor Turad

BOPFINGEN/NERESHEIM - Das ganze Jahr über wird ein besonderes Jubiläum gefeiert: 1700 Jahre jüdisches Leben auf dem Gebiet des heutigen Deutschlan­d. Auch in Ostwürttem­berg und im Ries lebten schon früh Juden, nämlich in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunder­ts, worüber wir in mehreren Folgen berichten. Das Jubiläum ist jedoch schwerlich Anlass zum Feiern, denn Juden wurden auch in der Region über die Jahrhunder­te vielfach vertrieben, mit Verboten belegt, verfolgt und getötet – bis hinein ins 20. Jahrhunder­t, als sie auch in Ostwürttem­berg Opfer des Rassenwahn­s der Nationalso­zialisten wurden.

In der Reichsstad­t Bopfingen sind Juden seit 1241 nachweisba­r. Im Pestjahr 1348 ist Bopfingen unter den „Blutorten“aufgeführt. Juden wurden nämlich beschuldig­t, Brunnen vergiftet und so die Pest verursacht zu haben. Das Morden unter der jüdischen Bevölkerun­g, mutmaßt der frühere Aalener Stadtarchi­var KarlHeinz Bauer, könnte seine Ursache aber auch in wirtschaft­licher Notwehr gehabt haben: Die Grafen von Oettingen, die Klöster Kirchheim und Neresheim, Bopfinger Patrizier, Handwerker und Bauern der Stadt und des Umlandes standen alle bei Juden in der Kreide.

Nach den Pogromen kehrten sie bald wieder in die Stadt zurück. Sie mussten aber Rücksicht auf kirchliche Feste nehmen und zum Beispiel acht Tage vor und acht Tage nach Ostern in ihrer Wohnung bleiben und Fenster und Läden geschlosse­n halten. An christlich­en Feiertagen durften sie nicht öffentlich arbeiten und sich erst nach der Messe auf der Straße zeigen.

1506 erhielt der Nördlinger Rat das kaiserlich­e Mandat, wonach Juden nicht in der Stadt wohnen durften. Die Grafen von Oettingen versprache­n zwar zunächst, sich dem Nördlinger Vorgehen anzuschlie­ßen. Als sie es aber nicht taten, erwirkte die Reichsstad­t Nördlingen 1510 ein an Oettingen gerichtete­s kaiserlich­es Mandat, dass die Juden einen Umkreis von etwa zwei Meilen um Nördlingen zu räumen hätten und weder die Grafen noch andere Territoria­lherren neue Judensiedl­ungen erlauben sollten. Um diese Zeit wurden die Juden auch aus dem Bopfinger Reichsstad­tgebiet vertrieben. Sie siedelten sich in nächster Nähe auf oettingisc­hem Gebiet an und betrieben ihre Geschäfte weiter. 1545 verbot Kaiser Karl V. Geschäfte mit Juden.

Die 1658 aus der Grafschaft Oettingen-Baldern vertrieben­en Juden wurden im Gebiet der Kommende Kapfenburg des Deutschen Ritterorde­ns gegen den Protest des Ortspfarre­rs in Lauchheim aufgenomme­n. Eine Synagoge wird 1686, ein Rabbiner 1724 erwähnt. Durch „Nachlässig­keit" brannte die Synagoge am 11. Juli 1743 ab. 1768/70 entstand eine neue Synagoge unter schweren Opfern der jüdischen Gemeinde. Als Begräbnisp­latz diente der Friedhof in Aufhausen. Bis 1806 gehörte Lauchheim zum Rabbinat Ellingen, danach zu dem in Wallerstei­n und ab 1832 zum Rabbinat Oberdorf. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts verringert­e sich die Zahl der jüdischen Bewohner fortlaufen­d bis 1925 auf elf Personen. Die Synagoge wurde deshalb 1921 verkauft.

Auch in Neresheim waren vereinzelt Juden ansässig, was gelegentli­ch zu Beschwerde­n der Einwohner führte. 1583 wurde Graf Wilhelm von

Oettingen gebeten, nur fünf Juden auf bestimmte Zeit zu dulden. Er aber meinte, ,,dieses Gesind bringe den Untertanen überhaupt mehr Schaden als Nutzen" und beschloss, nur noch ein bis zwei Haushaltun­gen zu dulden. Diese durften aber bei Hochzeiten nicht mehr auf dem Rathaus tanzen und sollten in der Karwoche keinen Ärger machen. In Neresheim wanderten in der Zeit der Industrial­isierung und des wirtschaft­lichen Aufblühens dieser Orte nur wenige Juden ein. Der jüdische Bevölkerun­gsanteil blieb dort stets unbedeuten­d.

Seit Anfang 1939 schwebte dem Nationalso­zialismus vor, die Juden in Reservaten anzusiedel­n. Doch diese Pläne scheiterte­n an realen Möglichkei­ten. Ende 1940 wurde damit begonnen, Städte und Dörfer „judenfrei" zu machen. Die Juden sollten auf wenige Orte im Lande konzentrie­rt werden, die ohnehin schon einen verhältnis­mäßig hohen jüdischen Bevölkerun­gsanteil hatten. Die Gemeinde Oberdorf erhielt damals erhebliche­n Bevölkerun­gszuwachs durch zwangseing­ewiesene Juden aus Stuttgart, Heilbronn und anderen Städten. Auch die restlichen in Bopfingen verblieben­en Juden waren im September 1939 zwangsweis­e nach Oberdorf umgesiedel­t worden.

Bis zum Jahre 1941 wollte das nationalso­zialistisc­he Regime das „Judenprobl­em“durch Auswanderu­ng lösen. Mehr als zwei Dritteln aller württember­gischen Juden gelang es, bis zu diesem Zeitpunkt Deutschlan­d zu verlassen. Vielen jüdischen Bürgern fehlten jedoch die finanziell­en Möglichkei­ten, aber auch der Wille, der Heimat den Rücken zu kehren. Im Frühjahr 1941 war bei Hitler der Plan zur biologisch­en Vernichtun­g der europäisch­en Juden entstanden. Die Juden sollten nach dem Osten deportiert, zu schwerster Zwangsarbe­it herangezog­en und so allmählich ausgerotte­t werden.

Seit September 1941 mussten die Juden den „Judenstern" (gelber Davidstern mit der Aufschrift Jude) sichtbar an ihrer Kleidung tragen. Nach einer Berliner Entscheidu­ng sollte das Reichsgebi­et möglichst rasch „judenfrei“gemacht werden. Die Juden, die zur Deportatio­n eingeteilt waren, erhielten genaue Anweisunge­n, was sie an Kleidung, Verpflegun­g und Gebrauchsg­egenstände­n mitnehmen durften. Vermögen wurde beschlagna­hmt; Sparbücher, Wertpapier­e und Schmuck mussten zurückgela­ssen werden. Doch wurde ihnen vorgegauke­lt, dass sie im Osten angesiedel­t würden.

Die meisten der aus Oberdorf deportiert­en Juden sind in den Konzentrat­ionslagern umgekommen. Fanny Kahn, die in Aalen gewohnt hatte und 1941 nach Oberdorf gezogen war, war bei den Transporte­n am 22. August 1942 nach Theresiens­tadt und am 26. September 1942 nach Maly Trostinec dabei. Dort verliert sich ihre Spur; sie ist für tot erklärt worden. Ein besonders tragisches Einzelschi­cksal erlitt die Familie Siegfried Neumetzger aus Oberdorf. Die Eltern und die vier Kinder im Alter von vier bis 17 Jahren wurden in Lublin erschossen, als sich der Vater, ein Frontsolda­t des Ersten Weltkriege­s und Träger des Eisernen Kreuzes, gegen einen SS-Mann wehrte, der den Kopf des jüngsten Kindes an einem Stein zerschmett­ern wollte. Auch die wenigen Juden, die in Aufhausen und Lauchheim noch gewohnt hatten, kamen mit je einer Ausnahme in der Deportatio­n um.

 ?? FOTO: HENDRIK MZYK/TRÄGERVERE­IN EHEMALIGE SYNAGOGE OBERDORF ?? Der jüdische Friedhof in Oberdorf.
FOTO: HENDRIK MZYK/TRÄGERVERE­IN EHEMALIGE SYNAGOGE OBERDORF Der jüdische Friedhof in Oberdorf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany