So lebten die Juden in Bopfingen
In der Reichsstadt sind Juden seit 1241 nachweisbar – Schon damals verfolgt und getötet
BOPFINGEN/NERESHEIM - Das ganze Jahr über wird ein besonderes Jubiläum gefeiert: 1700 Jahre jüdisches Leben auf dem Gebiet des heutigen Deutschland. Auch in Ostwürttemberg und im Ries lebten schon früh Juden, nämlich in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts, worüber wir in mehreren Folgen berichten. Das Jubiläum ist jedoch schwerlich Anlass zum Feiern, denn Juden wurden auch in der Region über die Jahrhunderte vielfach vertrieben, mit Verboten belegt, verfolgt und getötet – bis hinein ins 20. Jahrhundert, als sie auch in Ostwürttemberg Opfer des Rassenwahns der Nationalsozialisten wurden.
In der Reichsstadt Bopfingen sind Juden seit 1241 nachweisbar. Im Pestjahr 1348 ist Bopfingen unter den „Blutorten“aufgeführt. Juden wurden nämlich beschuldigt, Brunnen vergiftet und so die Pest verursacht zu haben. Das Morden unter der jüdischen Bevölkerung, mutmaßt der frühere Aalener Stadtarchivar KarlHeinz Bauer, könnte seine Ursache aber auch in wirtschaftlicher Notwehr gehabt haben: Die Grafen von Oettingen, die Klöster Kirchheim und Neresheim, Bopfinger Patrizier, Handwerker und Bauern der Stadt und des Umlandes standen alle bei Juden in der Kreide.
Nach den Pogromen kehrten sie bald wieder in die Stadt zurück. Sie mussten aber Rücksicht auf kirchliche Feste nehmen und zum Beispiel acht Tage vor und acht Tage nach Ostern in ihrer Wohnung bleiben und Fenster und Läden geschlossen halten. An christlichen Feiertagen durften sie nicht öffentlich arbeiten und sich erst nach der Messe auf der Straße zeigen.
1506 erhielt der Nördlinger Rat das kaiserliche Mandat, wonach Juden nicht in der Stadt wohnen durften. Die Grafen von Oettingen versprachen zwar zunächst, sich dem Nördlinger Vorgehen anzuschließen. Als sie es aber nicht taten, erwirkte die Reichsstadt Nördlingen 1510 ein an Oettingen gerichtetes kaiserliches Mandat, dass die Juden einen Umkreis von etwa zwei Meilen um Nördlingen zu räumen hätten und weder die Grafen noch andere Territorialherren neue Judensiedlungen erlauben sollten. Um diese Zeit wurden die Juden auch aus dem Bopfinger Reichsstadtgebiet vertrieben. Sie siedelten sich in nächster Nähe auf oettingischem Gebiet an und betrieben ihre Geschäfte weiter. 1545 verbot Kaiser Karl V. Geschäfte mit Juden.
Die 1658 aus der Grafschaft Oettingen-Baldern vertriebenen Juden wurden im Gebiet der Kommende Kapfenburg des Deutschen Ritterordens gegen den Protest des Ortspfarrers in Lauchheim aufgenommen. Eine Synagoge wird 1686, ein Rabbiner 1724 erwähnt. Durch „Nachlässigkeit" brannte die Synagoge am 11. Juli 1743 ab. 1768/70 entstand eine neue Synagoge unter schweren Opfern der jüdischen Gemeinde. Als Begräbnisplatz diente der Friedhof in Aufhausen. Bis 1806 gehörte Lauchheim zum Rabbinat Ellingen, danach zu dem in Wallerstein und ab 1832 zum Rabbinat Oberdorf. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verringerte sich die Zahl der jüdischen Bewohner fortlaufend bis 1925 auf elf Personen. Die Synagoge wurde deshalb 1921 verkauft.
Auch in Neresheim waren vereinzelt Juden ansässig, was gelegentlich zu Beschwerden der Einwohner führte. 1583 wurde Graf Wilhelm von
Oettingen gebeten, nur fünf Juden auf bestimmte Zeit zu dulden. Er aber meinte, ,,dieses Gesind bringe den Untertanen überhaupt mehr Schaden als Nutzen" und beschloss, nur noch ein bis zwei Haushaltungen zu dulden. Diese durften aber bei Hochzeiten nicht mehr auf dem Rathaus tanzen und sollten in der Karwoche keinen Ärger machen. In Neresheim wanderten in der Zeit der Industrialisierung und des wirtschaftlichen Aufblühens dieser Orte nur wenige Juden ein. Der jüdische Bevölkerungsanteil blieb dort stets unbedeutend.
Seit Anfang 1939 schwebte dem Nationalsozialismus vor, die Juden in Reservaten anzusiedeln. Doch diese Pläne scheiterten an realen Möglichkeiten. Ende 1940 wurde damit begonnen, Städte und Dörfer „judenfrei" zu machen. Die Juden sollten auf wenige Orte im Lande konzentriert werden, die ohnehin schon einen verhältnismäßig hohen jüdischen Bevölkerungsanteil hatten. Die Gemeinde Oberdorf erhielt damals erheblichen Bevölkerungszuwachs durch zwangseingewiesene Juden aus Stuttgart, Heilbronn und anderen Städten. Auch die restlichen in Bopfingen verbliebenen Juden waren im September 1939 zwangsweise nach Oberdorf umgesiedelt worden.
Bis zum Jahre 1941 wollte das nationalsozialistische Regime das „Judenproblem“durch Auswanderung lösen. Mehr als zwei Dritteln aller württembergischen Juden gelang es, bis zu diesem Zeitpunkt Deutschland zu verlassen. Vielen jüdischen Bürgern fehlten jedoch die finanziellen Möglichkeiten, aber auch der Wille, der Heimat den Rücken zu kehren. Im Frühjahr 1941 war bei Hitler der Plan zur biologischen Vernichtung der europäischen Juden entstanden. Die Juden sollten nach dem Osten deportiert, zu schwerster Zwangsarbeit herangezogen und so allmählich ausgerottet werden.
Seit September 1941 mussten die Juden den „Judenstern" (gelber Davidstern mit der Aufschrift Jude) sichtbar an ihrer Kleidung tragen. Nach einer Berliner Entscheidung sollte das Reichsgebiet möglichst rasch „judenfrei“gemacht werden. Die Juden, die zur Deportation eingeteilt waren, erhielten genaue Anweisungen, was sie an Kleidung, Verpflegung und Gebrauchsgegenständen mitnehmen durften. Vermögen wurde beschlagnahmt; Sparbücher, Wertpapiere und Schmuck mussten zurückgelassen werden. Doch wurde ihnen vorgegaukelt, dass sie im Osten angesiedelt würden.
Die meisten der aus Oberdorf deportierten Juden sind in den Konzentrationslagern umgekommen. Fanny Kahn, die in Aalen gewohnt hatte und 1941 nach Oberdorf gezogen war, war bei den Transporten am 22. August 1942 nach Theresienstadt und am 26. September 1942 nach Maly Trostinec dabei. Dort verliert sich ihre Spur; sie ist für tot erklärt worden. Ein besonders tragisches Einzelschicksal erlitt die Familie Siegfried Neumetzger aus Oberdorf. Die Eltern und die vier Kinder im Alter von vier bis 17 Jahren wurden in Lublin erschossen, als sich der Vater, ein Frontsoldat des Ersten Weltkrieges und Träger des Eisernen Kreuzes, gegen einen SS-Mann wehrte, der den Kopf des jüngsten Kindes an einem Stein zerschmettern wollte. Auch die wenigen Juden, die in Aufhausen und Lauchheim noch gewohnt hatten, kamen mit je einer Ausnahme in der Deportation um.