„Ohne Schaden kommt da niemand raus“
Der Politikberater Werner Weidenfeld zum Streit um die Unions-Kanzlerkandidatur
MÜNCHEN - Die Union ringt um den richtigen Kanzlerkandidaten: Markus Söder oder Armin Laschet. Beide wollen, nun muss eine Einigung her. Das Duell hat harte Debatten in CDU und CSU ausgelöst. Damit schadet sich die Union selbst, sagt der Münchner Politologe Werner Weidenfeld im Gespräch mit Ralf Müller.
Herr Professor Weidenfeld, hat Sie überrascht, wie massiv CSU-Chef Söder seinen Anspruch auf die Kanzlerkandidatur geltend macht? Es überrascht mich nicht, dass Markus Söder so massiv für seine eigene Karriere arbeitet. Denn das gehört zu seinem biografischen Bild. Über die Jahrzehnte hat er Schritt für Schritt die jeweils nächste Station der Macht erobert. Ähnlich war die Ablösung von Seehofer durch Söder sowohl als Ministerpräsident wie als Vorsitzenden. Das zählt zu seiner biografischen Grundstruktur.
Sie sind Politikberater. Hätten Sie Söder geraten, so vorzugehen, wie er es jetzt tut?
Ich hätte es ihm jetzt nicht angeraten, denn ohne Schaden kommt da niemand raus. Die Union bietet ein Bild der Selbstzermürbung und Selbstbeschädigung. Das vergisst man nicht über Nacht. Die SPD, die so etwas Ähnliches praktiziert hat, sitzt im Keller und kommt da nicht heraus. Etwas Entsprechendes werden Sie bei der Union erleben. Ich hätte Söder geraten, zu signalisieren: Wenn man gebraucht wird, steht man zur Verfügung, um dann der größeren Partei den Vortritt zu lassen. Bei der Nachfolgefrage von Laschet ist ja kein anderer mehr da außer Söder. Dann kann er es werden.
Kann Söder das noch in die von Ihnen skizzierte Richtung hinbiegen? Es käme dann auf sehr geschickte Formulierungen an. Ich erinnere an eine nicht so harte Auseinandersetzung zwischen CDU und CSU 1975, als CDU-Vorsitzender Kohl für 1976 seine Kanzlerkandidatur anmeldete und Strauß das verhindern wollte. Kohl wurde als Kanzlerkandidat ausgerufen, und die CSU hat formuliert, sie habe „davon Kenntnis genommen, dass die CSU als die größere Partei den Anspruch erhebt, den Kanzlerkandidaten zu stellen. Die CSU hält an ihrem Anspruch fest, dass ihr Vorsitzender der geeignete Kandidat ist.“Kohl hat bei der Bundestagswahl 48,6 Prozent der Stimmen erobert. Davon kann ein Unionsvorsitzender heute nur träumen.
Also Ihr Rat an Söder: Geordneter Rückzug mit Option auf 2025?
Der Vorgang ist jetzt so weit in die Sackgasse hineingetrieben, dass es schwerfällt, etwas Konstruktives abzuleiten. Ich würde Söder anraten, zu erklären, man habe alles in kooperativer Form durchgesprochen, die größere Partei hat das Vorgriffsrecht, und wann immer ich kann, stehe ich zur Verfügung. Wenn Kanzlerkandidat Laschet die Wahl verliert, dann ist doch völlig klar, dass Söder beim nächsten Mal Kanzlerkandidat ist. Nach dieser Vorgeschichte gibt es gar keine Debatte mehr. Auch wenn Laschet Kanzler würde, stellt sich irgendwann die Nachfolgefrage. Und wer kommt dann in Frage? Söder. Der ist ja noch jung genug. Söder ist ein massivst ehrgeiziger Typ.
Söder hat jahrelang erklärt, sein Platz sei in Bayern, und jetzt macht er solchen Druck für die eigene Kanzlerkandidatur – kann er sich das leisten?
Der Platz bleibt ja in Bayern, weil er CSU-Vorsitzender bleibt, würde er sagen. Die CSU wolle ja immer von Bayern aus der ganzen Nation weiterhelfen, damit es allen anderen so gut geht wie den Bayern. Deshalb macht er das, würde Söder sagen.
Wir wissen also in Zukunft, was wir von solchen Aussagen zu halten haben?
Das konnte man in der Vergangenheit auch wissen. Der erste große Klassiker dieser Art ereignete sich 1959, als Kanzler Konrad Adenauer zum Bundespräsidenten kandidieren wollte und dann feststellte, er kann seinen Nachfolger Erhard nicht verhindern. Dann zog er seine Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten zurück, weil er im Grundgesetz nachgelesen habe, dass ein Bundespräsident ja gar keine Kompetenzen habe.
Söder setzt offensichtlich darauf, dass die CDU-Basis gegen die Partei-Spitzengremien rebelliert. Kann das funktionieren?
Nein. Was aus der Unions-Bundestagsfraktion berichtet wird, sind Äußerungen praktisch kalkulierender Leute. Da geht es um ihre Existenz. Ein Abgeordneter, der für Laschet ist, wird erst mal etwas schweigsamer bleiben, denn es könnte ja sein, dass Söder es wird, und dann wird Rache an all denen ausgeübt, die sich gegen ihn geäußert haben. Eine Riesenwelle „Nein, wir wollen Laschet nicht“wird jedenfalls nicht losgetreten. Wenn Laschet nicht zur Kanzlerkandidatur durchgetragen wird, müsste er im Prinzip als Parteivorsitzender zurücktreten. Dann wird nach dem Amt des Ministerpräsidenten in NRW gefragt und so weiter.
Bei welchem Kandidaten wird das Ganze enden?
Heute kann man nur sagen, dass ohne Schaden niemand da rauskommt, egal wie man sich verständigt.
Söder setzt ja auf für ihn günstige Umfragen ...
Umfragen sind Augenblicksstimmungsbilder. In den letzten zwei, drei Jahren sind sie rauf- und runtergegangen. Das ist kein wirklich stabiles Fundament. Vor Jahrzehnten konnte man noch eher danach gehen, als die Stammwähler insgesamt rund 90 Prozent der Stimmen ausmachten und feste Pakete bei Wahlen abzulesen waren. Heute ist das alles fluid geworden, und daher kann vieles passieren. Es wird aber nicht so sein, dass diese Art der Auseinandersetzung zwischen CDU und CSU bei der Bundestagswahl keine Rolle mehr spielt. Das wirkt nicht vorbildlich-attraktiv.
Könnte sich die Union über den Streit tatsächlich „zerlegen“?
So weit gehe ich nicht. Immer wenn man in diese Nähe kam, hat man in der Union zurückgerudert. Die härteste Nummer war 1976 die Kreuther Kündigung der Fraktionsgemeinschaft. Danach musste selbst Strauß wieder zurückrudern. Denn damit sind so viele Machtfragen verbunden, dass dies innerhalb der Union kein Mensch wünschen kann.