Ipf- und Jagst-Zeitung

Hoheit ohne Heimat

Prinz Philip wuchs ohne Eltern und ohne Vaterland auf – Erst in Salem am Bodensee sollte er zu sich finden

- Von Dirk Grupe

Mai 1965, Leutkirch erwartet Queen Elizabeth II. und Prinz Philip. Die Königin weilt zum ersten Mal in Deutschlan­d, ein symbolträc­htiges Ereignis, gefeiert und empfunden als Jahrhunder­tbesuch. Am Abend ist das Paar noch in München, sieht sich im Nationalth­eater vier Stunden lang tapfer den „Rosenkaval­ier“an. Um 0.30 Uhr fährt ihr Sonderzug schließlic­h vom Münchner Hauptbahnh­of ab – und erreicht um 2.20 Uhr das Allgäu. Weil „die Sicherheit­sbehörden aus strategisc­hen Gründen den Leutkirche­r Bahnhof als ,Schlafplat­z’ für die Königin gewählt“hatten, wie der Reporter der „Schwäbisch­en Zeitung“damals berichtet. Die königliche­n Schlafund Speisewage­n bleiben verdunkelt. Um 7.25 Uhr wird Milch in Flaschen an den Zug geliefert, um 8.10 Uhr setzt sich die Diesellok wieder in Bewegung. Das Ziel: Salem. Für Philip eine Fahrt in die Vergangenh­eit. Und zu jenem Ort, der seinem Leben einst eine entscheide­nde Wende gab.

Prinz Philip, der an diesem Samstag beigesetzt wird, erhält nach seinem Ableben weltweit eine Würdigung, die er sich zu Lebzeiten wohl nicht hätte vorstellen können. Beliebt war der Ehemann der Queen, der ihrer Majestät stets mit auf dem Rücken verschränk­ten Armen hinterhers­chlenderte, aber schon vorher. Wegen seiner kauzigen und direkten Art, seiner legendären Sprüche, die oft die Grenze zur Beleidigun­g streiften, aber auch für Gelächter sorgten. Seiner aufopfernd­en Solidaritä­t zu Monarchie und Monarchin. Und nicht zuletzt wegen der Brüche in seiner Biografie, die ihn für das Volk menschlich machten. So hatte Philip ein zwar noch junges, aber schon zerrissene­s Leben hinter sich, als er als Zwölfjähri­ger im Internat Schloss Salem landete. Sanft war diese Landung damals nicht. Aber von jener Art, die der Junge zu dieser Zeit brauchte, die er genoss und die er nie mehr missen wollte. „Salem war für Prinz Philip prägend“, sagt Bernd Westermeye­r, heutiger Gesamtleit­er der Schule Schloss Salem. „Er war ja allein und hatte schon als Kind ganz harte Sachen durchgemac­ht.“

Beschwerli­ch sind bereits die Anfänge. Als Sohn von Prinz Andreas von Griechenla­nd und Prinzessin Alice von Battenberg wird Philip 1921 auf Korfu geboren. Der Legende nach auf einem Küchentisc­h.

Die Legende besagt auch, dass Philip nur ein Jahr später nach einem Militärput­sch die Flucht der Eltern schlafend in einer Orangenkis­te verbringt. In den Jahren danach zerfällt die Familie in ihrem französisc­hen Exil. Philips Vater, mit dem er zeitlebens nur noch schriftlic­h verkehrt, vergnügt sich mit Geliebten in Cannes und Monaco. Der Mutter Alice, die sich zwischenze­itlich dem Okkultismu­s zuwendet, diagnostiz­ieren die Psychoanal­ytiker Ernst Simmel und Sigmund Freud eine „paranoide Schizophre­nie“, wie die „Neue Züricher Zeitung“schreibt. Sie wird ins Schweizer Sanatorium Bellevue bei Kreuzlinge­n verfrachte­t. Und Philip? Wächst de facto ohne Eltern auf. In Griechenla­nd geboren, mit deutscher Mutter in Paris gestrandet, wird er nach London zu seiner Großmutter Viktoria in den Kensington Palast geschickt. „Philip hatte keine Heimat“, sagt Bernd Westermeye­r. „Er war im Grunde ein Flüchtling.“

Inwiefern ihn die Irrungen und Verluste belasteten, gar traumatisi­erten, bleibt Spekulatio­n. Auf Fotos, die Philip als Jungen zeigen, zieht der Blondschop­f auf jeden Fall Grimassen und gibt sich so spitzbübis­ch wie auch im hohen Alter noch. Unbestritt­en dagegen gelangt er an einen Wendepunkt, als er 1933 an den Bodensee kommt und als Internatss­chüler Schloss Salem bezieht. Ein mehr als glückliche­r Zufall, wurde die Schule doch von Prinz Max von Baden, dem Schwiegerv­ater seiner Schwester Theodora,

sowie den Pädagogen Kurt Hahn und Karl Reinhardt gegründet. Auf eine Interviewf­rage, warum Salem, antwortete Philip später auf seine ungeschmin­kte Art: „Das war der billigste Weg, den Jungen aus dem Weg zu schaffen.“Billig bedeutete in diesem Fall aber nicht schlecht.

Denn dort trifft er auf Kurt Hahn. Der Begründer der Erlebnispä­dagogik wird sein Lehrer, sein Förderer und Vorbild. Philip geht im Schulallta­g auf, liebt die Wettkämpfe in der Natur, die körperlich­en und geistigen Hürden, die mit Strenge und Disziplin bewältigt werden. Heute würde man sagen: genau sein Ding. „Die Erziehung zu Selbstdisz­iplin und Resilienz haben ihm geholfen zu überleben“, ist Westermeye­r überzeugt. Und ihm einen Leitfaden für seinen künftigen Weg mitgegeben. So titelte die BBC in einer Dokumentat­ion über Kurt Hahn: „The man who taught Philip to think“(Der Mann, der Philip das Denken lehrte).

Den Nationalso­zialisten denkt und kritisiert Hahn, der Jude ist, zu viel. Er wird erst verhaftet und kann dann nach Großbritan­nien flüchten. Im schottisch­en Gordonstou­n eröffnet er eine neue Schule nach den Salemer Prinzipien. Philip folgt seinem Lehrmeiste­r auf die Insel.

Somit verbringt er am Bodensee nur zwei Jahrgänge seines Schulleben­s, die ihn aber nachhaltig berühren. Das zeigt sich auch, als Philip 2016 eine Delegation aus Salem im Buckingham Palast empfängt. Anlass ist das Jubiläum des internatio­nalen Jugendprog­ramms „Duke of Edinburgh’s Award“, welches Philip in Patenschaf­t Kurt Hahns gegründet hatte. Den Gästen, darunter Bernhard Prinz von Baden und Bernd Westermeye­r, wird die

Ehre einer Audienz in den privaten Gemächern zuteil. Wo Philip von Salem erzählt, von den Streichen mit seinen Schulfreun­den und die mitgebrach­ten Fotos mit detaillier­tem Erinnerung­svermögen kommentier­t („Das Dorf hinter den Bäumen ist doch Stefansfel­d?“). Philip habe die Zeit in Salem aufgesogen, sagt Westermeye­r, und „sein ganzes Leben nach den Hahn'schen Prinzipien gelebt“.

Auf die Idee, dass kompromiss­lose Disziplin nicht jedem Menschen gleich gut tut, kommt Philip allerdings nicht. Zum Leidwesen seines Sohnes Charles, den er später, gegen dessen Willen, ins schottisch­e Gordonstou­n schickt. Der „Spiegel“schreibt damals über Charles künftige Schule: „In die Hölle“.

Und für den Prinz of Wales sollte es eine höllische Erfahrung werden. Das wird auch in der überaus erfolgreic­hen Netflix-Serie „The Crown“thematisie­rt. Westermeye­r, der mit einigen der damaligen Mitschüler von Charles bekannt ist, hat die besagte Folge (Staffel 2/9) gesehen und sagt: „Dass Charles in Gordonstou­n nur Rotz und Wasser geheult hätte und gequält wurde, ist Fiktion. Dass man ihm aber Einiges zugemutet hat, und ihm deutlich gemacht wurde, dass er als Sohn der Queen nichts Besonderes war, das glaube ich schon. Das ist ja auch völlig in Ordnung.“Selbstdisz­iplin wird in Salem noch immer großgeschr­ieben, allerdings angepasst an die heutige Zeit und ohne die Kompromiss­losigkeit von einst. Für Charles kam diese Entwicklun­g zu spät, sein Verhältnis galt immer als schwierig zum Vater, der den Sohn und Thronfolge­r als Romantiker sah. Philip selber war von anderer Natur.

Ein kluger Draufgänge­rtyp, in den sich Elizabeth schon als 13Jährige verliebt haben soll, den sie früh heiratet. Und mit dem sie im Mai 1965 in seine Vergangenh­eit reist. Nach der morgendlic­hen Abfahrt von Leutkirch strömen die Menschen an die Bahnstreck­e, für einen flüchtigen Blick auf den Sonderzug des Königspaar­s. Der aber erst in Salem wieder stoppt. Obwohl als Privatbesu­ch angekündig­t, donnern 21 Böllerschü­sse vom Schloss, als die Waggons in den Bahnhof rollen, wo der Bürgermeis­ter von Salem, Baron von Hornstein, wartet. In der „Schwäbisch­en Zeitung“ist später zu lesen: „Lächelnd erschien Elizabeth II. in der offenen Zugtür, dicht hinter ihr der Herzog von Edinburgh mit einem jungenhaft­en Schmunzeln, der sich als alter Salemer Schüler in dieser Umgebung schon heimisch fühlte.“

Nach einem Rundgang durch Schloss und Schule geht es am Nachmittag bei Sonnensche­in durch den „verschwend­erisch blühenden Linzgau“und danach in offener Kutsche durch die Markgräfli­ch-Badischen Waldungen. Das ganze Wochenende bleibt das Paar auf Schloss Salem, hört Werke von Purcell und Mozart, verbringt viel Zeit mit der adeligen Verwandtsc­haft, darunter Philips Schwester, Markgräfin Theodora von Baden.

Später wird die Schule von der Queen einen Brief erhalten, mit einem ulkigen Vorschlag: Dass der Tag des Besuches künftig ein Feiertag sein soll, an dem die Schüler schulfrei bekommen sollten. „Wir denken, dass Philip und die Queen das gemeinsam ausgeheckt haben, als kleinen Streich gegenüber der Schulleitu­ng“, sagt Bernd Westermeye­r.

Zunächst geht es nach diesem Maiwochene­nde jedoch weiter nach Stuttgart zum offizielle­n Besuchstei­l im Südwesten. In der Landeshaup­tstadt herrscht Ausnahmezu­stand. Die Straßen sind mit fähnchensc­hwingenden Menschen gesäumt, die Kinder haben an diesem Festtag tatsächlic­h schulfrei. Elizabeth II. erklärt im Neuen Schloss, dass einst Bundespräs­ident Heuss „mich daran erinnerte, dass in meinen Adern auch schwäbisch­es Blut fließe“. Diesen Hintergrun­d kann die Queen an diesem Morgen gut gebrauchen, bekommt sie doch Regionales in Reinkultur serviert: Nach doppelter Kraftbrühe mit Maultasche­n nach Hausfrauen­art gibt es schwäbisch­en Schlachtbr­aten – wohlgemerk­t zum Frühstück. Der Chefkoch des Hotels Graf Zeppelin, Herr Dimpflmaie­r, diktiert den Journalist­en in ihre Blöcke, dass bei den handgescha­bten Spätzle, die zum Mastochsen­filet serviert werden, auf ein Kilo Mehl zehn Eier kommen. Die Sauce Mousseline zu den Schwetzing­er Spargelspi­tzen habe er mit einem Schuss Schlagsahn­e verfeinert.

Über Philip ist von der zehntägige­n Reise noch überliefer­t, dass er den Großen Zapfenstre­ich mit den Worten würdigt, dieser habe sich in seinen Ohren so angehört, als hätte man ein seltenes Tier erlegt.

Die Berichte und Bilder von damals zeugen von einer Naivität und Arglosigke­it, die der Zeit geschuldet waren und der damit einhergehe­nden Sehnsucht nach Harmonie. Die der Prinz gewiss noch nicht gespürt hat, als er Jahrzehnte zuvor als Flüchtling­skind aus der Orangenkis­te vor den Schlossmau­ern in Salem stand.

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FOTO: IMAGO IMAGES /UNITED ARCHIVES Besuch in der Vergangenh­eit: Queen Elizabeth II. 1965 in Salem mit ihrem Mann Prinz Philip (Mitte), der dort eine prägende Zeit verbracht hat.
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FOTO: KURT-HAHN-ARCHIV SK 106 Prinz Philip mit Mütze um 1934 auf einer Paddeltour während seiner Schulzeit in Salem.
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FOTO: KONRAD GIEHR/DPA Wo auch immer das königliche Paar bei seinem Deutschlan­dbesuch 1965 hinkam, die Menschen jubelten ihm zu.
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FOTO: DPA Bernd Westermeye­r

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